Ingolstadt
Konzert vor leeren Rängen

Livemusik trotz Corona: Ingolstadts erstes Streaming-Festival geht problemlos über die Bühne

24.05.2020 | Stand 02.12.2020, 11:18 Uhr
  −Foto: Brandl

Ingolstadt - Die Luft vibriert im Kulturzentrum Neun.

 

Sie ist aufgeladen mit Hochspannung. Als würde irgendwo in der halbdunklen Halle ein gekapptes Stromkabel zuckend von der Decke baumeln und Funken versprühen. Die Neun wirkt für den Anlass ungewöhnlich aufgeräumt. Die Atmosphäre erinnert an ein Fernsehstudio. Lediglich einige Kabel schlängeln sich über den Boden, wo sonst nur vereinzelt Instrumentenkoffer abgestellt sind. Die Techniker und Kameraleute - sie werden vom Halbdunkel nahezu verschluckt. Auf dem Display eines Laptops zählt die eingeblendete Uhr in riesigen weißen Ziffern die Minuten und Sekunden bis zum Start herunter.

Bis zur Premiere des ersten Ingolstädter Streaming-Festivals dauert es noch knapp eine Viertelstunde. Dann müssen alle Zahnräder präzise ineinander greifen. Jeder und alles muss funktionieren. Verspätungen oder gar ein technischer Kollaps wären der Super-GAU. Denn das, was an musikalischen Beiträgen in den nächsten mehr als drei Stunden von der Neun und zwei weiteren Bühnen in Ingolstadt (Neue Welt und Theaterfestsaal) aus übers Internet hinaus in die Welt gesendet wird, ist live und in Farbe. Nur die Zuschauer vor Ort fehlen.

Knapp 30 kurze Auftritte stehen auf dem Programm. Darunter viele Künstler, die in Ingolstadts Musikszene und darüber hinaus Rang und Namen haben (siehe Bericht im Kulturteil). Sie spielen an diesem Abend nach oftmals mehrmonatiger Zwangspause wegen Corona gemeinsam für ihr Publikum. Gerade eben noch stehen Ingolstadts OB Christian Scharpf, der auch Schirmherr der Veranstaltung ist, und die Musiker von SchutterNeun zur Generalprobe auf der Bühne. Sie werden gleich den Auftakt zum Festival setzen.

Moderator Andreas M. Hofmeir stapft - alles im Blick - wie gewohnt barfuß durch die Halle und probt zwischendurch wie besessen auf der Tuba. Der Musiker erfüllt heute Abend gleich mehrere Aufgaben, steht mehrmals spielend auf der Bühne, ist in der Regiekanzel präsent und übernimmt die Moderation, die von einem improvisierten Séparée aus gesendet wird - ausgeschmückt mit der Kulisse, die der Künstler sonst für sein Bühnenformat "Wer dablost`s? " verwendet.

 

Beim Auftakt mit dabei sind auch Ingolstadts Kulturreferent Gabriel Engert und Tobias Klein, Geschäftsführer der Ingolstädter Veranstaltungs GmbH - zusammen mit dem DONAUKURIER und seinem Kulturredakteur Jesko Schulze-Reimpell, der ebenso anwesend ist, Veranstalter des Abends.

Es wird ernst. Der OB (mit Saxofon) und die Band betreten die Bühne und nehmen ihre Positionen ein. Kurz gibt eine Trompete Laut. Ein leises Pfeifen, das offenbar Gelassenheit versprühen soll, übertüncht das Lampenfieber. Doch noch immer ertönt keine Musik. Erst begrüßt der Schirmherr die Zuhörer draußen und verspricht: "Wenig Worte, viel Musik, viel Vergnügen". Dann spricht Hofmeir und schwelgt offenbar für einen Moment in Erinnerungen an das legendäre Live Aid Konzert 1985, als er euphorisch und freilich nicht ernst gemeint "15 Stunden Schanzer Kulturgenuss" ankündigt.

Die ersten Titel entfachen gleich Sogwirkung. Scharpf, SchutterNeun und Hofmeir heizen mit flotten Jazzklängen ein. Das einzige, das anschließend bescheiden ausfällt, ist der Beifall. Engert und Klein applaudieren den Musikern nach ihrem Auftritt aus dem Finstern zu. Zwei Paar klatschende Hände - das klingt natürlich etwas müde, was aber zählt ist die symbolische Geste des Zuspruchs, der ansonsten - für die Künstler nicht vernehmbar - vor den Bildschirmen daheim zum Ausdruck kommt.

"Die Band ist eine tolle Liga, eigentlich dürfte ich da gar nicht mitspielen", sagt Scharpf anschließend und lobt die "logistische Meisterleistung", die für den Abend auf die Beine gestellt worden sei. Das restliche Programm, an dem auch seine Frau Stephanie Geith als Pianistin mitwirkt, wolle er sich daheim anschauen. Politik und Musik würden sich gut vertragen, findet der OB. Es sei das passende Kontrastprogramm, gehe es in der Politik doch nicht immer so harmonisch zu.

 

"Streaming ist aufregend, aber der Applaus fehlt", sagt Percussionist Charly Böck nach seinem Auftritt. "Es ist aber super, dass man nach der langen Zeit überhaupt zusammen spielen kann", ergänzt er. Es sei ein erstes Streaming-Konzert gewesen. "Es fehlt das Echte. Das Streamen hat außerdem sehr zugenommen. Die Jüngeren tun sich da vielleicht leichter", so sein Fazit.

Hans Ziller hat mit Bonfire soeben seinen Auftritt in der Neuen Welt absolviert - nicht zum ersten Mal im Stream-Modus. "Wir haben das schon in Ludwigsburg und Augsburg gemacht, das ist überall gleich", sagt er. Was für eine Hardrock- Band jedoch schwer sei, das ist das Abstandhalten auf der Bühne. "Das ist vollkommen ungewohnt, in der jetzigen Zeit greift man aber nach jedem Strohhalm", so der Gitarrist, der zugleich die "tolle Organisation" hervorhebt.

Claudius Konrad in der Neuen Welt und danach Pauli and the Komets in der Halle Neun setzen derweil auf ruhige, geerdete Töne, bevor mit DJ HolyB der psychedelische Kosmos der elektrischen Klangerzeugung zum Leben erweckt wird - wiederum in der Neuen Welt. Das Georgische Kammerorchester hat bereits zwei Auftritte absolviert. Es folgen Alexander Suleiman am Cello und OB-Gattin Stefanie Geith am Klavier, die Rachmaninow interpretieren. Später wird das GKO hier den musikalischen Ausklang des Festivals setzen.

In der Neun gibt zuvor noch Austria 4+ altbekannten Austropop zum Besten. Auch Tobias Klein ist rechtzeitig wieder im Basislager des Festivals eingetroffen. Ihn suchen auf dem Weg in die Halle bereits Visionen von einer Neuauflage heim. Dann womöglich mit weiteren Teilnehmern und Luftbildern von der Donau bei Nacht, aufgenommen von einer Drohne. Das alles sei aber längst nicht spruchreif, betont er klar. Zunächst müsse aus dem Abend ein Fazit gezogen werden. Das macht kurz nach dem Ende der Show auch Andreas M. Hofmeir. Er hebt die Vielfalt der regionalen Musik hervor und hofft, dass die Leute auf die Künstler neugierig geworden sind.

DK