Ingolstadt
Die Sache hat einen Haken

Handwerker, Bauern und Händler prägten einst die Stadt – Spuren davon sind noch heute zu sehen

09.02.2015 | Stand 02.12.2020, 21:40 Uhr

Geschäftiges Treiben auf dem Ingolstädter Kornmarkt: In der südlichen Harderstraße wurde früher Getreide gehandelt. Johann Nepomuk Haubenschmid hat die Szenerie vor der einstigen Schranne (ganz rechts) um 1840 in diesem Stich festgehalten.

Ingolstadt (DK) Wer bei einem Spaziergang durch die Stadt den Kopf in den Nacken legt, entdeckt an mancher Hausfassade einen Balken, der waagrecht aus der Wand ragt. Früher gab es solche Lastenaufzüge fast an jedem Haus. Sie erinnern an Zeiten, in denen die Stadt von Handwerkern, Bauern und Händlern geprägt war.

Manch ein Innenstadtbewohner, der regelmäßig seine Einkäufe über enge Treppen in die Wohnung nach oben schleppen muss, mag sich wünschen, er könnte sie auch heute noch elegant an der Hauswand nach oben ziehen. Es ist noch gar nicht so lange her, da gehörten Lastenaufzüge selbstverständlich zum Stadtbild dazu. Kurt Scheuerer, Jahrgang 1941, sieht noch heute vor seinem geistigen Augen eine Szene, die er als Kind beobachtet hat: In der Bergbräustraße wurden Säcke von einem Fuhrwerk geladen und mit Hilfe eines Seils und einer Umlaufrolle am Balken nach oben gezogen und durch ein Fenster ins Innere des Hauses verfrachtet. „Das hat es früher eigentlich überall gegeben“, erinnert er sich. Vor allem die Landwirte der Stadt, aber auch Händler und Handwerker hatten immer wieder schweres Material zu bewegen.

Heute sind die meisten Kräne verschwunden. Der, an den sich Scheuerer noch erinnert, ist aber noch da. Er ist – etwas ungewöhnlich – über einem Fenster im ersten Stock angebracht. Wesentlich höher geht es an der Westfassade des Münsters empor, wo ein Balken über einer kleinen Luke aus der Klinkerwand ragt. Wenige Meter weiter in der Theresienstraße ist am Eckhaus zur Konviktstraße ebenfalls ein Balken zu sehen, an dem auch noch die Umlenkrolle zu erkennen ist. Lange wurden daran Hopfenballen in die Höhe gezogen, schließlich war hier bis in die Zeit des Ersten Weltkriegs hinein die Brauerei Tafelmaier untergebracht.

Etwa 500 Jahre zuvor stand der Platz im Zeichen eines ganz anderen Getränks. Jeden Dienstag wurde im Mittelalter und der frühen Neuzeit in der heutigen Theresienstraße der Weinmarkt abgehalten. Das hat auch mit der Lage der Stadt an der Donau zu tun, wie Stadthistoriker Scheuerer berichtet. „Wer Wein aus Baden-Württemberg oder Italien durch Ingolstadt schiffen wollte, war verpflichtet, ihn hier mindestens zwei Tage zum Kauf anzubieten.“ Ähnlich war es mit anderen Waren. Am Donauufer wurde Eisenerz, das aus der Oberpfalz herbeigetreidelt wurde, gehandelt. In der südlichen Harderstraße vor der Franziskanerkirche wurde Getreide auf dem Kornmarkt verkauft. Das Eckgebäude, in dem heute ein Restaurant untergebracht ist, diente als Schranne, als Kornspeicher also. Der Rathausplatz war in früheren Zeiten noch der Salzmarkt, im Süden des Areals waren die Fleischbänke der Stadt.

Dass sie bei der Stadterweiterung im 14. und 15. Jahrhundert außerhalb der mittelalterlichen Festung als Marktplatz angelegt wurden, merke man der Theresienstraße (Weinmarkt), Harderstraße (Kornmarkt), dem Holzmarkt und dem Rathausplatz (Salzmarkt) noch heute an. „Sie sind als breite Straßenplätze angelegt“, erklärt Scheuerer. Am Stein ist es heute noch am eindrücklichsten nachzuempfinden, wenn man aus der relativ engen Gasse auf die breite Harderstraße tritt. Ein Anblick, der Mitte des 19. Jahrhunderts auch den in Ingolstadt stationierten Major Johann Nepomuk Haubenschmid beeindruckt hat. Der Soldat fertigte einen Stich des Ensembles an. Darauf zu sehen sind das geschäftige Treiben auf dem Kornmarkt, die 1823 umgebaute Schranne und etliche Lastenaufzüge an den schmucken Häusern der Harderstraße.