Eichstätt
Als der Krieg nach Eichstätt kam

Am 12. April 1945 griffen drei amerikanische Jagdbomber den Eichstätter Stadtbahnhof an

10.04.2020 | Stand 23.09.2023, 11:35 Uhr
Am Eichstätter Stadtbahnhof haben die amerikanischen Jagdbomber schwere Schäden angerichtet. Hier ein Bombentrichter vor der Maschinenhalle. −Foto: Sammlung Pfaller

Eichstätt - Der Wehrmachtsbericht wurde mehrmals täglich durch den "Volksempfänger" (Radio) über die Frontlage gesendet und jeder, der die Möglichkeit hatte, hing mit Angst und Schrecken an dem Gerät.

In unserer Familie war kein Mann im Haus, denn mein Vater war schon einige Jahre in Russland und wir hatten schon über ein Jahr keine Nachricht mehr von ihm. Meine Tante war an der holländischen Grenze ausgebombt worden und mit ihrem Sohn zu uns ins Haus gezogen, weil ihr Mann als Zöllner von Kleve nach Kärnten versetzt worden war. Da die zwei Frauen mit uns drei Buben allein im Haus in der Sebastiangasse wohnten, baten sie den Förster des Hirschparkhauses um Unterschlupf. Denn bei uns gab es keinen passenden Keller und die Frauen hatten Angst. Der freundliche Förster war mit unserer Einquartierung zu gegebener Zeit einverstanden. Meine Mutter und Tante packten die "Federbetten" auf den Leiterwagen und ich und meine Tante Lina zogen den Wagen den Kuhweg (heute Parkhausstraße) hinauf.

Durch Zufall wurde ich Augenzeuge des Bombenangriffs auf den Eichstätter Stadtbahnhof. Nach etwa 100 Metern beginnt links eine Steinmauer als Straßenbegrenzung mit einer Ausweiche. Genau an dieser Stelle schrie meine Tante plötzlich "Tiefflieger" und zog mich hinter die Mauer. Wir spähten über den Mauerrand und sahen drei grüne Tiefflieger nebeneinander gestaffelt vor uns vorbeifliegen. Sie kamen aus Richtung Landershofen und flogen höchstens 50 Meter von uns entfernt. Sie waren - wie wir - auf Höhe der Domuhren. Man sah die Piloten darin sitzen und plötzlich begann eine ohrenbetäubende Schießerei vorm Bahnhof. Sie warfen ihre Bomben genau hinter der Bahnhofsgaststätte Schulze-Obermeier (später Frey Resi) in die mehrfachen Gleiskörper und vor dem Gefängnis auf die Straße. Es gab riesige grauschwarze Rauchsäulen. Die Jagdbomber zogen über dem Blumenberg hoch und kamen mit weiteren Bomben und Bordwaffenfeuer zurück. Es hatte keinen Fliegeralarm gegeben und nach einigen Minuten war die böse Überraschung vorbei.

Meine Mutter war zu diesem Zeitpunkt auf dem Weg in die Stadt an der Ecke des Heilig-Geist-Spitals. Plötzlich krachte es fürchterlich, und Bordwaffenfeuer und Fluglärm war in nächster Nähe. Sie flüchtete über die Straße in die gegenüberliegende Bäckerei Schneller. Da niemand im Laden war, kletterte sie in Panik über die Ladentheke und eilte durch die Türe in den dahinterliegenden Hausgang. Unter der Holztreppe sah sie eine Gruppe verängstigter Leute sitzen. Da sie keinen Platz mehr hatte, musste sie stehenbleiben und war sofort an der Tür, als jemand von außen an die Haustüre schlug und um Hilfe rief. Als sie die Tür öffnete, stürzte ein Bauer mit blutigem Gesicht ins Haus. Er wollte mit dem Pferdewagen zur Baywa fahren und wurde an der Spitalecke vom Angriff überrascht. Durch den Lärm der Bordwaffen und Bomben waren die Pferde scheu geworden und mit der Wagendeichsel ins Schaufenster gestoßen. Beim Versuch, die Tiere zu stoppen, waren dem Bauern Glassplitter ins Gesicht geflogen.

Auch meine Tante Rosa Karl aus der Hindenburgstraße war Augenzeugin. Sie wollte zur gleichen Zeit in der Baywa Hühnerfutter holen. Von der Baywa zur Altmühl hin waren noch ein Nebengleis, ein Zaun und sauere Wiesen. Sie war ungefähr auf Höhe der heutigen Haifischbar, als der Angriff begann. Vor Angst und Schrecken warf sie sich hinter den Zaun. Kaum lag sie am Boden, gab es einen gewaltigen Erdstoß, ein brüllendes Geräusch, und von oben klatschte etwas auf sie drauf, dass sie fast die Besinnung verlor. In etwa 15 Metern Entfernung war eine Bombe in die Altmühl gefallen. Man konnte vom damaligen "Notsteg" aus noch lange den Bombentrichter in der Altmühl sehen. Elf Bomben richteten gewaltigen Schaden an. Ein weiterer Augenzeuge erzählte mir, dass er als Bub auf dem Bahngelände unterwegs gewesen sei. Als plötzlich die Geschosse der Flak und die Bordwaffen der Flieger über die Gleisanlagen pfiffen, irrte er hilflos umher. Zum Glück packte ihn ein Eisenbahner und zog ihn in den Splitterbunker, der auf dem Gelände stand. Das beherzte Eingreifen des Mannes hat ihn wahrscheinlich das Leben gerettet. Am 14. April erfolgte ein weiterer Angriff, bei dem sechs Bomben auf den Eichstätter Stadtbahnhof fielen.

Durch diese Ereignisse fassten meine Mutter und Tante Lina den Entschluss, doch lieber in der Stadt zu bleiben. Tante Rosa in der Hindenburgstraße hatte einen großen Keller, und da der Feind von westlicher Richtung erwartet wurde, war man im Osten der Stadt vielleicht etwas sicherer. Am 24. April gegen Abend gingen wir die Reichsstraße (damals Autostraße) in Richtung Aumühle bis zur Aumühlkreuzung, um über die Aumühlbrücke zu kommen. Dort stand ein großer Mann mit schwarzem Ledermantel und Hut und fragte, wohin wir wollen. Meine Mutter gab ihm Auskunft und der Mann sagte noch in strengem Tonfall: "Aber schnell, um 6 Uhr wird gesprengt! " Als wir bei der Tante Rosa in der Hindenburgstraße waren, hörten wir einen dumpfen Donner. "Jetzt is' d' Aumühlbruck kaputt", sagte Tante Lina.

Vom Haus der Tante in der Hindenburgstraße konnte man über den Schuttplatz zur Anlage und bis zur "Pietenfelder Zughaltestelle" sehen. Am Abend ging das Artilleriefeuer los und dauerte die ganze Nacht. Aus Richtung Blumenberg und Wegscheid kam der Feuerschweif, und die Granaten schlugen gegenüber in den Gegenhang vom Rosental und entlang der Böschung bis zur Pietenfelder Eisenbahnhaltestelle ein. Es war wie ein Feuerwerk, und wir Buben konnten vor Aufregung nicht schlafen. Am frühen Morgen waren wir verwundert, dass das Waldschlösschen nicht getroffen worden war. Gegen Mittag kam Tante Rosa zur Kellertür herein und sagte leise und kreidebleich: "Die Amerikaner san da. " Wir spähten vorsichtig die Hindenburgstraße entlang und sahen rechts und links der Straße die Amerikaner mit vorgehaltenen Gewehren in Schützenreihe auf uns zukommen. Sie sahen in jeden Garten, gingen aber in kein Haus und uns fiel ein Stein vom Herzen. Auf der Reichsstraße (heute B 13) fuhren amerikanische Panzer den ganzen Tag in Richtung Ingolstadt. Alle 100 Meter blieben sie stehen und gaben einen Schuss in den Berghang ab. Sie vermuteten noch immer SS-Einheiten im Wald.

Nachdem wir noch eine Nacht bei meiner Tante Rosa waren, wollten meine Mutter und Tante Lina in unser Haus zurück. Da die Aumühlbrücke gesprengt worden war, kletterten wir über den schmalen Gang des Aumühlwehrs, um an das andere Ufer zu gelangen. Die "Schlößlerbrücke" war ja auch gesprengt worden. Als wir bei unserem Haus in der Sebastiangasse ankamen, bot sich ein trostloser Anblick. Die Nachbarn erzählten, dass vorm Einmarsch der Amerikaner noch kurz der Frauenberg und die Sebastiangasse beschossen worden waren. Meine Mutter hatte oben die Fenster ausgehängt, damit sie bei eventuellem Beschuss nicht zerbarsten. In den Garten der Nachbarn Reuder hatten ein paar Granaten eingeschlagen, aber nur geringen Schaden an einem Schuppen verursacht. Die Hauswand unseres Hauses hatte an die Hundert faustgroße Löcher von den Granatsplittern abbekommen und meine Mutter und Tante trugen einen ganzen Tag kübelweise Dreck aus dem Haus. Sie trösteten sich damit, dass wenigstens die ausgehängten Fenster verschont geblieben waren.

EK



Werner Pfaller