Eichstätt
Die "Hallerin" ertönt noch heute mit sonorem Klang

Gelehrter Prediger und Menschenfreund: Zum 450. Todesjahr des Eichstätter Weihbischofs Leonhard Haller

16.04.2020 | Stand 23.09.2023, 11:38 Uhr
Erich Naab
Dieser anonyme Kupferstich stellt die Generalkongregation des Konzils von Trient in der Trienter Kirche Santa Maria Maggiore im Jahre 1563 dar. −Foto: Archiv

Eichstätt - Am 25. März 1570 hörten die Eichstätter nicht nur das festliche Geläute des Domes zum Fest Mariae Verkündigung, sondern auch das dumpfe Trauergeläut zum Tod ihres Weihbischofs.

Zur kleinen Sterbeglocke, der sogenannten Klag, wird sich die mächtige Christusglocke im Nordturm, Teil des Stiftsgeläutes, mit ihrem sonoren, weit durch das Altmühltal hallenden Klang gesellt haben. "Hallerin" heißt sie noch heute im Volksmund und erinnert mit ihrem Namen an Leonhard Haller, den Weihbischof, in dessen Ernennungsjahr zum Bischof 1540 sie in Nürnberg gegossen worden war.

Mit ihm hatte das Bistum einen brillanten Prediger und gelehrten Theologen, die Bürger einen großherzigen Wohltäter und die Kirche in Deutschland den einzigen Bischof verloren, der an der letzten Sitzungsperiode des Trienter Konzils teilgenommen hatte.
Leonhard Haller stammte aus einfachen Verhältnissen in Denkendorf, nicht aus der angesehenen Nürnberger Patrizierfamilie. An der Ingolstädter Fakultät war er als pauper eingeschrieben, als unterstützungsbedürftiger Stipendiat; die Immatrikulationsgebühren hatten für ihn nur 8 Pfennige betragen. Um 1530 wurde er zum Magister promoviert. Er wirkte als Kooperator an der Ingolstädter Moritzkirche unter Georg Hauer. Dieser Kirchenrechtler war neben dem Systematiker Leonhard Eck der vehementeste Vertreter der alten kirchlichen Lehre in der bayerischen Universitätsstadt. Später predigte Haller in Aichach, dann in München St. Peter und schließlich als Pfarrer von St. Ulrich in Augsburg. Seine Predigtskizzen sind erhalten.
An Lichtmess 1534 übernahm Haller sein Augsburger Pfarramt. Aber schon ab Juli des gleichen Jahres durften nur noch vom Rat der Stadt bestellte Prädikanten predigen. Die Reichsstadt war evangelisch geworden, der Große Rat nahm die Kirchenhoheit in Anspruch. Haller hielt sich nicht ganz korrekt an die städtischen Vorgaben, hielt bei einer Trauung die Ansprache und wurde im Februar 1536 unter strengen Hausarrest gestellt. Eine Berufung ins Eichstätter Domkapitel beendete nach einigen Monaten diese missliche Lage.

Berufung in das DomkapitelIn Eichstätt konnte er sich dem Studium, literarischen Arbeiten und vor allem dem Predigtdienst widmen. Übersetzungen der Kirchenväter und kleinere theologische Werke entstanden, vor allem aber mehr als 100 Predigten, zur Messe, zum Vater Unser und vielem anderen mehr.
1540 wurde Haller zum Weihbischof ernannt. Dieses Amt hatte er unter den Fürstbischöfen Moritz von Hutten, Eberhard II. von Hirnheim und Martin von Schaumberg inne. Er wurde, wie einige andere Eichstätter, Titularbischof von Philadelphia. Das darf durchaus als Auszeichnung verstanden werden. Es war zwar nicht jenes Philadelphia, an dessen Gemeinde der Verfasser der Geheimen Offenbarung den im Neuen Testament erhaltenen Brief geschrieben hatte, sondern das Philadelphia in Arabien. Die Stadt hatte in der muslimischen Zeit ihren hellenistischen Namen wieder abgelegt und sich mit altem, biblischem Namen wieder Rabbat und Amman genannt; heute ist sie die Hauptstadt Jordaniens.

Ständiger Anlass zu StreitWeihbischöfe hatten in Deutschland die wichtige Aufgabe, die Fürstbischöfe, die sich immer mehr als Reichsfürsten verstanden, in den kirchlichen Pontifikalfunktionen zu vertreten. Als auf dem Konzil über deren Stellung debattiert werden sollte, war es Haller, der ihre Nützlichkeit und ihr Ansehen verteidigte.

In der Konzilsvorlage war davon die Rede, dass die Titularbischöfe nicht imstande seien, Nutzen zu bringen. Durch ihr unstetes Herumschweifen und ihr bettelhaftes Benehmen würden sie das Ansehen der bischöflichen Würde in schlechtes Licht setzen. Sie seien eine Schande für den Bischofsstand. Haller hatte dieses vernichtende Urteil zurechtgerückt.

In Eichstätt errichtete Haller mildtätige Stiftungen, wohl in Erinnerung an die Unterstützung, die er in seinem Studium erhalten hatte. Sie lassen auch sein soziales Engagement aus christlicher Überzeugung erkennen. Dem Heilig-Geist-Spital übergab er bar 200 Gulden als Pfründe für eine arme Person. Ein Haus gegenüber der Kapelle des Ostenfriedhofes in der Gottesackergasse übergab er der Stadt für den Totengräber. Die Hausinschrift ist noch erkennbar: Anno Dmi. 1557 Kaufer und Bauer, Leonhard Haller Weihbischof dieses Haus und Garten zusammen für einen Todtengraber, darin sy alle Zeit zu bleiben haben. 1560 kaufte er am Salzstadel ebenfalls ein Haus und übergab es der Stadt für zwei Hebammen, und sieben Jahre später übermachte er ihr wieder ein Haus, Turmgasse 7, früher Judengasse oder B 204, diesmal für drei Schrötter, wie Bierfahrer genannt wurden. Hatten Bierfahrer nur ein geringes Einkommen, so übten Totengräber Im Mittelalter gar einen verachteten "unehrlichen Beruf" aus.

Stiftungen für RandgruppenMit seinen Stiftungen trug Haller zur gesellschaftlichen Reputation bisheriger Randgruppen bei. Auch kleinere Stiftungen sind zu erwähnen: Acht sehr armen Personen konnte die "Habenichtssteuer" erlassen werden. Die Habenichtssteuer oder Inleutgeld war im Mittelalter eine Abgabe des Hofgesindes als Zeichen ihrer Unfreiheit.

Die Mariensteiner Nonnen bekamen einen Garten in der Nähe der Heilig-Kreuz-Kirche, also ganz auf der anderen Seite der Stadt gelegen; die Nonnen verkauften ihn nach Hallers Tod bald wieder. Hinzu kamen auch liturgische Stiftungen wie Requien, Glockenläuten und ähnliches. Diese Stiftungen waren ihm nur durch äußerst sparsame Haushaltsführung möglich. Sein Freund Anton Neuber, Prior in Rebdorf, hielt ihn eher für einen Geizhals als einen Verschwender. Ganz Recht hatte er damit nicht; denn in Trient ließ sich Haller von seinem Wirt entschieden und längere Zeit übervorteilen.

Hier in Trient erlangte der Eichstätter Weihbischof die weitreichendste überregionale Bedeutung. Die Zeitverhältnisse ließen es den residierenden Bischöfen geraten erscheinen, nicht nach Trient zu kommen. Einige schickten Nicht-Bischöfe als Vertreter. Da aber nur Bischöfe zugelassen wurden, konnten die nichts wirklich ausrichten.

So war Haller in Ermangelung ausgewiesener Theologen der aus Diedorf bei Augsburg stammende Wolfgang Holl mitgegeben worden, der dafür sein Studium unterbrechen musste. Holl verließ bald die Konzilsstadt, da sein Verbleiben ohne Sitz und Stimme zwecklos war; 1570 sollte er als Weihbischof Nachfolger Hallers werden. Haller wurde auch vom Würzburger Bischof Friedrich von Wirsberg zu seinem Vertreter ernannt; dennoch hatte er kein Rederecht als Prokurator, durfte aber im eigenen Namen als Weihbischof sprechen.

Wichtige StellungnahmenEine weitere wichtige Stellungnahme gab er in der Frage der Kelchkommunion ab. Ob Laien beide Gestalten, Brot und Wein, in der Eucharistie gereicht werden sollten, hatte sich zu einem greifbaren Unterscheidungsmerkmal zwischen den sich herausbildenden Konfessionen entwickelt. Gründe des praktischen Umgangs und der Hygiene hatten die Kelchkommunion zurückgedrängt.

Als aber Jan Hus den Empfang des Weines verpflichtend gefordert hatte, wurde der obligatorische Empfang beider Gestalten vom Konstanzer Konzil 1415 zurückgewiesen. Wiewohl weiterhin erlaubt, kam die Kelchkommunion außer Übung. Mit der Reformation kam aber erbitterter Streit auf. Haller hatte wie andere in seinen vorkonziliaren Messopferpredigten schweres Geschütz aufgefahren, das die Trennung der Konfessionen schon unumkehrbar hielt. In seinen Predigten sucht er neben den bekannten Argumenten auch theologische Überlegungen. In ihnen deuten sich zwei Vorstellungen an, die das Gesicht des neuzeitlichen Katholizismus prägen werden. Es ist zum einen eine neue Form des Klerikalismus, wenn Haller aus der Beobachtung, Christus habe im Abendmahlsaal ausschließlich seinen zwölf Jüngern Brot und Wein zum Gedächtnis seines Leidens gereicht, folgert, damit habe er ihnen und ihren rechtmäßigen Nachfolgern den Auftrag zu dieser Feier erteilt und sie auf diese Weise zu Priestern seines Bundes geweiht. Die Forderung des Kelchs sei daher nichts anderes als eine Eingebung des Teufels. Solche bösen Beleidigungen trägt Haller im Konzil nicht vor. Er bekräftigte sogar, dass alles getan und nichts unterlassen werden dürfe, um nach Christi Beispiel ein verirrtes Schaf in den Stall zurückzurufen.

Er gab jetzt auch zu, dass die Praxis des Kommunionsempfangs verändert werden könne. Aber er wollte keine regionalen Lösungen, sondern einheitliche, überall verpflichtende liturgische Formen.
Eine weitere Wortmeldung hat engen Bezug auf Bistum und Stadt Eichstätt. Bei der Diskussion um die Klerikerausbildung beziehungsweise die neu zu gründenden Seminare wies Haller auf die schon in Gang gesetzte Gründungsabsicht in Eichstätt hin, und legte, um diese die Konzilsväter überraschende Tatsache auch zu beweisen, einen vom Ortsbischof eigenhändig geschriebenen Brief vor.

Erinnerung Das 450. Jahrgedächtnis seines Todes ist Anlass, an den bedeutendsten Eichstätter Weihbischof und großen Wohltäter der Eichstätter Bürgerschaft, einen der großen Prediger und letzten Vertreter der Eichstätter Späthumanisten zu erinnern. Vergessen war er nie. In der Festgabe für den unvergesslichen Kardinal Döpfner von 1973 waren neue Quellen veröffentlicht worden. Ludwig Ott hatte akribisch Hallers umfangreiche Bibliothek erforscht. Domdekan Stefan Killermann hatte 2017 in dem anlässlich des Reformationsjahres erschienenen Sammelband Zwischen altem Glauben und neuer Lehre ein Lebensbild beigesteuert. Die in Tübingen angefertigte Dissertation von Joachim Werz über die volkssprachliche Verkündigung von Leonhard Haller und dem Wiener Georg Scherer ist für April bei Aschendorff angekündigt. Joachim Werz sollte zum Todestag beim Diözesangeschichtsverein vortragen. Die Umstände haben das verhindert. Die Veranstaltung ist verschoben. Aber in dem in Druck befindlichen Band der Diözesangeschichtsblätter geht Werz der Frage nach, wie Hallers für die Predigten aufbereitetes Wissen in seine Stellungnahmen im Konzil einfloss.

EK

Erich Naab