Ingolstadt
Zerwürfnisse im türkischen Lager

Unruhe um Verfassungsreferendum auch in der Stadt ist Thema im Migrationsrat

31.03.2017 | Stand 02.12.2020, 18:23 Uhr

Ingolstadt (DK) Die Irritationen und sogar Zerwürfnisse unter in Ingolstadt lebenden Türken im Zuge der Auseinandersetzungen um das Verfassungsreferendum in der Türkei gehen offenbar tiefer, als manchem flüchtigen Beobachter bewusst ist. Das wurde jetzt im Migrationsrat der Stadt deutlich.

Barbara Leininger, Stadträtin und Migrationsrätin der Ingolstädter Grünen, hatte am Donnerstagabend bei der Sitzung des Gremiums im VHS-Haus darum gebeten, die jüngste Verlautbarung aus der Ditib-Moschee an der Manisastraße zu allgemeinen Verdächtigungen gegen die aus der Türkei staatlich kontrollierte Glaubensgemeinschaft (DK berichtete) als zusätzlichen Punkt auf die Tagesordnung zu setzen.

Leininger bewertete diese Stellungnahme des örtlichen Moscheevorstands, die faktisch eine säuberlich vorbereitete Presseerklärung des Ditib-Landesverbandes darstellte, als "sehr allgemein gehalten" und ohne Bezug zur tatsächlichen Situation in Ingolstadt. Das habe sie "etwas enttäuscht".

Die Grünen hatten im Februar in einem Brief an OB Christian Lösel den Wunsch geäußert, dieser möge die örtlichen Ditib-Verantwortlichen angesichts allgemeiner Sorge um politische Bespitzelungen türkischer Mitbürger durch Ditib-Imame zu einer Erklärung bewegen. Lösel hatte sich dazu nicht öffentlich geäußert, die Bitte aber offenbar an die Ditib-Moschee - immerhin die größte in Bayern - weitergeleitet. Auch Ingrid Gumplinger, Vorsitzende des Migrationsrates, hatte als Mitglied der Stadtverwaltung am Donnerstag offenbar Sorge, der Tagesordnungspunkt könne durch eine eifrige Diskussion in dieser Runde zu viel Unruhe ins bislang unaufgeregte offizielle Verhältnis zur türkischen Ditib-Gemeinde bringen. Dies sei ein so weit gefasstes Thema, dass man es auf lokaler Ebene "nicht abschließend lösen" könne, so die Vorsitzende. Gumplinger wurde sogar recht deutlich: "Das möchte ich in Ingolstadt nicht aufgreifen."

Einige Mitglieder des Integrationsrates sahen dies freilich anders: Monika Müller-Braun, auch Mitglied im Beirat des türkischen Kultur- und Bildungsvereins Atlantik, sorgt sich offenbar sehr wohl um die Stimmungslage unter den in der Stadt lebenden Türken. Im Atlantik-Beirat sei die jüngste Sitzung "ziemlich schaurig" gewesen, schilderte sie ihren Eindruck.

Einige Eltern, so Müller-Braun, hätten sogar ihre Kinder aus dem Atlantik-Kindergarten abgemeldet, weil sie sich so offenbar vom Trägerverein distanzieren wollen, der von Kritikern bekanntlich immer wieder mal mit der Gülen-Bewegung in Verbindung gebracht worden ist, die von der türkischen Staatsführung um Präsident Erdogan längst als Ansammlung von Staatsfeinden gesehen wird. Diese schwerwiegenden Differenzen, so die Beobachtung der Migrationsrätin, würden nun auch in Ingolstadt greifbar: "Es ist ein Klima, das befremdet und ängstigt."

Die Rechtsanwältin Derya Basal, ebenfalls Mitglied im Migrationsrat, erinnerte an Vorkommnisse in der Stadt unmittelbar nach dem gescheiterten Militärputsch in der Türkei im vergangenen Jahr. Da seien bei einer Pro-Erdogan-Demo Ingolstädter Türken eindeutig gegen den Verein Atlantik gerichtete Parolen zu hören gewesen. Das dürfe man "nicht totschweigen".

Barbara Leininger berichtete von Informationen, wonach inzwischen offene Abneigung unter örtlichen Türken an der Tagesordnung sei. Teils würden bereits Geschäfte von Landsleuten, die einer Ablehnung des Verfassungsreferendums verdächtigt würden, gemieden oder gar boykottiert. Atila Dikilitas, Vertreter der Aleviten im Migrationsrat, sprach von vielen Freundschaften unter Türken, die jetzt "kaputtgemacht werden".

Vorsitzende Gumplinger versprach angesichts dieser deutlichen Stimmen, eine Arbeitsgruppe des Migrationsrates mit dem Thema zu befassen.