Denkendorf
T-Rex "Rocky" ist jetzt in Denkendorf zu Hause

Skelett bekommt dauerhaften Standort im Dinopark

31.07.2018 | Stand 23.09.2023, 4:16 Uhr
Geschafft! Nach einem spannenden Transport, vielen Stunden und viel Schweiß ist das Skelett von "Rocky", dem ersten je präsentierten halbwüchsigen Tyrannosaurus Rex, in Denkendorf aufgestellt. −Foto: Katrin Poese

Denkendorf (DK) Rocky ist Amerikaner und schon weit gereist - das rund 68 Millionen Jahre alte Skelett ist in seine Einzelteile zerlegt um die Welt geflogen und findet nun nach Stationen im Mittleren Osten, in Japan und in München seinen dauerhaften Standort in Denkendorf. Der Teenager-T-Rex ist der erste halbwüchsige Dinosaurier seiner Art, der je ausgestellt wurde. Ab Mittwoch, 1. August, können Besucher Rocky in der neuen Halle auf dem Gelände des Dinosaurier-Freilichtmuseums in Denkendorf bewundern.

Er ist gerade per Lkw aus München gekommen. Erst müssen sich die Wesen der Neuzeit allerdings sortieren. Rocky, der Saurier aus der späten Kreidezeit, der neue Star des Denkendorfer Dinoparks, soll schließlich richtig in Szene gesetzt werden. „Stellen wir den so, dass er ein bissl schräg ist, sonst ist es langweilig“, meint Raimund Albersdörfer. Er ist einer der Gründer des Dinoparks. Jetzt schiebt er in der gerade erst vor Kurzem eröffneten Museumshalle den Teppich zurecht, der unter Rockys Podest liegen wird. Wie wird das Skelett hier wirken? Und ganz wichtig: Kann man es gut fotografieren? „Das wird in Museen ganz oft vergessen“, sagt der Fossilien-Experte und wuselt wieder davon. „Zehn Zentimeter noch! − Gut!“, schallt es vom Eingang her. Der Gabelstapler stellt eine Transportkiste aus Grobspanplatten ab. „In den Kisten ist er um die Welt geflogen, die sind stabil“, sagt Albersdörfer lapidar.

Der Besitzer des T-Rex ist das Umziehen gewohnt. Wenn etwas zerbricht, klebt man es halt wieder, diesmal einen abgebrochenen Zahn. An der Transportkiste hängen noch Zettel mit japanischen Schriftzeichen − von einer Ausstellung in Tokio. Da war Rocky der Star. Ein US-amerikanischer Teen-Star genauer gesagt. Denn Rocky, der unter Insidern auch den Spitznamen Tinker , englisch für „Lausebengel“, trägt, starb als halbwüchsiger Saurier auf einem Stück Land, das im heutigen South Dakota liegt. Dort haben Fossilienjäger ihn 1998 ausgegraben. Und haben damit einen Sensationsfund gemacht. Denn: Überreste der Gattung Tyrannosaurus, Spezies Rex, sind ohnehin sehr selten. Noch nie vorher ist ein sogenannter juveniler, also noch nicht erwachsener T-Rex aus dem Untergrund aufgetaucht, den Paläontologen zweifelsfrei als solchen bestimmen konnten. Und Rocky hatte obendrein noch über die Hälfte seiner Knochen beisammen. Schon fünf bis zehn Prozent sind bei T-Rex-Funden ein Glücksfall.

Der Fossilien-Verrückte Raimund Albersdörfer hat einen siebenstelligen Betrag, den er nicht näher nennen will, für Rocky hingeblättert. Dieses Glanzstück seiner Sammlung war für den 52-Jährigen ein guter Grund, zusammen mit Michael Völker den Dinopark aufzuziehen. Dort soll Rocky nun „definitiv dauerhaft“ bleiben, sagt Albersdörfer. Und schiebt nach: Die nächsten zwanzig Jahre auf jeden Fall. „Was soll der bei mir im Keller liegen?“ Jetzt ist er also da. Zumindest fast. Nach fünf Stunden Aufbau kann man Rockys Statur nur erahnen. Sein metallener Unterbau nimmt viel Zeit in Anspruch. Vom Saurier selbst sieht man nur dunkelbraune Brocken, die auf genau angepassten Kissen aus PU-Schaum liegen. „Rl 7“ ist eine Rippe auf der linken Seite des Brustkorbs, „H10“ ein Halswirbel, der Unterkiefer ruht auf Luftpolsterfolie. Zähne und Knochen sind dunkel, weil beim Versteinern die Biomineralien durch Bestandteile der umliegenden Sedimente ersetzt werden. Einen einzigen der fossilen Körperwirbel zu präparieren dauert „locker drei, vier Wochen“, meint Albersdörfer. Zwischen 12 000 und 15 000 Arbeitsstunden stecken in Rockys Skelett vom Ausgraben bis zur Präsentation. Das ohrenbetäubende Aufprallen des Vorschlaghammers auf das Metallgestänge wirkt wie ein Hohn, während ein paar Meter weiter vorsichtig die zerbrechlichen Knochen ausgepackt werden. „Very fragile“, warnen die Transportkisten. Rainer Martens, ein Mitarbeiter in Albersdörfers Ausgrabungs-Team, steckt feine Schwanzwirbel auf ihre Halterung.

Sein Chef nimmt ein fünf Zentimeter langes Exemplar in die Hand: „Wenn man so etwas findet, hat man keine Ahnung, dass es ein T-Rex ist.“ Dann löst er einen Spanngurt und schlägt eine Wolldecke auseinander: „Achso, das ist bloß ein Touch Bone.“ Ein echter T-Rex-Knochen zum Anfassen fürs Museum. Nicht von Rocky. Bei den Rippen hält er inne. Zwei von ihnen haben Knubbel in der Mitte, die aus der schlanken Form hervorstechen. Eine Verletzung, die unregelmäßig wieder zusammengewachsen ist. „Ein Angriff“, meint Albersdörfer. Dass ein anderer Raubsaurier Rocky in die Flanke gebissen hat, hält der Experte für unwahrscheinlich. „Da könnte ich mir so ein Triceratops-Horn wesentlich besser vorstellen“, fachsimpelt er. Tricera-was? „Diese Dreihorn-Dinos, die als Herden aufgetreten sind.“ Einzelne schwächere oder kranke Tiere könnten durchaus ein Beutetier für einen halbwüchsigen T-Rex gewesen sein, meint er. Rocky musste schließlich schon mal üben: Als Erwachsener hätte er später im Schnitt 50 Kilo Fleisch pro Tag verdrückt. Beim Triceratops hat er sich überschätzt: „Dieser Einschlag war schon wirklich gewaltig“, sagt Albersdörfer, während er über die verdickte Stelle streicht. „Das war ein Augenblick im Leben von diesem T-Rex, da war‘s wirklich knapp.“ Woran Rocky dann später tatsächlich gestorben ist, weiß niemand. Vielleicht eine Krankheit oder eine Dürre. Bei Fossilien kann man oft nur mutmaßen. Das stört Raimund Albersdörfer aber nicht. „Das ist Wissenschaft, die lebt von Fehlern, die lebt von Interpretation.“ Unterdessen wird es ernst: Rockys Unterbau ist fertig. „Wir fangen mit den Sakralwirbeln an“, lautet die Anweisung. Dann das Becken, weil es am Mittelschwerpunkt liegt, und die Beine. An der Hals- und Schwanzwirbelsäule arbeitet man sich von innen nach außen vor. Der Schädel kommt zum Schluss. „Oh Leck“, stößt Albersdörfer aus, als er das Schambein hochhebt, das genauso lang ist wie sein Oberkörper. Er hievt es hoch zu seinem Sohn Jakob, der auf dem Hubsteiger steht. So geht es immer weiter: „Gib Obacht, der ist sakrisch original − und Knochen bricht leichter“. Knochen ist außerdem schwerer als das Polyesterharz, aus denen die fehlenden Teile nachmodelliert werden. Das bekommen Raimund und Jakob Albersdörfer beim Oberschenkelknochen zu spüren. Er wiegt zwischen 20 und 25 Kilo. Und will nicht so recht halten. „Die blöden Schrauben sind abgenudelt“, schimpft der Vater, während sich der Sohn mit Akkuschrauber und Schweißperlen auf der Stirn abmüht. Auch beim T-Rex gilt das Ikea-Prinzip: Nach mehreren Umzügen geht das Zusammenbauen nicht mehr so leicht. Rainer Martens tüftelt derweil am hinteren Ende des Urzeitkolosses. „Bei den Schwanzwirbeln stimmt die Nummerierung von hinten und von vorne nicht“, sagt er müde. Es ist Abend geworden. Erleichterung an der Körpermitte: „Ja super, he, hat er verloren! Gott sei Dank“, ruft Vater Albersdörfer. Auch die Halswirbel sind nicht gerade ein simples Steckspiel. „Die waren ganz am Rand von der Grabung und die ham einfach einen Batscher weg, die Dinger“, fasst der Fossilien-Experte zusammen. Jetzt noch die Rippen, die Arme. Die Krallen an den Füßen kriegen einen Tropfen Sekundenkleber ab. Um kurz nach 20 Uhr geht das Licht aus. Aber auch das kann das Rocky-Team nicht mehr aufhalten. Als das Licht wieder angeht, sind nur noch der Schädel und zwei Zehen übrig. „Jakob, ich glaub, der Schwanz ist zu kurz“, witzelt Rainer-Martens. Paläontologen-Humor. Kurzes Innehalten und Kopfrechnen: 60 Kilo erster Mann plus 90 Kilo zweiter Mann, der Schädel wiegt 50 Kilo, der Hubsteiger hebt bis zu 200, passt. Als die Dämmerung anbricht, ist Rocky wieder Herr über seine Kiefer. Das Team schießt Dino-Selfies. Die Dinopark-Gründer Michael Völker und Raimund Albersdörfer blicken etwas ratlos auf die leeren Holzkisten und Schaumpolster. „Brauchen wir die noch?“ − „Nee“, meint Albersdörfer. „Dann können wir sie entsorgen?“ − „Ja, wir können uns ja neue bauen, in 20 Jahren vielleicht.“

Katrin Poese