Ingolstadt
Das Werden einer Großstadt

Alt-OB Peter Schnell blickte auf Einladung des Historischen Vereins auf seine Amtszeit zurück

17.01.2019 | Stand 23.09.2023, 5:40 Uhr
Die Entwicklung der Stadt hat Alt-OB Peter Schnell maßgeblich geprägt. Eine der ersten Fußgängerzonen Deutschlands entstand 1976 in Ingolstadt. Zuvor wurde die Ludwigstraße (oben) neu gestaltet. Weitere Schritte auf dem Weg zur Großstadt waren etwa die Grundsteinlegung des Klinikums im Juli 1977 mit Sozialstaatssekretär Hans Vorndran (unten links), die Landesgartenschau 1992 mit der Sanierung der Klenze-Bauten oder die Hochschul-Gründungen mit Wirtschaftswissenschaftlicher Fakultät und später THI (unten rechts). −Foto: Archiv, Hauser

Ingolstadt (DK) Seit fast 30 Jahren ist Ingolstadt nunmehr Großstadt - und wer könnte mehr und besser darüber erzählen als Peter Schnell? 30 Jahre hatte der Ehrenbürger an der Spitze der Stadt gestanden, in der er die Weichen maßgeblich gestellt hat. Auf Einladung des Historischen Vereins blickte er zurück auf das Werden einer Großstadt.

So schön der Abend auch endete, so schlecht hatte er begonnen. Denn der Saal des Gasthauses Daniel stand zunächst nicht zur Verfügung - obwohl er Wochen zuvor reserviert worden war. Matthias Schickel, Vorsitzender des Historischen Vereins, war jedenfalls nicht besonders amused, als er eine halbe Stunde vor Beginn des Vortrags erfuhr, dass im Saal immer noch eine Beerdigungsfeier mit 80 Gästen stattfand. Auch ein kurzfristiges Ausweichen auf die Gaststube im Erdgeschoss erwies sich als hoffnungsloses Unterfangen - der Platz reichte hinten und vorne nicht. Schickel sah sich zu seinem großen Bedauern gezwungen, zahlreiche Interessierte abzuweisen: "Da hat der Historische Verein schon mal eine Veranstaltung, zu der wirklich viele Leute kommen, und dann müssen wir sie heimschicken." Kurze Zeit später konnten die Zuhörer (darunter auch Bürgermeister Sepp Mißlbeck und Stadträte verschiedener Couleur) aber doch noch im Saal Platz nehmen, der bis zum letzten Stuhl gefüllt war. Der Historische Verein ist am Überlegen, einen zweiten Termin anzubieten.

AUF AUGENHÖHE

Für Peter Schnell (kleines Foto) war der Vortrag über das Werden der Großstadt Ingolstadt gleichsam ein Spaziergang durch Teile seiner eigenen Biografie. "Zurückschauen tut nicht weh", sagte der 83-Jährige, wie immer korrekt gekleidet, und begann mit einem Blick in die 60er-Jahre. Amtsrichter war er damals, und das sei sein Lebenstraum gewesen. "Ich wollte gar nicht in die Politik, ich war glücklich." Dann das Jahr 1966: Die CSU verlor die Kommunalwahl, die SPD stellte den Oberbürgermeister, und Ingolstadt, so schien es, war für die Schwarzen verloren. Ganz anders verlief das Jahr für Schnell, für den ein neuer Lebensabschnitt begann: Er zog für die CSU in den Bayerischen Landtag ein - und erlebte kurz darauf den Beginn einer anderen Zeit: Die 68er gingen auf die Straße und starteten bald darauf ihren Marsch durch die Institutionen. Doch ein Peter Schnell ließ sich davon nicht schrecken: "Es war mir wichtig, mit allen ins Gespräch zu kommen", beschreibt der Alt-OB eine Haltung, die er Zeit seines Lebens gepflegt hat und die alle, die mit ihm zu tun haben und hatten, an ihm schätzen.

Sechs Jahre später stellte sich der Sohn eines Lokführers dann tatsächlich dem Votum der Ingolstädter. "Es bestand ja keine Gefahr, gewählt zu werden", bemerkte er trocken. Doch dann die große Überraschung: Er eroberte 1972 den OB-Sessel. Und das, obwohl sogar in Zeitungsanzeigen gegen ihn gewettert wurde: "Wer Schnell wählt, verhindert das Klinikum", stand da zu lesen. Denn dieser hatte sich in seinem Programm dafür ausgesprochen, das ursprünglich an der Friedenskaserne geplante Klinikum auf die grüne Wiese zu verlegen - aus Platzgründen. Anfangs durchaus umstritten, sollte sich diese Entscheidung später als goldrichtig erweisen.

Auch bei seinem zweiten großen Vorstoß sollte Schnell ein glückliches Händchen haben. "Der Schliffelmarkt, der ganze Verkehr, das war eine Hypothek für die Altstadt", erinnerte er sich. Die Innenstadt drohte auszubluten, kein Hausbesitzer wollte mehr investieren. Die Idee: Die heutige Fußgängerzone in der Adventszeit probeweise für den Verkehr sperren. Gegen größte Widerstände, darunter der frühere DK-Verleger Wilhelm Reissmüller, setzte der junge OB das Experiment durch - mit Erfolg, wie wir heute wissen. Parallel dazu wurden erste Tiefgaragen gebaut und die Stadt mit Fördermitteln saniert.

Großen Wert legte Schnell auf die Sanierung alter Gebäude - auch wenn viele Schanzer gerade über die Militärbauten ein vernichtendes Urteil fällten: "Des oide Glump muas weg!" Die Sanierung des Kavaliers Hepp - Schnells einziges Wahlversprechen - und der Einzug von Stadtmuseum und Stadtarchiv straften alle Kritiker Lügen. Nach und nach wurden die übrigen Militärbauten (soweit sie noch standen) saniert, nachdem man die hohe Qualität dieser Gebäude und die prägende Wirkung auf das Stadtbild erkannt und zu schätzen gelernt hatte. "Das ist das historische Kapital der Stadt." In der Folge fanden weitere historische Gebäude eine neue Nutzung: Herzogskasten (gehörte der Bäckereinkaufsgenossenschaft) oder Reitschule (Standort der Feuerwehr und damals schon viel zu klein), um nur einige zu nennen.

Heute kaum mehr vorstellbar, war Ingolstadt in den 70er-Jahren eine der ärmsten Städte Bayerns. Die Antwort darauf: Erhöhung der Gewerbesteuer und Ausweisung neuer Gewerbegebiete an der Manchinger Straße. "Wir hatten auch den Mut, Schulden zu machen", erinnert sich das langjährige Mitglied des Historischen Vereins an den Bau der Schulzentren.

Ein zweischneidiges Schwert war laut Schnell der Aufschwung der guten alten Schanz zum bayerischen Energiezentrum. "Da wurden wir beneidet", erinnert er sich. Aber die Gewerbesteuereinnahmen sprudelten dann doch nicht so üppig, während die Schadstoffemissionen im "Bayerischen Ruhrgebiet" enorm waren. In den 80er-Jahren geriet die Müllverwertungsanlage in Mailing in die Schlagzeilen: Die Dioxinwerte waren viel zu hoch, in Mailing gründete sich eine Bürgerinitiative. Mit Hilfe von zwei damaligen Mailinger Stadträten war es Schnell ein großes Anliegen, zu reagieren, auf die Betroffenen zuzugehen und sie einzubinden.

KERN DER GROSSSTADT

Doch was macht nun im Kern eine Großstadt aus? "Das Klinikum und das Theater sind Teile des Oberzentrums Ingolstadt", erklärte Schnell. Fehlte damals nur noch ein Landgericht, das mit Hilfe von Hermann Regensburger gegründet werden konnte. Und eine universitäre Einrichtung wie die Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät, die nicht nur Schnells Meinung nach auch nach Ingolstadt gehört, sowie die THI, ein "Glücksfall". Viele Ingolstädter erinnern sich heute noch an die Landesgartenschau 1992, laut Schnell ein "urbanes Erlebnis" und ein Aufbruch, der eine Gewerbebrache in einen innenstadtnahen Park verwandelte. Die Partnerstädte lagen ihm immer besonders am Herzen. So erinnerte der Alt-OB an die Scheiner-Gymnasiasten, die einst Michael Gorbatschow einen Brief schrieben zwecks Gründung einer Schulpartnerschaft, oder an den SPD-Antrag, mit Murska Sobota (1600 Menschen aus der Stadt lebten in Ingolstadt) eine Partnerschaft ins Leben zu rufen. Reaktion der CSU-Fraktion: "Des san doch lauter Kommunisten!"

"Sein" Ingolstadt sieht der Ehrenbürger der Stadt auf einem guten Weg. Eindringlich sein Plädoyer für einen respektvollen Umgang miteinander - auch und gerade bei unterschiedlichen Meinungen. "Und", so der eifrige Theatergänger, "es lohnt sich, auf die Zukunft des Theaters zu setzen und daran zu glauben."

Bernhard Pehl