Ingolstadt
Charakterstudien

Mordprozess: Schwurgericht will mehr über Wesen von Opfer und mutmaßlichem Täter erfahren

24.08.2020 | Stand 02.12.2020, 10:42 Uhr

Ingolstadt - Es ist die angekündigte akribische Kleinarbeit: Am dritten Verhandlungstag hat sich das Ingolstädter Schwurgericht im Haunwöhrer Mordfall mit einer ganzen Reihe von Zeugen beschäftigt, die Bruchstücke zu einem Gesamtbild beitragen können.

Zentrale Fragen dabei: Was für ein Mensch war die in ihrem Haus ermordete 80-jährige Witwe, wie wurde der Angeklagte von seiner Umgebung wahrgenommen, und wie kam der junge Brasilianer, sollte er der Täter sein, überhaupt in Kontakt mit dem Opfer?

Wie berichtet, hatte der zuletzt im Landkreis Eichstätt gemeldete 27-Jährige - er wird in Kürze 28 - wenige Tage vor der Bluttat beim Umzug einer Bekannten geholfen, die in einer Wohnung im Mietshaus der Rentnerin (direkt neben deren Anwesen gelegen) gelebt hatte, der aber nach Streitigkeiten gekündigt worden war. Bei dem Umzug soll dieser Streit länger Gesprächsthema gewesen sein, der Angeklagte soll sich hier auch kritisch über die Vermieterin geäußert haben, die allgemein als schwierig galt.

Die Frau war einigen Zeugenaussagen zufolge an dem bewussten Tag in dem Haus aufgetaucht und hatte angeblich durch den Möbeltransport im Treppenhaus entstandene kleinere Schäden beanstandet. Ob sich die Wege des jetzigen Angeklagten und des späteren Opfers hier wirklich gekreuzt haben, bleibt aber unklar.

Der Witwe war offenbar daran gelegen gewesen, in ihrem Mietshaus möglichst schnell eine Wohnung frei zu bekommen, weil sie auf der Suche nach einem neuen Mieter war, der sich auch um ihr Anwesen und womöglich auch pflegerisch um sie selber kümmern sollte. Deshalb hatte sie kurz vor ihrem gewaltsamen Tod auch eine entsprechende Anzeige im DONAUKURIER aufgegeben. Die Polizei ermittelte bei der Suche nach dem Täter routinemäßig auch die Adressen von Menschen, die sich auf diese Anzeige hin gemeldet hatten - einige auch erst, nachdem die Frau bereits tot war.

Eine Pfaffenhofener Rechtsanwältin, die zuletzt in Mietsachen für die Rentnerin aus Haunwöhr tätig gewesen war, schilderte ihre Mandantin als "schwierig". Sie habe sich schon mal "sehr abschätzig" über ihre Mieter geäußert, habe die bewusste Mieterin, die dann tatsächlich auszog, "unbedingt loswerden" wollen, um schnell über deren Wohnung verfügen zu können.

Für die Strafkammer und Beobachter wird, was das Opfer angeht, durch diese und einige andere Aussagen nach und nach das Bild einer recht eigenwilligen, herrischen Persönlichkeit sichtbar, was aber längst noch nicht hilft, die Umstände des Mordes aufzuklären.

Auf der anderen Seite muss zwangsläufig auch nach dem Naturell des Angeklagten geforscht werden. Hierzu wurde am Montag ein langjähriger Freund des Mannes, ebenfalls gebürtiger Brasilianer, befragt. Er schilderte den früheren Kumpel - man hatte sich vor zwei Jahren über einen Streit entfremdet - als durchaus gutmütig und hilfsbereit. Im Fußballteam, dem beide angehört hatten, sei er deshalb beliebt gewesen. Gewalttätig habe er den Freund nie erlebt. Als er erstmals von dem Mordvorwurf gegen den "Amigo" gehört habe, so der Zeuge, habe ihm deshalb "der Atem gestockt".

Allerdings ist der Angeklagte längst kein unbeschriebenes Blatt mehr. Wiederholt wurde vor Gericht bereits angedeutet, dass er einige polizeiliche Einträge aufweist, wohl auch wegen Körperverletzung. Einzelheiten werden hierzu erst zu einem späteren Zeitpunkt genannt, wenn der aktuelle Auszug aus dem Bundeszentralregister offiziell im Verfahren verlesen wird. Von Zeugen angesprochen wurden auch schon ein angebliches früheres Alkoholproblem des jungen Mannes und eine entsprechende Therapie im vergangenen Jahr.

Bei Laboruntersuchungen nach seiner Verhaftung fanden sich allerdings keine Hinweise auf exzessiven Alkoholkonsum in den Wochen und Monaten vor der Gewalttat. Eine Haaranalyse gab für einen Zeitraum von drei bis fünf Monaten lediglich Anhaltspunkte für gelegentliche, keinesfalls übertriebene Alkoholaufnahme des Körpers. Auf Drogenkonsum gab es überhaupt keine Hinweise. Auch eine Blutprobe unmittelbar nach der Festnahme (fünf Tage nach dem Tatzeitpunkt) lieferte keine Spuren für frischeren Drogen- oder Alkoholkonsum.

Die Staatsanwaltschaft geht in ihrer Anklageschrift - offenbar auch eingedenk fehlender Hinweise auf eine psychische Störung des Angeklagten - von einer vollen Einsichts- und Steuerungsfähigkeit während der (mutmaßlichen) Tatausführung aus.

Was mögliche Beweismittel angeht, so hat die Polizei in den Tagen nach der Verhaftung des Tatverdächtigen auch nach zwei Koffern und einigen Schmuckschatullen gesucht, die er aus dem Haus des Opfers mitgenommen haben soll. Einige Koffer waren angeblich kurz von der Schwester des Angeklagten in einem Schuppen an deren Haus gesichtet worden. Ob es sich um die fraglichen aus dem Anwesen in Haunwöhr gehandelt hat, bleibt unklar. Die Schwester hat inzwischen von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht. Die Ermittler sichteten vorsorglich Videomaterial aus der Mailinger Müllverbrennungsanlage aus den Tagen nach der Mordtat, ohne dass sich dort Hinweise auf den Verbleib der Reisebehälter fanden.

Wohl aber waren zwei leere Schmuckschatullen in einem Mülleimer am Haus der Schwester gefunden worden, die aus dem Besitz der ermordeten Rentnerin stammen könnten. Die Pappschachteln waren vom Landeskriminalamt spurentechnisch untersucht worden; das Ergebnis wird wohl demnächst im Prozess noch zur Sprache kommen. Die Verhandlung wird an diesem Dienstag fortgesetzt.

DK