Eichstätt
Schneekristalle auf dem Ärmel - mitten im Sommer

Eichstätter Gastdozent Ludwig Steinherr präsentiert mit "Medusen" neuen Gedichtband

27.03.2020 | Stand 02.12.2020, 11:39 Uhr
Der Lyriker Ludwig Steinherr war langjähriger Lehrbeauftragter für Philosophie. −Foto: Steinherr

Eichstätt - Unter einer Meduse versteht man laut Lexikon ein Lebensstadium einer Qualle; in der Mythologie ist die Medusa eine der drei Gorgonen-Schwestern, die durch eine Göttin in ein Monster mit Schlangenhaaren, Schweinshauern, Schuppenpanzer, glühenden Augen und heraushängender Zunge verwandelt wurde, deren Anblick Betrachter zu Stein erstarren lässt.

Beide Bedeutungen klingen an im Titel des Gedichtbandes, den der Lyriker Ludwig Steinherr nun vorlegte: "Medusen".

Mit schöner Regelmäßigkeit legt Steinherr neue Gedichte vor, zuletzt machte der langjährige Lehrbeauftragte an der Katholischen Universität (KU) für das Fach Philosophie allerdings zwei Ausnahmen: Bücher mit Gedichten zu Gemälden Vermeers wie zur Geburt eines Kindes publizierte er außer der Reihe. "Medusen" setzt die lange Reihe der in gleicher Ausstattung erscheinenden Bände fort, in der zuletzt die Titel "Lichtgesang" und "Alpenüberquerung" erschienen waren. Damit rundet sich die Sammlung dieser Bände des 1962 in München geborenen Autors schon auf rund 20 Titel, für die er auch bereits etliche Auszeichnung erhielt.

Die 76 Gedichte des neuen Bandes sind in zwölf Kapitel unterteilt, eine symbolische Zahl, die ebenso für die Jünger Jesu wie für die Ritter der Tafelrunde des Königs Artus gilt, hier aber am ehesten an den Jahreslauf erinnern könnte, zumal es im zwölften Kapitel um Silvester, im elften um "Christmas Crackers" und zuvor im Jahreskreis ebenfalls halbwegs passend um den Valentinstag, das "Sommerloch" (Kapitel 6) oder "Herbst-Etüden" (Kapitel 8) geht. Etliche der versammelten Texte haben, was die vordergründige Deutung des Titels nahelegt, Tiere zum Thema: Es geht um Tiefseefische und Frösche, Vögel und Rochen, auch um einen "sehr alten Hund". Facettenreich präsentiert sich das Titelgedicht "Medusen", das von einem Urlaubserlebnis ausgeht ("Nach dem Sturm angespült / finden wir fünf - sechs am Strand / gewaltig wabernde Portionen / Alien-Pudding"), dann aber den Blick auf mythologische Hintergründe wie auf den Beginn der Evolution hin erweitert und "diese Wahnsinnsdinger" in originellen Bildern spiegelt, die Assoziationen des Betrachters abbilden: Von "Gleißenden Gehirnen ohne Gehirn" und "organisch zuckenden Satellitenschüsseln" ist die Rede.

Das lyrische Ich betrachtet nicht nur Medusen, es besucht auch Museen: Steinherrs Faible für die bildende Kunst zieht sich wie ein roter Faden durch sein Gesamtwerk; auch in diesem Band werden wieder Bilder beschrieben, geht es um Jan Vermeer, Botticelli, de Goya und andere Künstler, insbesondere im ersten Kapitel, dessen Auftakt-Gedicht "Anweisung in einer Galerie" halb ironisch, halb ernst Vorgaben zur angemessenen Bildbetrachtung gibt: "Wenn Farben sprechen halten Erwachsene den Mund! / Werden Sie erst ein Neugeborenes! / Ein Hund! Ein Goldfisch! Eine Museumsfliege! / Warten Sie! / Bis das Bild das Wort an Sie richtet - / und wenn es die Ewigkeit dauert! / Schauen Sie! " Es zeigt ein Charakteristikum der Lyrik Ludwig Steinherrs, die überraschende Pointe und Wendung am Schluss des Textes.

Auch das Thema des Alterns klingt in einigen Texten an; Das Erleben des Todes spielte schon in vorigen Bänden eine Rolle. Das lyrische Ich kleidet das Erleben des Älterwerdens sensibel in zärtliche Bilder wie in dem Gedicht "Kristalle". Darin heißt es: "Ich brauche noch immer keine Brille / um in der Gebets-Dämmerung den weißen Faden / vom schwarzen zu unterscheiden / Nur ab und zu winzige Gedächtnislücken / mikroskopische Vergesslichkeiten / die ich bestaune wie Schneekristalle /auf meinem Ärmel - mitten im Sommer. " Diesem neuen Band darf man wieder viele Leser wünschen: Seine Lektüre kann Momente der Ruhe, der Kontemplation und des Staunens vermitteln.

Ludwig Steinherr: Medusen. Allitera Verlag, Reihe "Lyrikedition 2000", Gebunden, 131 Seiten, Preis 19,90 Euro.

buk