Zandt
Eine typische Kindheit in den 1950er-Jahren

Der Zandter Heimatforscher Gerhard Meier erinnert an das Leben auf dem Dorf in früheren Zeiten

18.04.2021 | Stand 22.04.2021, 3:33 Uhr
Der Zandter Heimatforscher Gerhard Meier hat noch seine einige Dinge aus seinen Kindertagen aufgehoben. Etwa Teile aus der Puppenwohnküche von 1957, die "Schwarzer-Peter"-Karten, alte Schlittschuhe, eine blecherne Wärmflasche und ein Radlflickzeug. Der "Mordax"ist vermutlich der letzte Zandter Tatzenstecken. −Foto: Patzelt

Zandt - Das Schlittschuhlaufen auf dem zugefrorenen Weiher, der tägliche Kirchgang, die Kanzel-Predigten des Dorfpfarrers, das Holzscheitlknien, die erste Zigarette und die Bekanntschaften mit dem Tatzenstecken des Schullehrers: Der Heimatforscher Gerhard Meier blickt er zurück auf eine typische Kindheit in Zandt.

Meier, der 1951 geboren wurde, beginnt seinen Rückblick in der Frühjahrszeit - in der Zeit, wo zwar noch kalte Temperaturen herrschten, der Dorfweiher aber, sagen wir mal, "nicht mehr ganz tragfähig war". Da sei es durchaus vorgekommen, dass man beim Schlittschuhlaufen mit den sogenannten "Stöcklreißern" plötzlich einbrach. Gottseidank war der Weiher nicht tief, so dass man lediglich bis zu den Knien oder manchmal auch bis zum Bauch im eiskalten Wasser stand. Dann hieß es sofort raus aus dem Wasser und möglichst schnell nach Hause. "Die anderen Kinder waren zuerst erschrocken, haben dann aber gelacht und einfach weiter gemacht", erinnert sich der Zandter zurück.
"Zu Hause wurde ich erst einmal geschimpft, weil ich so dumm war und die dünne Eisfläche betreten habe", erzählt der engagierte Heimatforscher. Danach hieß es: "Schnell raus aus den nassen Sachen und ab ins Bett. " Die blecherne, kuschlig warme Wärmflasche und ein heißer Tee aus selbstgepflückten Lindenblüten zum kräftigen Schwitzen waren die einzige und auch beste Hausmedizin.
Am anderen Tag musste man ausnahmsweise nicht zuerst in die kalte Kirche gehen, sondern durfte sofort in das beheizte Klassenzimmer, erinnert sich Meier. Vor rund 60 Jahren war der tägliche Kirchgang vor der Schule ganz normal.

Laut Meier gab es aber auch Tage, an denen man sich auf den Kirchgang freute. Als Beispiele nennt der Zandter das Rorate- oder auch Engelamt im Advent: "In der halbdunklen Kirche war es irgendwie feierlicher und festlicher als sonst. " Oder die abendlichen Maiandachten mit den schönen Marienliedern. Anschließend wurden im hellen Schein der Straßenlampen noch ein paar der in großer Anzahl summenden Maikäfer als Leckerbissen für die Hühner, Enten und Gänse gefangen. Langweilig war für die Kinder allerdings der Rosenkranz: "Immer dieselben Gebete und am Schluss noch eine lange Litanei. "
Meier erinnert sich auch, dass man beim Sonntagsgottesdienst sehr brav und artig sein musste. "Wenn der Pfarrer einen gerügt oder gar gewatscht hatte, bekam man zu Hause noch eine extra Watschn mit dem Hinweis, man wisse schon warum", so der Zandter.
Laut Meier gab es nur wenige in der Klasse, die noch keine Bekanntschaft mit dem Tatzenstecken, dem sogenannten "Mordax", gemacht hatten.

Eine "Tatzn" auf die Handfläche tat genauso weh wie auf den Handrücken. Auch das Ziehen an den kurzen Koteletten erwies sich als äußerst schmerzhaft. Die Prügel auf das Hinterteil hatten oft sehr lange Nachwirkungen.
Das Schlimmste sollte aber noch folgen, wenn dem Vater zuhause das "Vergehen mit Bestrafung" in der Schule bekannt wurde. Dann folgte "eine zweite Verurteilung", die mit dem Holzscheitelknien endete. "Das Holzscheitl musste ich mir selber holen. Ich hatte dabei drei Vorgaben zu beachten: eckig, spitz und aus Buche", denkt Meier zurück. Die Dauer der Strafe kannte keine zeitliche Vorgabe. Allerdings gab der Vater einen allgemeinen Hinweis: "Bet' ganz laut und deutlich dazu drei Vaterunser. "

Nach der Schule ging es sofort nach Hause, um "das schöne Gwand" auszuziehen und in die Werktagskleidung zu schlüpfen. Zuerst mussten sämtliche Hausaufgaben erledigt werden, erst dann durfte man raus zum Spielen. "Wir gingen zu unseren Freunden in die Häuser und marschierten einfach durch die Wohnräume - ohne das Wissen unserer Eltern. Keiner brachte uns irgendwo hin, und keiner holte uns irgendwann ab", erinnert sich Meier zurück.
Das Rauchen probierte man meist mit Zigarettenkippen von amerikanischen Soldaten aus. Diese oft nur halb gerauchten und dann weggeworfenen Zigaretten wurden einfach fertig gequalmt. Sogar fein geschnittene, getrocknete Rübenblätter dienten in einer Pfeife als Rauchgrundlage. "Das Ergebnis war ein übler Hustenreiz und manchmal auch eine volle Hose", bekennt der Zandter.

Im Winter und bei Regenwetter spielte man "Mensch ärgere dich nicht", "Mühle", "Dame" oder mit alten, abgegriffenen und schmuddeligen Wirtshauskarten "Watten". Zum Malen wurden Farbstifte und Malkasten benutzt, und aus Kastanien, alten Knöpfen, leeren Zündholzschachteln und abgespulten "Zwirnradln" entstand so manches Kunstwerk. "Wir Buben konnten einfach alles gebrauchen", weiß Meier noch aus seiner Kinderzeit. Die Mädchen spielten meist Puppenmutter, kochten in der Puppenküche und gingen zum Einkaufen in den selbst aufgebauten Laden.
Fernsehen gab es nur bei bestimmten Familien und da nur ein bestimmtes Programm. Beliebte Sendungen waren "Lassie", "Fury", "Am Fuß der blauen Berge" und in den 1960er-Jahren die Abenteuer von Vater Ben Cartwright und seinen drei Söhnen Hoss, Adam und Little Joe auf ihrer Ranch "Bonanza".
Radfahren lernte man auf einem alten Herrenfahrrad: einfach den Fuß unter der Stange durch und los ging's. Nach ein paar Stürzen mit Hautabschürfungen wurde die Fahrt immer perfekter. "Bei weiten Strecken saß einer hinten auf dem Gepäckträger des Fahrrads und versuchte, sich an den Stahlfedern des Velo-Sattels festzuhalten, und der zweite Fahrgast nahm auf der Lenkstange Platz. Der Fahrer war allerdings der uneingeschränkte Chef. " Ein Platter am Reifen wurde natürlich selbst versorgt, mit Tip-Top-Gummiflickzeug, grobem Schleifpapier und einer übelriechenden Kleberlösung.
"Auch wenn wir uns manchmal kräftig in die Haare kamen, für unsere Probleme interessierten sich die Erwachsenen nicht - damit mussten wir schon selbst klarkommen", so Meier in seinem Blick in den Rückspiegel.
Den Kindern schmeckten die fettigen Schmalznudeln, das hausgebackene, oft steinharte Brot mit Schweineschmalz, Blut- und Leberwürste, Kartoffeln und Kraut. Freitags holte man sich in einer Schüssel Bratheringe, lose aus der großen Blechdose beim Dorf-Kramer. "Dazu musste viel Soße sein, denn davon genehmigte ich mir auf dem Heimweg schon mal den ein oder anderen Schluck", so Meier.

Zum Stillen des Durstes diente Wasser aus der Leitung oder frisch gepumpt aus dem Brunnen. Manchmal gab es auch völlig überzuckerte Limonade oder künstliches Sirupwasser - alles getrunken aus einem gemeinsamen Krug. Ein Kaugummi wurde am Abend einfach "aufs Nachtkastl" gelegt und am nächsten Morgen ging der Kaugenuss weiter.

"Teilweise war manches schöner als heute. Und es war bestimmt in den meisten Dörfern irgendwie ähnlich oder auch genauso", schließt Meier seine Erinnerungen an die Kinderzeit.

EK