Berlin
Zeitreise in Weiß

20.03.2017 | Stand 02.12.2020, 18:27 Uhr

"Charité" erzählt von Ärzten und Forschern sowie von der ehrgeizigen Krankenpflegerin Ida Lenze (Alicia von Rittberg, rechts), die sich gegen die Männerherrschaft auflehnt. Auch die Liebe kommt in dem ARD-Sechsteiler nicht zu kurz. - Foto: Konietzny/ARD

Kein fließendes Wasser, kein elektrisches Licht: Der medizinische Alltag Ende des
19. Jahrhunderts war hart. Mit "Charité" zeigt die ARD die erste historische Krankenhausserie.

Berlin (DK) So mancher Zuschauer wird wohl kurz die Augen schließen oder weggucken, wenn Stabsarzt von Behring zum Luftröhrenschnitt an einer Kranken ansetzt. Denn die Kamera ist hautnah dabei. Das gilt auch für den Schnitt mit dem Skalpell, um bei einer Patientin gerade noch rechtzeitig den Blinddarm zu entfernen.

Von der "Schwarzwaldklinik" über "Emergency Room" und "Grey's Anatomy" bis zu "In aller Freundschaft" - Krankenhausserien sind beliebt, werden meist als Seifenoper oder Dramaserie erzählt. Die ARD geht jetzt neue Wege: "Charité" ist eine historische Serie, sie geht zurück ins Jahr 1888 und erzählt die Geschichte der über 300 Jahre alten Klinik in Berlin, die heute zu den größten und besten in ganz Europa gehört.

Die junge, mittellose Ida Lenze (als widerspenstiger Engel wunderbar gespielt von Alicia von Rittberg) schleppt sich mit akuter Blinddarmentzündung in die "Charité". Sie steht für die einfachen und armen Men-schen, die - während die Reichen den Arzt zu sich kommen ließen - Hilfe in dem Krankenhaus suchten, dessen Name "Barmherzigkeit" bedeutet. Die strenge Oberin Martha nimmt Ida in Empfang, will ihr Leib-wickel verpassen mit den Worten "Der Körper muss sich selbst heilen - mit Pflege und Gottes Hilfe". Von Fortschritt hält sie nichts. Ein angehender Arzt nimmt sich Ida an, im Hörsaal der Klinik wird sie vor den Studenten mit einer neuen Methode operiert. Sie überlebt. Doch da sie kein Geld hat, muss sie die Behandlungskosten abarbeiten, als "Hilfswärterin". Ein Student macht ihr schöne Augen, doch sie fühlt sich nach einigen Irrungen zum Arzt Emil von Behring hingezogen. Der ermutigt sie, Medizin zu studieren - allerdings in der Schweiz, denn im Deutschen Reich ist das Frauen verboten. Wir schreiben das Jahr 1888. Es ist das Drei-Kaiser-Jahr. Und die politischen Ereignisse strahlen auch in die Klinik, in der Ärzte von Weltruf praktizieren, lehren und forschen: Rudolf Virchow (Ernst Stötzner), Begründer der Pathologie, Robert Koch (Justus von Dohnányi), Entdecker des Tuberkulose-Bazillus, Paul Ehrlich (Christoph Bach) und Emil von Behring (Matthias Koeberlin), die Entdeckungen auf dem Gebiet der Hygiene und in der Bekämpfung der Diphtherie machten. Drei von ihnen (Koch, von Behring, Ehrlich) erhielten später den Nobelpreis.

Die Serie erzählt ein bedeutendes Stück Wissenschaftsgeschichte. Sie belässt es aber nicht dabei, sondern packt auch noch die Geschichte der Frauenrechte, die politische Entwicklung der Zeit, Burschenschaftsherrlichkeit und eine Liebesgeschichte hinein. Ein wenig viel für die gerade mal sechs Folgen à 45 Minuten. Zu viel. Da die richtige Balance zu finden und mehr als Charaktere anzuerzählen ist ein schwieriges Unterfangen für Sönke Wortmann in seiner ersten Serien-Regiearbeit. Der hat mit "Frau Müller muss weg", "Der bewegte Mann" oder "Das Wunder von Bern" Kinohits geschaffen, doch diese Zeitreise in Mull zeigt ihm Grenzen auf. Mit Holly Fink hat er zwar einen exzellenten Kameramann an seiner Seite, der Räume lebendig werden lassen kann und starke Bilder findet, die manchmal wie historische Postkarten wirken. Doch die Serie von Grimme-Preis-Trägerin Dorothee Schön ("Frau Böhm sagt nein") und Sabine Thor-Wiedemann, Ärztin und Medizinjournalistin, ist einfach zu überfrachtet mit Personal, Handlung und Konflikten, gibt so den Figuren zu wenig Spiel-Raum. So bleiben die "Halbgötter in Weiß", die allesamt Bart tragen, meist in Eifersüchteleien und Konkurrenzkämpfen in Sachen Forschung stecken.

Trotz der Überfrachtung, unterhaltsam und informativ ist die TV-Serie, sorgfältig in der Ausstattung und den Kostümen gibt "Charité" ein stimmiges Bild der Kaiserzeit und der kargen Welt des Krankenhauses. Dazu gibt es reichlich Liebe und Leidenschaft. Regisseur Wortmann sagt dazu: "Wenn es glaubhaft ist, dann gehört so etwas auch in den Film. Es gibt ja zwei Liebesgeschichten: die von Ida Lenze und die von dem damals 47-jährigen Robert Koch, der sich in eine 17-jährige Schauspielerin verliebt hat, und sie sich auch in ihn. Das ist genau so passiert. Die beiden haben auch geheiratet. Und sie waren verheiratet, bis der Tod sie schied. Wie romantisch!"

Sechs Folgen, dienstags, jeweils 20.15 Uhr; Start heute mit Doppelfolge und ab 21.50 Uhr die Doku zur Serie: "Die Charité - Geschichten von Leben und Tod".