Ingolstadt
Lösel muss in die Stichwahl

OB-Kandidaten-Hearing des Stadtjugendrings: Viele Beiträge, wenige junge Leute und eine Überraschung

22.11.2019 | Stand 23.09.2023, 9:35 Uhr
Neun Männer und eine Frau wollen Oberbürgermeister werden: Die Fronte 79 war beim Kandidatenhearing des Stadtjugendrings am Donnerstagabend randvoll besetzt. Jugendliche Besucher waren allerdings in der Minderheit, wie Blicke ins Publikum zeigen. −Foto: Hauser

Ingolstadt (DK) Jugendliche sind übrigens auch da.

Vereinzelt. Da und dort sieht man sie in der randvollen Fronte sitzen. Sogar ein paar unter 20-Jährige sind am Donnerstagabend gekommen, um die OB-Kandidatenanhörung des Stadtjugendrings zu erleben. Die wird zu einer meinungsfrohen Zusammenkunft der Generation Ü40. Oder auch Ü50, je nach Partei.


Der politische Wettstreitcharakter der seit 2002 stattfindenden so genannten Hearings besteht vor allem darin, ob es den Kandidaten - zehn sind es diesmal; Rekord - gelingt, möglichst viele Parteifreunde und weitere zuverlässige Klatscher mitzubringen, um ihre Redebeiträge mit angemessener Resonanz zu versehen und bei den weithin beachteten OB-Testwahlen des Publikums (eine zu Beginn der Diskussionsveranstaltung, eine kurz vor Ende) ganz weit nach oben zu gelangen.

Vor allem die CSU nimmt die Abstimmungen im Jugendzentrum immer sehr ernst. Ihre Mitglieder besetzen gleich mehrere Stuhlreihen. Sicher ist sicher. Dort feuern sie ihren Oberbürgermeister an. Christian Lösels Sieg ist Pflicht. So weit zu erkennen, sind die meisten CSU-Leute gut Ü40. Bekannte Gesichter der Jungen Union sieht man nicht. Die CSU-Jugend hat zwar eine eigene Liste für die Kommunalwahl am 15. März aufgestellt, aber keinen OB-Kandidaten; das wäre was gewesen.

Die Moderatoren Thorsten Stark und Christian Rehberger (sie leiten die DK-Lokalredaktion) bitten die Protagonisten nacheinander zu 80er-Poprock auf die Bühne ("Eye of the Tiger", die Songauswahl sollte man jedoch nicht überinterpretieren). Bei jedem Auftritt erfüllt ein altes Foto des Bewerbers die Leinwand im Hintergrund. Die Botschaft ist klar: Ja, die waren auch mal jung.

Christian Pauling, OB-Kandidat der Linken, Jahrgang 1991, ist es noch. Er hat ebenfalls viele Freunde dabei, wie dem Jubel zu entnehmen ist. Und dem Ergebnis der ersten OB-Wahl in der Fronte: Er kommt mit 26 von 153 Stimmen auf Platz 2. Hinter Christian Lösel (34 Stimmen). Der Amtsinhaber müsste damit gegen den 17 Jahre jüngeren Linken in die Stichwahl.

Die Kandidaten sitzen ernsten Blicks nebeneinander. Zehn Stühle, 100 Meinungen (ungefähr). Vier Christians, zwei Krawatten (Christian Lösel, Hans Stachel, FW), drei Schnauzbärte (Hans Stachel, Christian Pauling, Henry Okorafor, Grün-Links), zwei Dreitagebärte (Jakob Schäuble, FDP, Christian Lange, BGI) und eine Frau: Petra Kleine, Grüne, Stadträtin seit 1984. Christian Scharpf (SPD) und Jürgen Köhler (UDI) gehen erstmals ins Rennen, Raimund Köstler (ÖDP) zum zweiten Mal.

Junge Ingolstädter haben in fünf Themenblöcken (darunter Jugendkultur, Sport, Wohnen, Verkehr) ihre Anliegen formuliert. Die Kandidaten sollen sich in möglichst kurzen Statements dazu äußern. Einige fremdeln mit diesem Format, das ist bald zu erkennen. Offenbar hat nicht jeder bis dato hinlänglich über Fragen sinniert wie: Warum hat Ingolstadt kein Azubi-Wohnheim? Sollen Schulen in den Ferien ihre Sportanlagen für alle Jugendlichen öffnen? Und wie steht es um die Mobile Jugendarbeit? Die gebe es in Ingolstadt schon lange nicht mehr, sagt Petra Kleine, die hier fachlich versiert mitreden kann.

Vermutlich würden die Kandidaten lieber über einen Tunnel im Wald streiten oder über kommunale Korruptionsprävention oder über die Kammerspiele (als Kleine kurz damit anfängt, wird im Saal gelacht) oder ein anderes beliebtes Minenfeld, über das sie blind wandeln könnten, aber an diesem Abend steht die Jugend im Mittelpunkt - und da müssen sie jetzt durch.

Lösel präsentiert sich als ein der Jugend zugewandter Elder Statesman, sagt auswendig und unfallfrei lange Zahlenreihen auf oder referiert spontan über das "Bestellerprinzip", als eine Studentin im Publikum wissen will, warum nur so wenige Busse nach Eichstätt fahren.

Lange, der mit Lösel niemals irgendwo hinfahren würde (gilt auch umgekehrt), hält sich mit Offensiven zurück. Scharpf hält sich generell zurück. Köhler auch. Köstler kennt sich gut mit Radwegebau aus. Stachel punktet mit seinen Erfahrungen als Vater. Schäuble parliert entspannt, gibt Klassiker aus dem Poesiealbum der FDP zum Besten ("Bildung muss von Leistung abhängig sein, nicht vom Geldbeutel der Eltern! "). Okorafor beginnt fast jeden seiner Beiträge mit der Feststellung: "Herr Lösel erzählt uns immer, wie toll alles ist. Das ist ein Problem! " Die Diskursschleifen des selbstbewussten OB-Anwärters finden indes nicht alle so toll.

Die Diskutanten überziehen ordentlich. Um eine gute halbe Stunde. Moderator Rehberger: "Thomas Gottschalk wäre stolz auf uns! " Der hat in "Wetten, dass. . ? " öfter mal das folgende "Aktuelle Sportstudio" bis kurz vor Mitternacht wegmoderiert.

Christian Pauling, der pointiert und beseelend reden kann (das meistens sogar unter 1:30), hat am Ende noch mehr Anhänger. Das zeigt sein Ergebnis bei der finalen Wahl: 41 Stimmen. Wieder Platz zwei. Es bleibt bei der Stichwahl gegen Lösel (54).

In den Gesprächen nach dem Hearing fällt immer wieder ein Name: Pauling. Offenbar hat er auch in anderen Parteien Eindruck hinterlassen. Endlich mal ein netter Linker, so lässt sich das Geraune sinngemäß grob zusammenfassen, bei dem man keine Angst haben müsse, dass er die Reichen enteignen will.

Auch drei junge Leute auf der Empore haben bis zum Schluss alles mit Interesse verfolgt. "Zu lang war es nicht", findet Tarim (17). "Es war eigentlich alles sehr interessant", sagt Lilja (15). "Nur die Diskussion über die Radwege fand ich jetzt nicht ganz so wichtig", ergänzt Caro (16). "Ich fahre viel mit dem Rad in Ingolstadt und habe damit überhaupt keine Probleme", erzählt Tarim. Caro hat noch keinen Favoriten gefunden: "Mir war das oft etwas zu wenig Information. Über vieles wurde auch ziemlich drum rum geredet. " Die drei hätten sich zudem mehr Persönliches von den OB-Kandidaten gewünscht.

Warum sind gar so wenige Jugendliche der Einladung des Stadtjugendrings gefolgt? "Es haben nicht so viele mitbekommen. Caro und ich sind heute da, weil wir beide Schülersprecherinnen sind", erzählt Lilja. In der Gnadenthal-Realschule. Wer hat den überzeugendsten Auftritt hingelegt? Da sind sich die drei einig: "Pauling! "

 

Christian Silvester