Kottingwörth
Die große Kottingwörther Maibaumaffäre

Noch heute erzählt man sich in dem Beilngrieser Ortsteil die Geschichte, wie der Pfarrer einst das Brauchtum gehörig missverstand

30.04.2020 | Stand 02.12.2020, 11:26 Uhr
Lange Tradition: Schon in den 1920ern wurde in Kottingwörth in den Mai getanzt, wie ein Bild aus alten Tagen zeigt (links). Im Jahr 1936 eröffneten "Moierin" Theresia Deyerler und "Moier" Valentin Ingerling das Tanzen um den Maibaum. Heuer kann wegen der Coronakrise kein Maibaum aufgestellt werden. −Foto: Wittmann (Repro)

Kottingwörth - Auf das Maibaumaufstellen müssen die Menschen in der Großgemeinde heuer verzichten.

Damit dieser bis ins Hochmittelalter zurückreichende Brauch aber nicht ganz ignoriert wird, soll zumindest an einige besondere Begebenheiten in der Kottingwörther Geschichte erinnert werden. Anfang der 1950er Jahre gab es dort sogar eine "Maibaumaffäre" - mit dem Dorfpfarrer in einer Hauptrolle.

Wie lange die Tradition in Kottingwörth schon gepflegt wird, ist nicht nachweisbar. Fotos belegen zumindest, dass schon in den 1920er Jahren um den Maibaum getanzt wurde. Auch die Erzählungen von der "Moierin" und vom "Moier" sind bei den Älteren durchaus noch lebendig.

Einiges aus dieser Zeit ist geblieben, anderes hat sich verändert. Nach wie vor wird der nicht entrindete Baum in Kottingwörth - mit drei Kränzen aus Fichtenzweigen geschmückt - mit männlicher Muskelkraft aufgestellt, und zwar unter Zuhilfenahme sogenannter "Goaßen". Dann hören die Gemeinsamkeiten mit der guten, alten Zeit aber beinahe auf. Schon der Standort hat sich geändert: Statt im "Oberdorf" gegenüber des Treffer-Stadls hat der Maibaum seit den 1950er Jahren seinen Standort im "Unterdorf" gegenüber des Gasthauses zur Sonne.

"Der 1. Mai war einst ein Freudentag für das ganze Dorf", erinnerte sich die ehemalige "Moierin" Theresia Deyerler, später Götz, an ihre Jugendjahre. "Moier" und "Moierin" unter den jungen Burschen und Mädels wurden die beiden, die für das Fest - bei einer Sammlung auf einer geheimen Liste vermerkt - am meisten Geld gespendet hatten. Damit und mit dem Erlös aus der Versteigerung oder dem Verkauf des alten umgelegten Baumes war für das nötige Freibier gesorgt. Der "Moier" und die "Moierin" standen am 1. Mai während des ganzen Tages im Mittelpunkt. Nach dem Mittagessen, so gegen 14 Uhr, zog der "Moier" in Begleitung der Burschen des Dorfes und zweier Musikanten zum Elternhaus der "Moierin" und zu den Wohnungen der anderen Mädchen. Sie hatten volle Maßkrüge dabei und jeder ließ seine Begleiterin daraus trinken. Nach der Abholung marschierten Jung und Alt in einem Festzug durch das Dorf und schließlich zum "Moierbigl", wo in den 1930er Jahren nach einer politischen Rede der "Moier" und die "Moierin" den Tanz um den Maibaum mit einem Walzer eröffnen durften. Gemeinsam feierten die Dorfbewohner bis in die Abendstunden. Eines darf man bei alledem nicht übersehen: Der 1. Mai war in den 1930er Jahren von den Nazis zum "Volksfeiertag" ausgerufen worden, das Brauchtum wurde zu einem Propagandainstrument umfunktioniert, unter anderem durch Hakenkreuzfahnen am Maibaum. Das war wohl mit ein Grund, dass der Brauch mit "Moier" und "Moierin" nach dem Krieg in Kottingwörth ausgestorben sind. Das Brauchtum des Maibaumaufstellens wird aber nach wie vor gepflegt - in Zeiten ohne Corona inzwischen immer schon am Abend des 30. April.

Zum Brauchtum gehörte in früheren Zeiten auch das Stehlen eines Baumes durch die Dorfburschen, wenn keiner gespendet worden war. Schon Tage davor suchten sie im Wald einen passenden aus. In dunkler Nacht wurde eine stattliche Fichte von etwa 30 Meter Länge dann von zehn bis 15 Mann in einer nicht ungefährlichen Aktion gefällt und "heimlich" an einen möglichst sicheren, versteckten Ort transportiert. Die anfangs noch mit Eisenreifen beschlagenen Wagenräder umwickelte man mit Säcken, damit bei der Fahrt auf den geschotterten Wegen und Dorfstraßen möglichst wenig Geräusche verursacht wurden. Oberstes Gebot: Nicht erwischen lassen! 1953 ist es aber geschehen, es gab einen bis heute unbekannten "Verräter". Eine Anzeige war bei der Polizei eingegangen. Der "Kläger" wollte anonym bleiben und blieb es auch. An ihren Stimmen sollen Beteiligte des Nachts erkannt worden sein, wenigstens drei von ihnen, so behaupteten jedenfalls die vernehmenden Polizisten. Schließlich kam es zu vier Anzeigen und beim Amtsgericht in Beilngries wurde ein Verhandlungstermin anberaumt. Vor dem Richter stand auch eine Bäuerin, die den Burschen den Wagen für den Transport des Baumes ausgeliehen hatte. Der war aus dem Pfarrholz "gestohlen" worden, die Anzeige ging also letztlich vom Dorfpfarrer aus. Da griff der damalige Vorsitzende des FSV Kottingwörth, Alois Legl, vermittelnd ein, um das Schlimmste zu verhindern. Er suchte mit einer Handvoll der Betroffenen den damaligen Pfarrer Andreas Mayer auf, um die Sache gütlich zu regeln. Dieser hatte die Pfarrei erst 1950 übernommen und wenig Verständnis für das auf Brauchtum begründete Fehlverhalten. Er hielt den "Tätern" entgegen, dass sie doch vorher hätten fragen können, ob sie einen Baum bekommen. Und außerdem: "Ein bisschen Strafe schadet nicht. " Dieser Satz klang den Betroffenen jahrzehntelang in den Ohren und wurde bei Gesprächen über dieses Thema immer mit Empörung zitiert. Denn das Strafmaß für drei Burschen und die Bäuerin war "ein bisschen" sehr hoch: 660 Mark hatten sie insgesamt zu berappen. Bei den damaligen Einkommensverhältnissen eine ganz erhebliche Summe. Allerdings boten die beteiligten Dorfburschen daraufhin ein Musterbeispiel an Zusammenhalt und Solidarität. Sie ließen die vier nicht hängen, sondern teilten die Summe durch zwölf, sodass jeder "nur" einen Betrag von 55 Mark abzustottern hatte.

Auf den Dorfpfarrer waren die jungen Leute daraufhin gar nicht gut zu sprechen, und das brachten sie eindrucksvoll und für jedermann sichtbar zum Ausdruck: Sie sägten nach dem Prozess den teuren Maibaum um und legten ihn in einer Nacht von Samstag auf Sonntag in den Pfarrhof. Für die zahlreichen sonntäglichen Kirchgänger setzten sie so ein überdeutliches Zeichen ihrer Missbilligung und ihres Unmuts über ihren gestrengen Pfarrer.

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