Greding
"Schön, dass du wieder da bist"

Seit zehn Jahren trifft sich der Ortsverein des Blauen Kreuzes in Greding

05.07.2018 | Stand 23.09.2023, 3:38 Uhr
Der Griff zur Flasche - wer in den Sog der Abhängigkeit gerät, der findet oft nur mit einer Therapie wieder aus der Suchtspirale. Doch auch Nachsorge ist wichtig - dafür gibt es die Treffen der Anonymen Alkoholiker. −Foto: Schmidt/dpa

Greding (HK) "Jeder Alkoholiker braucht einen Tiefpunkt", sagt Wilfried Prennig. Bei ihm war dieser erreicht, als er in der Klinik aufwachte, bei Karl Wechsler war es der Moment, in dem ihm der Führerschein abgenommen wurde. Obwohl sie seit vielen Jahren trocken sind, besuchen beide die Selbsthilfegruppe des Blauen Kreuzes in Greding. Heuer wird der 10. Geburtstag gefeiert.

Doch das ist nicht der einzige runde Geburtstag, über den sich die Mitglieder der Gruppe freuen. Vor 50 Jahren wurde Alkoholismus durch ein Urteil des Bundessozialgerichts als Krankheit anerkannt. Eine, die sich viele lange Zeit nicht eingestehen wollen. Manchmal ist es dann auch zu spät, wie bei Wilfried Prennigs Bruder. "Er hat es nicht eingesehen. ,Die anderen trinken doch auch' hat er gesagt. Aber ich denke, er hat genau gewusst, wie es um ihn steht."

Im Gegensatz zu seinem Bruder bekam er vor 20 Jahren die Kurve, indem er eine Therapie machte und sich anschließend der Ortsgruppe in Heideck anschloss. "Nur du allein schaffst es, aber du schaffst es nicht allein", sagt seine Frau Vera, die ihn zu den Treffen auch heute noch begleitet. Prennig nickt dazu. "Therapie ist gut, Nachsorge ist besser." Es sei wichtig, dass sich der Alkoholkranke einmal die Woche vor Menschen äußern könne, die verstehen, was er durchmacht. "Eine Woche ist nicht so lang", sagt seine Frau, das könne man sich als Ziel setzen und sich dann den Druck von der Seele reden.

Muss man aber nicht. "Wir stürzen uns nicht wie die Geier auf jemanden", sagt der 65-Jährige. Wenn jemand neu dazu kommt, stellen sich zunächst die anderen vor. Dann kann der Neue entscheiden, ob er sprechen möchte. Meistens ist das der Fall. "Viele reden wie ein Wasserfall", denn sie fühlen sich oft zum ersten Mal mit ihrem Problem ernst genommen. Das Eingeständnis vor sich selbst, aber auch vor anderen falle vielen schwer, sagt Prennig. Vor anderen Alkoholikern sei das leichter. Wichtig ist ihm nur, dass das Gesprochene im Raum bleibt, "man ehrlich zu sich und den anderen ist und in der Ich-Form spricht", verweist er auf die Regeln, die auch ausgedruckt an der Wand hängen.

Dabei ist nicht nur die Sucht, sondern auch der Umgang damit Thema. Manchmal gehe es auch um sehr praktische Fragen, erklärt Karl Wechsler. "Auf den Medikamenten stand früher nicht drauf, ob sie Alkohol enthalten oder nicht." In den vergangenen Jahren habe sich das gebessert, Wechsler selbst hat Pharmaunternehmen auf das Problem hingewiesen. Der 62-Jährige erkundigte damals sich bei einem anderen Mitglied. "Wenn du kannst, dann lass' es sein", lautete der Rat, denn man senke sonst die Hemmschwelle, wieder zur Flasche zu greifen, erheblich.

"Das mag kleinlich klingen", sagt Prennig, ist es aber nicht. Wechsler erinnert sich an einen Freund, der eigentlich schon zwei, drei Jahre trocken war. "Weil er so brav war, hat ihm seine Frau ein Bier gegeben." Das sei nur drei Wochen gut gegangen, "dann war er in der Wirtschaft wieder besoffen".

Bei ihm selbst war die Sucht "ein schleichender Prozess", erzählt Wechsler. "Es begann schon als Kind, wo ich zum Bier holen geschickt wurde." Damals drückte man dem Bub ein Glas in die Hand, an dem er auf dem Rückweg nippte. "Gelernt" habe er das Trinken dann bei der Bundeswehr, erinnert sich Wechsler. Das sah man ihm auch schnell an. Mit 78 Kilogramm kam er zum Bund, mit 130 ging er wieder. "Zehn Halbe waren nie ein Problem." Einen Teil der Pfunde verlor er wieder, weil er Trinkpausen einlegte, "aber die wurden immer kürzer". Bei einer ersten Polizeikontrolle hatte er noch Glück, später nicht mehr: Der Führerschein war weg. Bei der medizinisch-psychologischen Untersuchung (MPU) wurde ihm klar gemacht, dass er die Fahrerlaubnis auch nicht wiedersehen würde, wenn er nichts ändere. "Das hat bei mir den Sinneswandel herbeigeführt", sagt Wechsler, der mittlerweile auf einen gesunden Lebensstil Wert legt und auf regelmäßiges Heilfasten schwört. In seiner Zeit der Alkoholabhängigkeit wurde er von seiner Schwester zur Arbeit gefahren - und auch zu den Treffen der Selbsthilfegruppe.

Sie habe oft gehofft, dass man ihrem Mann den Führerschein wegnehme, sagt Vera Prennig. "Wir trinken und rauchen mal nicht", haben Prennig und sein Bruder damals ihrer Mutter versprochen, denn auch Prennigs Vater war alkoholkrank. Eines Tages war bei ihm selbst der Tiefpunkt gekommen. "Es war Montag, das war sowieso einer der schlechteren Tage. Meine Frau war bei der Arbeit, das Wochenende war durch die Sauferei kaputt, man kommt ins Sinnieren."

Prennig versuchte, sich das Leben zu nehmen. "Mein Sohn hat mich gefunden und reanimiert, bis der Notarzt gekommen ist." Er selbst weiß das aber nur aus Erzählungen, denn erst in der Klinik kam er wieder zu sich - Schläuche steckten in seinem Körper, er war fixiert. "Ich hab gedacht, jetzt bist du da, wo dich der Alkohol hingebracht hat und da bleibst du jetzt halt." Ein Zustand, der glücklicherweise nicht anhielt. "Der Ärztin hat er gesagt, dass er froh ist, noch am Leben zu sein", sagt Vera Prennig. Ihr Mann machte eine Entgiftung, eine Therapie, ging zum Blauen Kreuz - er kämpfte sich zurück ins Leben. "Wir sind stolz auf ihn", sagt die 64-Jähige.

Sie habe ja das Bier auch heimgefahren, umreißt sie ihre Co-Abhängigkeit. "Lange hatte ich den Zettel von Selbsthilfeorganisation von Al-Anon im Geldbeutel, bin aber nicht hingegangen", auch, weil ihr nicht klar war, dass es in Heideck eine Gruppe gab. Al-Anon unterstützt Angehörige von Alkoholkranken. Doch nach und nach änderte sie ihr Verhalten. Sie kaufte kein Bier mehr und stellte ihren Mann auch mal bloß, indem sie nach einem Fest nicht nur nach Hause fuhr, sondern auch schon hin. "Da haben alle blöd geschaut, nach dem Motto, ist der schon wieder voll."

Gleichzeitig stand sie zu ihrem Mann und später auch zum Blauen Kreuz. Egal ob beim Apfelmarkt in Greding oder Veranstaltungen in Heideck oder Roth - sie war am Stand mit vertreten, Blicke von Bekannten störten sie nicht. "Wir verstecken uns nicht", sagt Wilfried Prennig über das Blaue Kreuz, außerdem sei man dankbar für die Unterstützung, die die Gruppe erfährt: "Der Firma Trendstore gehört dieses Haus, sie lässt uns diesen Raum hier nutzen." Ein gutes Miteinander hat man auch mit der Diakonie Roth-Schwabach, die auch einmal die Woche in Greding eine Suchtberatung anbietet. Das Blaue Kreuz macht also Teilnehmer auf die Diakonie aufmerksam und umgekehrt.

Prennig und seine Frau legten einen Lehrgang zum Suchtkrankenhelfer ab, dann begann man mit der Selbsthilfegruppe in Greding, "denn im südlichsten Zipfel des Landkreises gab es keine Angebote". Man wollte es erst ein Vierteljahr probieren, hatte Prennig damals gesagt, nun sind es am 17. Juli zehn Jahre "und ich denke, es sind zehn gute Jahre gewesen".

Eine Zeit, die vielen geholfen hat, mit Unterstützung der Gruppe zu ihrem Problem zu stehen. Wichtig sei es, mit den anderen ehrlich zu sein, sagt Prennig. "Natürlich muss man es nicht jedem gleich auf die Nase binden", aber um Gerede zu vermeiden, sei der Angriff nach vorne der beste. Bei der Arbeit drückte der Schichtarbeiter damals die "Sammeltaste" und sagte für alle Kollegen hörbar, dass er nun von der Alkohol-Therapie wieder da sei. Es folgte Schweigen. Doch nach und nach kamen die anderen Arbeiter zu ihm: "Schön, dass du wieder da bist."

Tina Steimle