Ingolstadt
Der Marsch durch die inneren Institutionen

Das Gesicht der 68er-Bewegung: Rainer Langhans hat in seiner Jugend auch in der Region gelebt

26.06.2020 | Stand 23.09.2023, 12:35 Uhr
  −Foto: Bild:WDR, dpa

Ingolstadt/München - Bürgerschreck, Kommunarde, Pudding-Attentäter, Autor, Filmemacher, Dschungelstar und zusammen mit Uschi Obermaier das Traumpaar der 68er-Bewegung: Rainer Langhans ist eine der bekanntesten und schillerndsten Erscheinungen dieser Zeit, seine markante Haarpracht hat fast schon ikonischen Charakter.

Was dagegen kaum bekannt ist: Er hat in seiner Jugend vorübergehend in der Region gelebt.

Der Vater von Rainer Langhans war im Zweiten Weltkrieg als Ingenieur in einem Rüstungsbetrieb tätig. "Wir lebten damals auf einem Landgut in Pommern", erinnert sich der 80-Jährige. Als Kind hat er nicht nur die Tiefflieger gesehen, sondern auch die V2 nach den Starts von dem nicht allzu weit entfernten Peenemünde. Bei Kriegsende flüchtete die Familie nach Jena und 1953 nach Westdeutschland. Sein Vater versuchte, mit verschiedenen Firmen beruflich Fuß zu fassen, scheiterte jedoch öfter. Daher zog die Familie mehrmals um.

Einer dieser Wohnortwechsel führte die inzwischen sechsköpfige Familie Langhans dann in die Region. "Es muss 1954/55 gewesen sein", erzählt Langhans, der an diese kurze Episode seines überaus bewegten Lebens fast keine Erinnerungen mehr hat. Nur eines weiß er: Dass er als Bub zwischen unzähligen Ruinen und Trümmern herumgeklettert ist und ihm das viel Spaß gemacht hat. Über eine weitere Episode, die im Gedächtnis haften geblieben ist, muss er jetzt selber schmunzeln: Ein Besuch beim Friseur kostete damals 50 Pfennig. . .

Familie Langhans lebte seinerzeit vorübergehend in Ebenhausen-Werk, allerdings nicht lange. Die nächste Station war Villingen im Schwarzwald, wo er dann ein Internat besuchte. Nach dem Abitur ging er dann freiwillig zur Bundeswehr, immatrikulierte sich an der Freien Universität Berlin und arbeitete beim SDS (Sozialistischen Deutschen Studentenbund) mit. Der Rest ist Geschichte.

Vor einer Woche hat er seinen 80. Geburtstag gefeiert. Doch Langhans wirkt weitaus jünger. Dabei treibt er keinen Sport, spielt nur ab und zu Tischtennis im Luitpoldpark in München, wo er jeden Tag zu Fuß unterwegs ist. Ganz in der Nähe, in Schwabing, wohnt er seit Jahrzehnten in einem kleinen Appartement. Alleine und doch als einziger Mann in einer Kommune mit vier Frauen, von denen freilich auch jede allein lebt - eine außergewöhnliche Lebensweise.

"Das ist auch anstrengend", räumt Langhans ein, dieses ständige "Aneinander-Arbeiten" sei natürlich nicht frei von Konflikten. Aber einen anderen Weg sieht er nicht. "Selbstrevolutionierung" nennt er das, dieses permanente Streben nach der für ihn eigentlichen, der geistigen Welt. Alles Materielle, das Verlangen nach Geld und Wohlstand, hat er längst hinter sich gelassen. "Besitz beschwert nur", sagt er. Und das gelte natürlich auch für den Besitz an einem Menschen, weshalb er Zweierbeziehungen ablehnt.

Das Eigentliche ist für ihn das Spirituelle, sind die Gedanken, nicht der Körper. Seit den 70er-Jahren, als er von Meister Kirpal Singh initiiert wurde, geht Langhans diesen Weg nach Innen - und nach seinen Erzählungen gelingt ihm bisweilen auch der Übertritt in diese andere Welt, was er eine "Übung des Sterbens" nennt.

Ein Interview mit Rainer Langhans auf einer Bank im Münchener Luitpoldpark ist ohne Zweifel selbst eine außergewöhnliche Erfahrung - wenn man sich darauf einlässt, was nicht einfach ist. Denn sein Denken hat mit dem Mainstream nichts mehr zu tun. Oder ist er doch nur ein Esoteriker, einer, der in den 70ern auf dem Psychotrip hängen geblieben ist? Am Ende gar ein Spinner mit einem "Harem"? Ein Blick in die Vergangenheit ist aufschlussreich.

Rainer Langhans ist Autist (Asperger-Syndrom) und hat ewig gebraucht, bis er es selber kapiert hat. "Ich konnte in der Schule nicht den Mund halten, hatte ein fanatisches Gerechtigkeitsgefühl", erzählt er. Er war unfähig, mit Menschen zu kommunizieren, hatte in der Schule das Gefühl, ein Alien zu sein. "Ich habe die anderen beneidet, weil sie Kinder sein konnten", sagt Langhans: Er war dazu nicht in der Lage. In andere Menschen konnte er sich nicht hineindenken, was seine Eltern früh bemerkten, aber ihm dennoch nicht helfen konnten. Im Laufe der Jahre hat er dann verschiedene Verhaltensweisen erlernt im Umgang mit Menschen. Dennoch: "Ich bin bis heute jemand, der sich verstellt", sagt Langhans mit bemerkenswerter Offenheit.

Immer wieder kommt das Gespräch auch auf die 68er-Zeit. Die Kommune am Stuttgarter Platz und dann in Moabit. "Das war das erste Jahr hinein in eine bessere Welt", sagt Langhans. Das Narrativ, das heute von den 68ern durch die Welt geistere, also freie Liebe, Drogen und Rock'n'Roll, das war laut Langhans nicht alles. Sondern nur eine Seite des Zusammenlebens in der Kommune I. Aber das sei eben das gewesen, was die Medien immer gefragt haben und hören wollten. "Und irgendwann haben wir es ihnen dann so erzählt", sagt Langhans: Gegenseitiger Sex statt allgemeine Zärtlichkeit. Die Kommune, das war für ihn der Vorläufer, die Anfangserfahrung dieser Transformation in eben jene geistige, nicht-stoffliche Welt - ein "Marsch durch die inneren Institutionen". Anders ausgedrückt: "Wir sind nicht der Körper, wir sind im Körper. "

Mit seiner These, dass das Private das eigentlich Politische sei, mit dem Abschied von der politischen Aktion und seinem esoterischen Weg hatte Langhans sich Anfang der 70er-Jahre den Zorn seiner ehemaligen Kommunarden zugezogen, so sehr, dass er von ihnen sogar bedroht worden ist, wie er sagt. Doch in seinem Koordinatensystem geht es seitdem nicht um mehr "rechts" oder "links", sondern um die Entscheidung zwischen einem materialistischen oder einem spirituellen Weg. Und weil die Linke eben immer noch klar positioniert sei, den alten Denkschemata folge, kann Langhans damit nichts mehr anfangen.

Technik und Wissenschaft als alleinige Lösungsansätze, das funktioniert nicht, sagt der weitgehend vegan lebende Langhans: Das habe für ihn die Erfahrung aus der Geschichte gezeigt. "Wir bringen uns um, wenn wir so weitermachen, das ist selbstmörderisch", sagt er beispielsweise zur Klimafrage. Und auch die Aufklärung habe versagt, sie reiche nicht aus und sei bisweilen nichts als eine "Schönrednerei des Materialismus". Dabei ist der Alt-68er, der seinerzeit natürlich eifrig wie fast alle anderen Marx, Adorno und Horkheimer studiert hat, nicht grundsätzlich dagegen. "Wir brauchen eine Aufklärung 2.0", sagt er.

Ein Mittel auf diesem Weg ist für ihn das Internet. Wenn jeder mit jedem vernetzt ist, dann vermittle das so etwas wie ein "globales Bewusstsein, dann wird auf einmal der Sack Reis wichtig, der in China umfällt". Das Internet ist für ihn ein Medium für ungeahnte, weltweite Kreativität. Ängste, Bedenken oder Widerstände dagegen, da ist Langhans zuversichtlich, werden einmal überwunden werden - wenn man sich denn vom Besitzdenken in jeder Form verabschiedet. "Das Internet ermöglicht uns einmal, als Freunde zu leben", prophezeit er. Es wäre zu schön, wenn er recht behalten würde.

DK

Bernhard Pehl