Ingolstadt
Den Papierkram im Griff

Wie Studenten und der Integrationscampus der TH Ingolstadt Flüchtlingen den Bildungsweg ebnen

02.08.2018 | Stand 23.09.2023, 4:18 Uhr
Bewerben in Deutschland ist gar nicht so einfach: Mohammad Almaowas, Waseem Eesa (beide aus Syrien), Tim Mayer (consult.IN), Behzad Ayubi (Afghanistan), Philip Oepen (consult.IN) und Verena Sennefelder (Integrationscampus) wissen, wie es richtig geht. −Foto: Foto: Richter

Ingolstadt (DK) Andere Länder, andere Sitten - diese Feststellung trifft gerade in der Arbeitswelt und im Bildungswesen zu. Wer aus seiner Heimat flüchtet und hierzulande studieren oder eine Stelle finden will, kommt oft nicht klar. Den Flüchtlingen eine Chance geben, das ist erklärtes Ziel des Integrationscampus der Technischen Hochschule Ingolstadt (THI) und eines Projekts von consult.IN, einer studentischen Unternehmensberatung.

"In Afghanistan, wo ich herkomme, akzeptieren sie eine Bewerbung nicht, wenn du den Lebenslauf am PC schreibst", erzählt Behzad Ayubi. "Da nehme ich ein Blatt Papier und einen Stift und schreibe alles mit der Hand - ohne Adresse, nur mit einer Telefonnummer. Hier ist das alles anders." Der Syrer Waseem Eesa nickt, er kennt das Problem ebenfalls. "Bei uns im Land braucht man auch kein offizielles Anschreiben. Das ist weniger förmlich als in Deutschland." Eine Erfahrung, die sein Landsmann Mohammad Almaowas bestätigt. Die drei Männer teilen ein gemeinsames Schicksal: Nach der Flucht aus der Heimat sind sie glücklich, in Frieden leben zu können. Aber sie wollen nicht tatenlos herumsitzen, während ihr Asylverfahren sich hinzieht, sondern an ihrer Zukunft bauen. Nur wie packt man das erfolgreich an?

Hier kommt ein Bewerbungstraining von consult.IN ins Spiel, in Kooperation mit dem Integrationscampus des Instituts für akademische Weiterbildung an der TH Ingolstadt. Letzterer betreibt mit der Stadt Ingolstadt ein Qualifizierungsprogramm für Flüchtlinge mit angefangenem Studium in ihrer Heimat, in Deutschland nicht anerkanntem Studium oder nicht anerkannter Hochschulzugangsberechtigung. Im Fokus stehen etwa der Spracherwerb mit den Schwerpunkten Deutsch und Englisch sowie unter anderem Kurse in Wirtschaft und Technik.

Die Erfahrungen dieser Plattform will Tim Mayer von consult.IN als einer der Ideengeber für das Bewerbungstraining nutzen. "Und für uns kam die Anfrage wie gerufen", sagt Verena Sennefelder, Projektleiterin des Campus. "Alle unsere Teilnehmer wollen Praktika machen oder später mal arbeiten, da ist das wirklich sehr hilfreich."

Die studentische Unternehmungsberatung consult.IN bietet normalerweise Firmen ihre Leistungen an, um ihnen mit aktuellem Hochschulwissen und frischem, unvoreingenommenem Blick zur Seite zu stehen und neueste Methoden der Ingenieurs- und Wirtschaftswissenschaften in die Praxis einzubringen. In diesem Fall wollen die Studenten aber kein Geld machen, sondern "jungen, motivierten Flüchtlingen helfen, in ihren ersten Jahren in Deutschland Fuß zu fassen, indem sie ihre bildungsgerichteten sowie beruflichen Ziele erreichen", heißt es in der Zielbeschreibung ihres Projekts.

Ein erster Workshop hat testweise bereits stattgefunden. Eines haben die teilnehmenden Flüchtlinge schnell gelernt: Der Mensch geht bei Bewerbungen in Deutschland oft ein wenig verloren, im Vordergrund steht die Sache: lückenloser Lebenslauf, förmliches Anschreiben, bisherige Qualifikationen und Zeugnisse. "Ein handgeschriebener Lebenslauf mag zwar romantisch sein, aber er wird nachteilig für den Bewerber gesehen", sagt Philip Oepen von consult.IN. Ob einer trotz vielleicht nicht ganz so herausragender Noten dennoch geeignet ist, weil er einen Arbeits- oder Studienplatz mit ganzem Herzen und voller Überzeugung ausfüllen möchte, bleibe da auf der Strecke, findet die Runde.

Im Oktober - mit Start des neuen Studienjahrs - soll das consult.IN-Projekt unter dem Dach des Integrationscampus richtig losgehen. Drei bis vier Workshops pro Semester für Flüchtlinge sind geplant, zunächst für zwei Jahre. Mohammad Almaowas, Waseem Eesa und Behzad Ayubi sind als Teilnehmer des Testlaufs überzeugt: "Wir haben viel gelernt, es lohnt sich auf jeden Fall." Schließlich wollen sie Land und Leute hier verstehen und sich integrieren.
 

Horst Richter