Ingolstadt
"Wir suchen Störfaktoren, nicht die Wahrheit"

Seit 20 Jahren gibt es in Ingolstadt die Landgerichtsärztliche Dienststelle

22.01.2012 | Stand 03.12.2020, 1:55 Uhr
Im Nebengebäude des Landgerichts ist die Landgerichtsärztliche Dienststelle untergebracht. Seit über 20 Jahren heißt der Leiter der Behörde Hubert Haderthauer. −Foto: Rehberger

Ingolstadt (DK) Das Landgericht hat sich gefeiert, die Staatsanwaltschaft auch. Doch ganz im Schatten dieser beiden Behörden hat auch die dritte Einrichtung, die im Justizgebäude Auf der Schanz untergebracht ist, ein Jubiläum.

Seit jetzt 20 Jahren gibt es in Ingolstadt die Landgerichtsärztliche Dienststelle, genauso lange heißt ihr Leiter Hubert Haderthauer. „Wir sind ein Dienstleister für die Justiz“, beschreibt der Landesarzt ganz sachlich die Aufgabe. Doch dahinter stecken eben viele menschliche Schicksale. Über 13 500 Fälle sind inzwischen über Haderthauers Schreibtisch und den seines Kollegen Roman Steinkirchner gewandert. Das Spektrum ist sehr groß. Es reicht vom forensischen Gutachten, ob ein Mörder oder ein anderer Täter straffähig ist, bis hin zu kleineren Expertisen zum Alkoholspiegel. Die Landgerichtsärzte werden aber auch an Tatorte gerufen, wenn die Todesursache unklar oder ein Selbstmord passiert ist. Oder sie prüfen, ob eine Person verhandlungs- oder haftfähig ist.
 
Folglich gibt es kaum etwas, was die Ärzte in 20 Jahren nicht erlebt hätten. Sätze wie „Er blickt in die Seele der Verbrecher“ mag der Psychiater aber gar nicht gern hören. „Das taugt alles nicht zum Erlebnisaufsatz.“ Sachlichkeit ist das höchste Gut, ebenso die Unabhängigkeit. „Wir haben zwar eine räumliche und berufliche Nähe zu den Gerichten und der Staatsanwaltschaft, von denen wir die Aufträge erhalten, aber die fachliche Distanz ist gewahrt.“ Zudem berate man weder Anwälte, noch nehme man von ihnen Aufträge an. „Es darf für uns nicht das Motto ,Wes Brot ich ess, des Lied ich sing’ gelten.“

Die Landgerichtsärzte sind regelmäßig im Gerichtssaal bei den Prozessen mit dabei, wo sie ihre Gutachten vortragen. „Das Gericht muss sich unserer Einschätzung nicht anschließen, macht es aber in der Regel“, sagt Haderthauer. Als Grundsatz nennt er: „Wir versorgen die Kammern mit so vielen Informationen, dass sie zu einem gerechten Urteil kommen.“ Das kann für Menschen auch einmal die (lebenslange) Unterbringung in einer psychiatrischen Einrichtung sein.

125 forensische Gutachten, mit oft Dutzenden Seiten, fertigen die Psychiater pro Jahr an. „Wir untersuchen die Leute völlig unvoreingenommen, wir schauen nicht die Akten an“, sagt Haderthauer. Die Häftlinge werden ihm und dem Kollegen in der Regel von Justizbeamten oder Polizisten im Büro vorgeführt. In 20 Jahren hat Haderthauer gelernt: „Da sieht man viele mehrfach. Manchmal aus der Familie auch Vater, Sohn Cousin und so weiter.“ Die Arbeit läuft im Normalfall hinter verschlossener Tür.

Bei aller Sachlichkeit gibt es für Haderthauer aber doch Themen, bei denen er um Zurückhaltung ringt. Der Fall Rupp ist so etwas. In dem Prozess gab es die Vorwürfe, nicht einmal die Landgerichtsärzte hätten die Lügengeschichten der Angeklagten gemerkt, die den damals noch verschwundenen Landwirt angeblich an die Hunde verfüttert haben wollen. „Ausschließlich das Gericht hat darüber zu befinden, ob die Angaben eines Angeklagten stimmen“, sagt Haderthauer. „Wir versuchen nur herauszufinden, ob der Betreffende zum Tatzeitpunkt eine psychische Erkrankung, eine Vergiftung oder eine andere Hirnschädigung hatte. Wir suchen Störfaktoren, nicht die Wahrheit.“