Ingolstadt
Zu wenig Zeit für zu viel Arbeit

13.12.2010 | Stand 03.12.2020, 3:21 Uhr

Ingolstadt (DK) Klaus Bittl hat ein Problem: Er und seine Kollegen nehmen ihre Arbeit sehr ernst. "Wir machen immer alles möglich", seufzt er. "Alle hängen sich rein." Gut für die Bürger – schlecht für die Polizeibeamten.

Klaus Bittl ist Vorsitzender des Kreisverbandes der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) Ingolstadt. Wenn seine Kollegen weniger arbeitsam wären und Dienst nach Vorschrift machen würden, entstünde bald Unordnung. Denn es gibt zu wenige Polizisten, sagt Bittl. Stimmt nicht, sagt das Bayerische Innenministerium. Wer hat Recht?

"Es gibt eine so genannte Soll-Stärke. Sie sagt aus, wie viele Polizisten eine Inspektion braucht", sagt Bittl. Die Ingolstädter Zahl hält er für viel zu niedrig. Dann rechnet er vor: "Auf dem Papier erreicht die Polizeiinspektion Ingolstadt 92 Prozent der Soll-Stärke. Tatsächlich verfügbar haben wir aber nur 77 Prozent" – also etwas mehr als drei Viertel. Wer länger krank ist, eine Halbzeitstelle hat oder eine Weiterbildung absolviert, steht zwar in der Statistik, ist aber nicht oder nur zum Teil einsetzbar.

Schuld an der Misere sind aus Sicht des Gewerkschafters unter anderem Bayerns früherer Ministerpräsident Edmund Stoiber und seine Organisationsreform. Geplant gewesen sei unter anderem ein Abbau von 2300 Stellen. Unter dem jetzigen Ministerpräsidenten Horst Seehofer seien zwar 1000 neue Ausbildungsstellen finanziert worden. "Die mindern aber nur den Personalabbau", sagt Bittl – und das auch erst 2012, wenn die jungen Kollegen fertig ausgebildet sind.

Im Bayerischen Innenministerium sieht man die Lage viel entspannter. "Der bayerischen Polizei geht es sehr gut", sagt Sprecher Oliver Platzer, "viel besser als woanders." Zusätzlich zu den 1000 Ausbildungsstellen sei die Wochenarbeitszeit von 42 auf 40 Stunden verkürzt worden. Um trotzdem das gleiche Arbeitspensum zu schaffen, waren 700 neue Stellen nötig. Die Arbeitszeit war erst bei Stoibers Reform heraufgesetzt worden. Es seien auch viel weniger Stellen weggefallen als behauptet, sagt Platzer: "Von 2005 bis 2010 gab es Einsparverpflichtungen von rund 1200 Stellen."

Im Polizeipräsidium Oberbayern Nord, zu dem neben Ingolstadt unter anderem die Inspektionen Beilngries, Eichstätt, Neuburg, Pfaffenhofen und Schrobenhausen gehören, ist man nicht ganz so glücklich wie im Innenministerium. Man betreibe "seit längerer Zeit eine Mangelverwaltung", sagt ein Sprecher. In Ingolstadt sei die Polizeipräsenz zwar hoch, "aber bei kleineren Dienststellen sind Schulungs-, Krankheits- oder Schwangerschaftsausfälle schwer ersetzbar". Da sei es "sehr aufwendig, den Schichtdienst zu erhalten". Manchmal müssten Nachbarinspektionen aushelfen. Mit der Situation hat man sich aber vorerst abgefunden – und hofft, von den 1 000 neuen Polizisten einige abzubekommen, um "Löcher schließen zu können".

Bis dahin, so befürchtet Klaus Bittl, werden in Zukunft noch mehr Fälle passieren wie der mit dem Autoknacker: "Da konnte der Täter nicht ermittelt werden, obwohl er von einer Überwachungskamera aufgezeichnet worden war." Als sich der zuständige Polizist um den Fall kümmern konnte, waren zwei Tage vergangen – das Videoband hatte sich in der Zwischenzeit schon überspielt.