Zwangsprostituierte ist "für ihr Leben gezeichnet"

25.06.2008 | Stand 03.12.2020, 5:48 Uhr

Ingolstadt (DK) Der Angeklagte blieb bis zuletzt dabei: Er habe seine 30 Jahre alte Landsmännin niemals zur Prostitution gezwungen, hatte der 45-jährige Russe vor der 3. Strafkammer am Landgericht Ingolstadt erklärt. Staatsanwalt Jürgen Häuslschmid ist dagegen voll von der Schuld des Angeklagten überzeugt. Er forderte gestern vier Jahre Freiheitsstrafe wegen schweren Menschenhandels für den Mann.

Laut Anklage hatte der Russe die Frau Ende 2003 in Ingolstadt zum Anschaffen geschickt und dann einem hier ansässigen Türken überlassen, für den sie sich über Monate hinweg an wildfremde Männer verkaufen musste. Den Liebeslohn kassierten die Zuhälter.

Schwer traumatisiert hatte die 30-Jährige dem Gericht am Dienstag unter Polizeischutz von ihrem Martyrium berichtet. Darüber, wie sie wegen 2000 Dollar Schulden bei dem 45-Jährigen auf dessen Geheiß nach Spanien gegangen war, um dort als Prostituierte zu arbeiten. Auch davon, wie ein Spanier sie dem Russen "abgekauft" hatte, wie sie später wiederum vom Angeklagten nach Nürnberg gelotst und von dort nach Ingolstadt weiter gereicht wurde. Und immer wieder musste sie ihren geschundenen Körper hergeben, um irgendwelche Männer zu befriedigen, oft drei Mal am Tag. Ihre Peiniger, der Russe ebenso wie der Türke, wollten ebenfalls bald täglich ihren "Spaß" mit ihr, ohne Rücksicht auf die Verfassung der Frau.

Die Schilderungen warfen ein Schlaglicht auf die eiskalten Machenschaften im internationalen Rotlichtmilieu. Auch darauf, wie die Opfer sich immer wieder Hilfe suchend an ihre Peiniger wenden, weil sie niemanden sonst haben, um damit erneut "verheizt" zu werden. Außenstehenden ist das unerklärlich, doch "da entsteht häufig ein gewisses Hörigkeitsverhältnis", wusste die Anwältin der 30-Jährigen, Marianne Kunisch. Ihre Mandantin leide sehr an den Folgen und habe zwei Selbstmordversuche hinter sich. "Sie ist noch nicht wieder angekommen im Leben."

Die Anwältin zeigte sich ebenso von der Schuld des 45-jährigen Russen überzeugt wie der Staatsanwalt. Häuslschmid hatte keinerlei Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Kronzeugin. Besonders übel kreidete er dem Angeklagten die bleibenden Schäden bei der 30-Jährigen an: "Sie ist für ihr Leben gezeichnet." Für Häuslschmid steht zweifelsfrei fest, dass der einschlägig vorbestrafte Russe seine Landsmännin zur Prostitution gezwungen hatte.

Verteidiger Joachim Schwarzenau hatte einen schweren Stand. Mehrfach hatten Gericht und Staatsanwalt versucht, dem Angeklagten ein Geständnis zu entlocken, um dem Opfer den Auftritt vor Gericht zu ersparen. Der 45-Jährige blieb trotz der Beweislast stur. Ob Schwarzenaus Antrag auf Freispruch – er hatte, wie es schien, eher pflichtgemäß denn aus Überzeugung die Glaubwürdigkeit der Kronzeugin angezweifelt – Erfolg hat, zeigt sich heute bei der Urteilsverkündung.