Ingolstadt
"Wollen Sie ins Gefängnis?"

Landgericht will Ehedrama auf Weide bei Brunnen aufhellen - und stößt auf einen verstockten Angeklagten

15.01.2019 | Stand 23.09.2023, 5:39 Uhr
Schauplatz eines wilden Kampfes: Auf einer Weide zwischen Brunnen und Hohenried bemühen sich Rettungskräfte im Juli 2016 um eines der Opfer des mutmaßlichen Ehedramas. −Foto: Hofmann / Archiv

Ingolstadt (DK) Ein mutmaßliches Ehedrama, bei dem es im Juli 2016 auf freier Flur bei Brunnen im Landkreis Neuburg-Schrobenhausen (siehe Karte) gleich zwei Schwerverletzte gegeben hat, ist auch zweieinhalb Jahre später von einer letztendlichen juristischen Klärung weit entfernt. Möglicherweise wird das Ingolstädter Landgericht, wo gestern ein weiterer Anlauf zu einer Berufungsverhandlung gegen den inzwischen 62-jährigen Ex-Ehemann unternommen wurde, erst ab März nochmals neu und ausführlich über den Fall verhandeln.

Der Vorfall vom 4. Juli 2016 war so spektakulär, dass er auch überregional mediale Beachtung fand. Auf der Staatsstraße 2044 soll der heutige Angeklagte damals gegen Mittag zunächst mit seinem Pkw den vorausfahrenden Wagen seiner geschiedenen Ehefrau gerammt und von der Fahrbahn abgedrängt und die Frau dann auf einer Weide aus ihrem Auto gezerrt und traktiert haben. Die Ex-Gattin ihrerseits soll ihrem geschiedenen Mann in einem Handgemenge eine Glasflasche, mit der er zuvor die Scheiben ihres Autos demoliert haben soll, entwunden und damit - quasi in Notwehr - auf dessen Kopf eingeschlagen haben. Beide Kombattanten waren bei diesem Kampf so schwer verletzt worden, dass sie mit Rettungshubschraubern in Kliniken gebracht worden waren.

Für Polizei und Staatsanwaltschaft und letztlich auch für das Neuburger Schöffengericht hatte sich der Fall so dargestellt, dass die Aggression seinerzeit vom Ex-Ehemann ausgegangen war. Obwohl die vormalige Gattin von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch gemacht hatte, war das Gericht zu der Überzeugung gelangt, dass sich der Mann eines gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr und der gefährlichen Körperverletzung schuldig gemacht hatte. Das Urteil vor dem Amtsgericht hatte auf zwei Jahre und vier Monate Gefängnis gelautet.

Dagegen hat der bereits im Ruhestand lebende frühere Maschinenbauer aus dem nordwestlichen Landkreis Pfaffenhofen uneingeschränkte Berufung eingelegt. Bei einem ersten Versuch einer erneuten Beweisaufnahme vor dem Landgericht war die zuständige Kammer im vorigen Jahr zu der Überzeugung gelangt, dass zur Urteilsfindung auch ein psychiatrisches Gutachten benötigt wird. Doch der Mann will sich partout nicht ärztlich untersuchen lassen.

Inzwischen ist der Fall bei der 3.Strafkammer unter Vorsitz von Richter Konrad Riedel gelandet, der beim gestrigen erneuten Prozessstart eine Engelsgeduld aufbrachte, dem verstockt und verdruckt wirkenden Angeklagten alle Möglichkeiten des weiteren Verhandlungsverlaufs aufzuzeigen. Weil der Mann auf direkte Fragen des Vorsitzenden kaum reagierte und vielmehr beständig Zetteltexte schrieb und diese seinem Pflichtverteidiger reichte, gestaltete sich die Kommunikation äußerst langwierig.

Konrad Riedel konnte ebenso wie Prozessbeobachter schließlich kaum noch erkennen, was der Angeklagte mit seiner Berufung erreichen will, was den Vorsitzenden zu einer provokanten Fragestellung brachte: "Wollen Sie ins Gefängnis?"

Wenn er sich von einer Verweigerungstaktik Erfolg verspreche, so der Richter zum Angeklagten, sei das sehr riskant. Das bedeute letztlich einen "Ritt auf der Rasierklinge". Ein Geständnis oder zumindest eine ausführlichere Darstellung des damaligen Ereignisses aus seiner eigenen Sicht könne der Kammer hingegen zumindest Ansatzpunkte für etwaige neue Aspekte abseits der Aktenlage liefern und so dem Verfahren möglicherweise eine neue Richtung geben.

Der Anwalt erklärte das geradezu trotzig wirkende Schweigen seines Mandanten mit dessen tief sitzendem Misstrauen gegen alles und jeden, vor allem aber gegen den im Verhandlungssaal anwesenden psychiatrischen Gutachter, den Landgerichtsarzt Thomas Obergrießer. Dieser, so hat es der Angeklagte dargestellt, soll ihm bei einem Termin unter vier Augen angedroht haben, ihn lebenslang in die Psychiatrie zu bringen - was der Mediziner klar bestreitet.

Obergrießer stellte klar, dass er dem Angeklagten lediglich eröffnet habe, dass bei einer gerichtlichen Anordnung eines Maßregelvollzugs nach Paragraf 63 StGB keinesfalls feststehe, wie lang sich ein Aufenthalt in einer Fachklinik gestalte. Das entspricht auch nach Auffassung des Gerichts der bei solchen Untersuchungen üblichen Aufklärungspflicht.

Eine wirkliche Exploration des Angeklagten hat aber bis heute nicht stattgefunden. Der Vorsitzende bestimmte gestern, dass der Gutachter auch trotz der Ablehnung durch den Angeklagten im Gerichtssaal bleiben darf, um zumindest im Prozess gewisse Aufschlüsse über die Verfassung des Beschuldigten gewinnen zu können - die Minimalvoraussetzung für eine psychiatrische Beurteilung. Auf die gesetzlich gegebene Möglichkeit, den Mann gerichtlich für maximal sechs Wochen zwecks Begutachtung in eine psychiatrische Klinik einzuweisen, verzichtete das Gericht nach Anhörung von Landgerichtsarzt, Staatsanwalt und Verteidiger. Weil der Angeklagte seit dem Vorfall im Juli 2016 nicht mehr strafrechtlich in Erscheinung getreten ist und offenbar keine Gefahr für die Allgemeinheit besteht, wäre eine solche Entscheidung juristisch heikel gewesen.

Die Kammer hat dem 62-jährigen gestern bis zu einem bereits anberaumten zweiten Verhandlungstag Ende Januar Bedenkzeit gegeben, sich seine weitere Prozesstaktik zu überlegen. Sollte es bei seiner Verweigerungshaltung bleiben, ist eine umfassende Beweisaufnahme über mehrere Verhandlungstage unvermeidlich. Weil sich der Pflichtverteidiger den kompletten Februar über in Urlaub befindet und die Frist für eine Verhandlungsunterbrechung damit überschritten würde, steht auch eine völlige Neuansetzung des Verfahrens ab Anfang März im Raum. Dann aber, so viel konnte Vorsitzender Riedel bereits verraten, wird es kein weiteres langes Vorgeplänkel geben. Mit der "Wohnzimmeratmosphäre", so der Richter, sei es dann vorbei.
 

Bernd Heimerl