Ingolstadt
Singen gegen die Einsamkeit

Besuchsverbot im Heim: Skypen und mehr Betreuungsangebote - Erschwerte Bedingungen für Pflegedienste

20.03.2020 | Stand 02.12.2020, 11:41 Uhr
Singen auf den Balkonen: Wie jüngst in Italien lenken sich die Menschen im Matthäus-Stift (Fotos) und im Bienengarten mit Musik von der Corona-Krise ab. Ehrenamtliche spielen im Innenhof auf, die Bewohner stehen auf den Balkonen oder am Fenster. −Foto: Diakonie

Ingolstadt - Normalerweise geht Bernd Rachner im Heilig-Geist-Spital ein und aus.

Er besucht regelmäßig seine dort lebende 97-jährige Mutter, engagiert sich zudem beim Förderverein Heilig-Geist-Spital für die Belange der Bewohner. Gegenwärtig freilich ist ihm, genau wie allen anderen Angehörigen der Bewohner von Seniorenheimen, der Besuch verwehrt. Aufgrund der seit Mitternacht geltenden Ausgangsbeschränkung sowieso. Doch schon seit einer Woche herrscht in allen Senioren-Einrichtungen ein Besuchsverbot wegen Corona - um gerade die zu schützen, die zur größten Risikogruppe gehören.

Bernd Rachner und sein Bruder halten in diesen unruhigen Zeiten Kontakt über Telefon zur Mutter. Wenngleich Telefonate zumindest im Fall seiner hoch betagten Mutter schwierig seien, wie Rachner erzählt. "Richtige Gespräche sind das nicht. " Die Heimbewohner hätten sich mit der Maßnahme arrangiert. "Ich glaube, alte Leute haben da mehr Verständnis als manche Junge", sagt Rachner. Es sei jetzt "ganz wichtig, dass die Angehörigen vernünftig sind".

Der Förderverein Heilig-Geist-Spital-Stiftung sucht gerade nach einer Lösung, wie man mit den Heimbewohnern über Skype zumindest visuell verbunden bleiben kann. "Wir überlegen gerade, in jeder Station ein Tablet hinzustellen, das die Schwestern dann, wenn ein Anruf kommt, den Bewohnern bringen könnten", so Rachner. Ob das eine Möglichkeit wäre, werde von der Heimleitung derzeit geprüft.

Auch andere Heime setzen auf die virtuelle Kommunikation. In den beiden Heimen der Diakonie, Matthäus-Stift und Bienengarten, richte man derzeit ein, die Pflegedokumentation über iPad zu erledigen. Via Skype können die Bewohner dann mit ihren Angehörigen kommunizieren, sagt der Fachbereichsleiter Gesundheit, Senioren und Pflege, Jürgen Simon Müller. Im Caritas-Altenheim St. Pius werde ebenfalls gerade Videotelefonie entwickelt, so Einrichtungsleiterin Sandra Mohr. Insgesamt werde das Besuchsverbot sehr sehr positiv aufgenommen, sagen Müller und Mohr übereinstimmend. "Unsere Bewohner sind froh. Sie werden ja dadurch geschützt", so Mohr. Sie beschäftigten sich untereinander, nutzten die im Heim angebotenen Betreuungsangebote, gingen in den Garten, an die frische Luft.

In den beiden Einrichtungen der Diakonie begegnen die Bewohner der ungewohnten Situation mit Musik. "Ehrenamtliche musizieren regelmäßig im Innenhof für die Bewohnerinnen und Bewohner, die auf den Balkonen und an den Fenstern mitsingen", erzählt Müller.

Die Angehörigen gehen sehr verständnisvoll mit dem Thema um, so Mohr. Für begründete Ausnahmefälle werde das Besuchsverbot gelockert. Etwa, um einem sterbenden Besucher den Abschied von seinen Liebsten zu ermöglichen.

Auch für das Personal gelten in diesen Tagen strenge Regeln. Sie kommen von außen und dürfen das Virus nicht ins Heim hineintragen. Deshalb müssen auch die persönlichen Kontakte des Pflegepersonals stark eingeschränkt werden, betont Sandra Mohr. "Unsere Mitarbeiter sind sehr verständnisvoll. " Man habe schließlich den gesellschaftlichen Auftrag, die Bevölkerung weiter zu versorgen. Für Kinder von Mitarbeitern habe man über die zur Caritas gehörende Erziehungs- und Familienberatung untereinander eine Kinderbetreuung organisiert. "Wir unterstützen uns gegenseitig. "

Schweren Zeiten sehen sich auch die ambulanten Pflegedienste gegenüber. Sie sind ebenfalls "systemrelevant", müssen die Versorgung aufrecht erhalten. Doch auch ihnen brechen derzeit viele Aufträge weg. "Das kann existenzbedrohend sein", sagt Christian Ponzer, Inhaber des gleichnamigen Pflegedienstes in Gaimersheim. Er fühlt sich von der Politik alleingelassen. Insbesondere im hauswirtschaftlichen Bereich werde derzeit viel storniert. Wenn überhaupt abgesagt werde. Auch die Besorgung der Rezepte bei den Ärzten für die Patienten laufe chaotisch. Viele Praxen hätten nur noch ein paar Stunden Sprechstunde. "Dann stehen Sie in der Warteschlange. "

1,50 Meter Abstand halten? Für Mitarbeiter von Pflegediensten sei das, etwa bei der Körperpflege, nicht möglich. Ponzer hofft, dass sich niemand seiner Leute infiziert. "Wer einen Corona-Fall im Pflegedienst hat, kann zusperren. " Mit Schutzkleidung seien zumindest seine Leute gut ausgerüstet, so Ponzer. Für die 30 Mitarbeiter habe es zu Beginn der Corona-Krise eine Einweisung mit Verhaltensregeln gegeben. Oberste Regel auch hier: Hygiene! Und noch mehr Händewaschen und Desinfizieren als sonst. Nicht alle hätten für die geltenden Schutzmaßnahmen Verständnis. Manche beschwerten sich etwa über den durch den Schutz anfallenden Müll.

Dennoch: Gerade in solchen Zeiten ist der Pflegedienst oft auch als Seelsorger gefragt. "Die Leute sitzen vor dem Fernseher und sehen sich eine Corona-Sondersendung nach der anderen an", erzählt Ponzer. Und seien dann "fix und fertig", wie vor allem Mitarbeiter der Spätschicht beobachtet hätten. Dann dauert der Kontakt, der eigentlich möglichst kurz sein soll, auch mal länger.

DK