München
YouTuber Michael Sommer stellt berühmte Werke mit Playmobil-Figuren nach

30.04.2021 | Stand 10.05.2021, 3:33 Uhr
Nach "Weltliteratur to go" gibt es jetzt die "Bibel to go" aus der Kreativwerkstatt von Michael Sommer. Seit Oktober 2020 und noch bis September 2021 geht hier jeweils sonntags ein weiteres Bibel-Video online: Die Bilder (unten, von links nach rechts) zeigen Szenen aus: Das Buch der Richter, Das Buch Hiob, Das Hohelied Salomos. −Foto: Wankmiller, Sommer

München - Gott trägt einen Bart.

Das weiß man spätestens, seit Michelangelos ihn so auf seinem Deckenfresko in der Sixtinischen Kapelle verewigt hat. Aber hier hat er helltürkise Haare, erstaunt aufgerissene Augen, einen tätowierten und einen braunen Arm und trägt zum lila-orange-pink-gemusterten Hippie-Outfit Sandalen. Hier ist Gott 7,5 Zentimeter groß und aus Kunststoff. Gott gehört dem Playmobil-Ensemble von Michael Sommer an, der jede Woche auf seinem Youtube-Kanal Literaturklassiker mit Playmobilfiguren nachspielt. Dafür hat er 2018 den Grimme-Online-Award bekommen.

Seit sechs Jahren betreibt Michael Sommer diesen Kanal und produzierte 339 Weltliteratur-to-go-Videos (plus 63 auf Englisch) - von Vergils "Aeneis" bis zu Schillers "Wilhelm Tell". Der Witz liegt zum einen in der Kürze des Formats - "Der Herr der Ringe" in 14 Minuten, Thomas Manns "Zauberberg" in knappen 11 Minuten, Goethes "Faust" (I+II) in etwa 20 Minuten -, zum anderen in der Darstellung. Denn Regisseur Michael Sommer pflegt eine unkonventionelle und höchst unterhaltsame Herangehensweise an den Stoff, und sein Ensemble, das mittlerweile auf 1500 bis 2000 Figuren herangewachsen ist, liebt nichts mehr als die Improvisation.

Die erste Playmobil-Show fand 2013 statt, da war Michael Sommer noch Dramaturg am Theater Ulm und arbeitete mit einem Regisseur an Georg Büchners Revoluzzer-Drama "Dantons Tod". Bei einer Einführungsveranstaltung präsentierte er ein zehnminütiges "Puppenspiel" - die Initialzündung zu einer ganz speziellen Reihe. Jeden Montag geht nun ein neues Video online. Und zu Klassikern wie Goethe und Shakespeare, Jane Austen und George Orwell gesellte sich Kinder- und Gegenwartsliteratur - etwa die ersten drei Harry-Potter-Bände von Joanne K. Rowling oder "Nichts" von Janne Teller. Michael Sommer schrieb ein Buch und war mit seiner Liveshow sogar schon in Ingolstadt zu Gast.

Als der erste Lockdown im März 2020 kam und viele Abiturienten wegen coronabedingt mangelnder Vorbereitung um ihre Prüfungen bangten, überlegte sich Michael Sommer, selbst Lehrer an einer Berufsfachschule, mit Freunden und Kollegen ein neues Format. In mehrstündigen Livestreams vermittelte er mit seiner Playmobil-Mannschaft und vielen Filmchen grundsätzliches Wissen über Epik, Lyrik und Dramatik und die entsprechenden Schullektüren. Dieses Jahr - wir befinden uns wieder oder immer noch im Lockdown - hat er für die Prüflinge eine Reihe von zwölf Videos zu den literarischen Epochen gedreht: angefangen vom Barock bis zur Exilliteratur, die erst vor wenigen Tagen veröffentlicht wurde. "Ich weiß, wie groß die Not der Schüler und Schülerinnen ist, die keinen Live-Unterricht haben und möglicherweise nicht so leistungsstark sind. Deshalb wollte ich etwas tun. Auch, um Solidarität zu zeigen. Die jungen Leute sollen sich nicht alleingelassen fühlen. "

Und dabei hatte Michael Sommer mit seinem Bibel-Projekt doch genug zu tun. Denn aktuell "verplaymobilisiert" er alle 66 Bücher der Bibel. "Wer sich mit Literatur beschäftigt, kommt an der Bibel nicht vorbei", sagt er. "Sowohl was die Sprache angeht - insbesondere seit der Luther-Übersetzung - als auch, was die Geschichten angeht, finden wir immer wieder den Einfluss der Bibel in Geschichte und Gegenwart. Meist ist uns gar nicht bewusst, wo viele sprachliche Wendungen herkommen. "

Aus dem Buch der Bücher hat er ein Jahresprojekt gemacht. Seit Oktober 2020 und noch bis September 2021 dauert die Arbeit daran. "Ich bin schon auf der Endgerade des Alten Testaments. Noch drei Propheten to go, dann fängt die neue Staffel an", sagt er und lacht. Die größten Herausforderungen? "Es gibt zwei Arten von Herausforderung. Erstens: großer Handlungsreichtum. In der Genesis passiert ja beispielsweise unheimlich viel. Und ich habe ja nur einen begrenzten Zeitrahmen - etwa zehn Minuten. Zweitens: Handlungsarmut. Es gibt Passagen in der Bibel, die nur Vorschriften enthalten. In Levitikus/3. Mose geht es rauf und runter um Gesetze, die Gott seinem Volk mitgibt. Da muss man sich echt was einfallen lassen für die Playmobil-Figuren. "

Ein Schlüsselerlebnis hatte Michael Sommer beim Hohelied Salomos, dieser Sammlung von zärtlichen, teilweise explizit erotischen Liebesliedern, in denen das Suchen und Finden, das Sehnen und gegenseitige Lobpreisen zweier Liebender geschildert wird. "Wenn man das liest, weiß man gar nicht, wer spricht. Ich fand aber eine Interpretation eines Religionswissenschaftlers, die das Ganze aufgeschlüsselt hat in eine Art von Geschichte - die ich dann prompt übernommen habe für mein Video. "

Eine Herausforderung werden auch die vier Evangelien sein. Wie kann man dieselbe Geschichte viermal so erzählen, dass es trotzdem interessant bleibt? Michael Sommer lacht. "Ich werde es auf vier unterschiedliche Weisen erzählen. Und vier unterschiedliche Ästhetiken benutzen. "

Unterstützung und theologische Beratung gibt es übrigens von der Redaktion des Online-Portals evangelisch. de und Pfarrer Frank Muchlinsky. "Frank war auch derjenige, der mich gefragt hat, wie Gott aussehen wird im Alten Testament", verrät Sommer. Er hat die Figur als Cross-over aus männlichen und weiblichen Elementen zusammengesetzt, die sich nicht so klar festlegen lässt, auch mit unterschiedlichen Hautfarben - "eine relativ wichtige Message", findet er. Und erfährt damit sowohl Zuspruch als auch Ablehnung.

Und was kommt danach? Der Koran? "Nein", sagt Michael Sommer, "weil es darin so gut wie keine Geschichten gibt, die erzählt werden können. Das ist nicht mit der Bibel vergleichbar. In der Bibel ist nahezu alles in Geschichten eingebettet. Im Koran ist das nicht so. Da gibt es viel Kommentar und viele Regeln. Für meine spezifische Herangehensweise eignet sich das überhaupt nicht. "

Aber es gibt einen anderen Plan. "Ich möchte mich ein ganzes Jahr ausschließlich mit den wichtigsten weiblichen Autorinnen beschäftigen. Bisher habe ich mich weitgehend an Schullektüren orientiert. Es gab auch drei Abstimmungen, bei denen das Publikum sich wünschen durfte, was ich als nächstes verfilme. Nach wie vor sind es ungefähr 90 Prozent männliche Autoren. Das liegt an unserem Kanon. Was wir für literarische Klassiker halten, besteht hauptsächlich aus männlichen Autoren. Das hat soziologische und historische Gründe. Aber es ist in einer Zeit, in der wir sensibilisiert sind für Gleichstellung, eigentlich nicht akzeptabel. Ich kann es nicht ändern, dass es zur Zeit von Goethe und Schiller weniger Frauen gab, die geschrieben haben, als Männer. Aber wir können und müssen uns darum bemühen, die Repräsentanz zu erhöhen - und sei es mit mehr modernen Autorinnen. Dass Frauen strukturell in der Literaturvermittlung unterrepräsentiert sind, ist skandalös. Das Bewusstsein dafür muss sich verändern. "

DK


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