Eichstätt
Hohe Kunst oder auf Augenhöhe?

Marion Haak-Schulenburg von der KU untersucht Musikprojekte in Krisenregionen wie Palästina

09.02.2021 | Stand 13.02.2021, 3:33 Uhr
Musik mit Kindern: Marion Haak-Schulenburg etablierte über mehrere Jahre hinweg in Palästina verschiedene Musikprojekte - in Ramallah, dem Flüchtlingslager Nablus sowie in entlegenen Dörfern. −Foto: Haak

Eichstätt - Mit Musik die Welt verändern und zu Frieden und Versöhnung beitragen - zahllose Projekte weltweit verfolgen solche Ziele, um ein Stück "heile Welt" in Krisengebieten zu schaffen. Doch mit welchen Intentionen verfolgen sie dabei welches Verständnis von Musik und Kultur? Lassen sie sich auf die Traditionen und Rahmenbedingungen der jeweiligen Länder ein oder transferieren sie ein westliches Verständnis unverändert in eine andere Gesellschaft? Und welche Effekte haben die Projekte vor Ort? Marion Haak-Schulenburg, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Musikpädagogik und Musikdidaktik der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt (KU), untersucht die Wurzeln und Wirkungen des Musikbegriffes am Beispiel zweier Institutionen, die in Palästina tätig sind.

Damit knüpft sie an den Schwerpunkt "Community Music" der Professur an, der musikalische Projekte mit Fragen von Inklusion, kultureller Teilhabe und sozialer Gerechtigkeit verbindet. Die KU bietet zudem als europaweit erstes Studienangebot dieser Art den Masterstudiengang "Inklusive Musikpädagogik/Community Music".

Haak-Schulenburg studierte zunächst Musik und Englisch in Berlin an der Universität der Künste sowie der Humboldt-Universität, um Lehrerin zu werden. Nach dem ersten Staatsexamen bot sich ihr jedoch die Möglichkeit, für drei Jahre an der Musikschule der Barenboim-Said-Stiftung im palästinensischen Ramallah zu arbeiten. Diese geht zurück auf den berühmten Dirigenten Daniel Barenboim und den aus Palästina stammenden Literaturwissenschaftler Edward Said, die 1999 das renommierte "West-Eastern Divan Orchestra" gründeten. Das Ensemble setzt sich aus arabischen und israelischen Musikerinnen und Musikern zusammen, so dass es als Symbol für die Möglichkeit von Koexistenz und Frieden in der Region fungiert.

Parallel zu ihrer Arbeit in der Musikschule kam sie in Kontakt mit der niederländischen Organisation "Musicians without Borders", die weltweit Multiplikatorinnen und Multiplikatoren für die musikalische Arbeit mit Kindern und Jugendlichen ausbilden. Haak-Schulenburg gründete Kinderchöre in Ramallah und verschiedenen Dörfern sowie dem Balata Flüchtlingslager in Nablus. Wichtiger Bestandteil des Repertoires waren nicht klassische Musik, sondern arabische Lieder, Rhythmen und Tänze. "Diese Kinder leben meist in ärmsten Verhältnissen und haben eine schlechte Schulbildung. Sie findet man gerade nicht im klassischen Musikunterricht der Barenboim-Said-Stiftung", berichtet Marion Haak-Schulenburg. Aus dem Kontrast beider Erfahrungen erwuchs für die Wissenschaftlerin die grundlegende Frage ihrer Doktorarbeit, aus welchen Wurzeln das jeweilige Musikverständnis solcher Initiativen erwächst und welche Wirkung es entfaltet. "In Palästina gibt es viele Projekte, die den Menschen in ihrer schwierigen Situation Zugang zu Kultur bieten wollen. Das ist jedoch in der Regel europäisch geprägte Kultur - ohne kritische Reflexion darüber, ob das Angebot überhaupt Sinn macht.

"Ich möchte mit meiner Arbeit dazu beitragen, dass Musikprojekte, die in der Gesellschaft wirklich etwas bewirken wollen, sich darüber bewusstwerden, welchen Musikbegriff sie verfolgen. Das schließt klassische Musik keinesfalls aus, setzt aber eine andere Form des Zugangs voraus", betont die Wissenschaftlerin. Absolut notwendig dazu sei der unmittelbare Austausch mit einer Vielfalt von Ansprechpartnern vor Ort: Wo macht Aktivität Sinn und wo nicht? Eurozentrismus sei so tief in uns verankert, dass man auf manche Fragen gar nicht komme, so Haak-Schulenburg. "So habe ich erst durch die Interviews vor Ort bemerkt, dass in Palästina mit dem Begriff Musik in der Regel Instrumentalmusik verbunden wird. Gesang hingegen zählt im dortigen traditionellen Verständnis zur Poesie."

upd