Brexit, USA, China
BGA-Präsident Anton Börner im Interview: "Es wird und muss sich vieles ändern"

30.04.2021 | Stand 10.05.2021, 3:33 Uhr
Der gebürtige Ingolstädter Anton Börner ist Präsident des Bundesverbandes Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA). −Foto: BGA

Es ist nicht nur die Corona-Krise, es sind auch der Brexit sowie die Verwerfungen zwischen den USA und China, die den deutschen Firmen das Leben bisweilen schwer machen. BGA-Präsident Anton Börner spricht im Interview mit unserer Zeitung von Einschränkungen und Kompromissen, Fehlern der Politik und von positiven Nachrichten während der Pandemie.

Herr Börner, der deutsche Außenhandel erholt sich und nähert sich langsam dem Vorkrisenniveau - wo läuft es denn derzeit besonders gut?

Anton Börner: Aus Ingolstädter Sicht kann man natürlich die Autoindustrie nennen, die dank China boomt. Aber auch der Maschinenbau, die Chemie und Pharmazie sind wichtig.

Und wo könnte es besser sein?

Börner: Bei allem, was mit Tourismus und Gastronomie zu tun hat, aber auch beim Einzelhandel und dem Messewesen. Da sind momentan dramatische Verwerfungen zu sehen.

In vielen Ländern gibt es noch starke Einschränkungen - was bedeutet das für den Außenhandel?

Börner: Es ist sehr schwierig, weil jedes Land andere Regeln hat. In China muss man zum Beispiel zwei Wochen unter inakzeptablen Verhältnissen in Isolation. Auf die Einreiseerlaubnis in die USA muss man lange warten und viele Seiten Papier ausfüllen. Auch deswegen habe ich die Impfpriorisierung hierzulande stark kritisiert: Der Export ist die Basis unserer Wirtschaft. Das funktioniert aber nur, wenn unsere Monteure, unsere Verkaufsleute auch reisen können. Wenn ich aber nicht geimpft werde, kann ich das nicht. Jeder versteht, dass eine Krankenschwester zuerst geimpft werden muss, doch auch der Monteur, der in Brasilien oder den USA die Maschinen baut oder wartet, ist wichtig. Denn er erwirtschaftet die Basis dafür, dass wir uns die ganzen Hilfen leisten können. Aber da fehlt in der Politik das Verständnis.

Welche Auswirkungen hat das auf die Wirtschaft?

Börner: Die Amerikaner zum Beispiel sind beim Impfen wesentlich schneller, treten nun an unsere Kunden heran und ziehen sie oft rüber. Die Chinesen setzen jetzt nichttarifäre Handelshemmnisse als Wettbewerbsinstrument ein - denn wenn kein Verkäufer oder Monteur ins Land kommt, bleibt nichts anderes übrig, als eine chinesische Firma zu beauftragen. Und wir stehen dann da und richten uns nach der Ethikkommission, in der keiner von der Wirtschaft sitzt. Das ist eine Schieflage, die dramatisch ist. Hier hat die Politik - über alle Parteien hinweg - einen blinden Fleck.

Sind die Chinesen denn auf dem technischen Level, dass sie die Aufträge eins zu eins übernehmen können?

Börner: Sie sind sicher nicht schlecht. Und man muss sich hier fragen: Müssen sie die letzten 3 Prozent noch schaffen, oder reichen 97 Prozent? Nicht jeder braucht eine absolute Präzision im Unternehmen. Es ist ein gefährliches Spiel zu glauben, wir sind so toll, dass wir uns das leisten können. Das können wir nicht. Die anderen sind auch sehr gut. Diese gefährliche Entwicklung sollte man nicht unterschätzen. Zudem verpflichtet China sich beispielsweise bei der Exportfinanzierung nicht, internationale Standards wie die der OECD einzuhalten.

Die Autohersteller haben gerade im 4. Quartal 2020 deutlich mehr Autos in China verkauft. Macht sich die Industrie zu abhängig von einem Land?

Börner: Als Unternehmen sind sie natürlich immer abhängig vom Kunden. Wenn sie einen Markt haben, werden sie dort arbeiten müssen. Was man aber erwarten könnte, ist, dass die Politik sowohl in Deutschland als auch in der EU die Rahmenbedingungen so setzt, dass das möglichst reibungslos funktioniert. Natürlich ist es so, dass China schwerpunktmäßig einen Risikofaktor darstellt - und der wird bedeutsamer werden, weil wir in einen säkularen Konflikt zwischen China und den USA hineinlaufen. Und wir brauchen beide Märkte.

China und die USA ringen um die globale Vormacht - wo steht Deutschland in diesem Kampf?

Börner: Dazwischen. Man muss mit diplomatischem Geschick verhindern, dass es zu einem Handelskrieg kommt, der dazu führt, dass man sich für ein Land entscheiden muss. Da ist die EU gefordert, für die Wirtschaft zu agieren - und Deutschland hat ein gewaltiges Wort mitzureden. Denn die Amerikaner wie Chinesen brauchen die Europäische Union als Markt und sie brauchen den Euro. Bei einem Handelskrieg gibt es nur Verlierer. Wir unterstützen daher den differenzierten Ansatz der EU zu sagen, in manchen Feldern ist China ein Partner, in anderen ein strategischer Rivale oder eben ein Wettbewerber.

Was könnte sich denn mit einem neuen Kanzler, einer neuen Kanzlerin nach der Bundestagswahl im Oktober für die deutsche Wirtschaft ändern?

Börner: Es wird und muss sich vieles ändern, egal, ob unter Herrn Laschet oder unter Frau Baerbock. Beide haben das ja auch sehr deutlich angekündigt. Dabei dürfen wir nicht nur auf den Klimaschutz schielen, sondern müssen das ganze Bild im Auge haben. Die Digitalisierung und Internationalisierung schreiten mit Siebenmeilenstiefeln voran und Deutschland trippelt hinterher.

Was würde es bedeuten, wenn die Grünen nach der Wahl in der Regierung wären?

Börner: Das kommt sehr darauf an, mit wem. Schwarz-Grün in Hessen oder Grün-Schwarz in Baden-Württemberg funktionieren fast reibungslos. Auch die Ampel in Rheinland-Pfalz arbeitet geräuschlos, aber die Konstellation in Berlin finde ich im Ergebnis nicht nur wegen des Mietendeckels eher abschreckend. Wie es auch kommt, die Sachzwänge sind für alle gleich und erfordern internationale Zusammenarbeit. So ist beispielsweise beim Außenhandel diplomatisches Fingerspitzengefühl gefragt, wie auch beim Euro und der EZB-Politik. Hier hat Deutschland ebenfalls ein gewichtiges Wort mitzureden. Was wir brauchen, ist Vernunft und keine Leute, die aus einer ideologischen Verblendung Porzellan zerschlagen. Es gibt Parteien, da erkenne ich diese Vernunft nicht, aber die sehen wir hoffentlich auch nicht in der Regierung.

Seit Januar bekommen viele Firmen die Auswirkungen des Brexit zu spüren.

Börner: Diese Auswirkungen kommen erst noch richtig hoch. Aber man sieht bereits, dass der Handel zurückgeht, unsere Außenhändler klagen. Die britische Wirtschaft leidet massiv darunter. Die Entscheidung für den Ausstieg war von Anfang an ein Blödsinn.

Die USA nach 100 Tagen Joe Biden - hat sich für die deutsche Wirtschaft etwas geändert?

Börner: Die wichtigste Nachricht ist erst einmal, dass Donald Trump nicht mehr da ist. Biden kennt Europa, kennt die Welt. Er ist ein Mensch, der weiß, dass er Kompromisse schließen muss. Aber er ist trotzdem ein harter Partner, der auch genau weiß, was er will. Schwieriger ist die Situation mit China. Das Land verfolgt eine imperialistische Politik, breitet sich im pazifischen Raum aus - damit besteht großes Konfliktpotenzial mit den betroffenen Ländern selbst, aber auch mit den USA, die diese Länder unterstützt. Das muss man mit Sorge sehen, denn wir stehen als Europa mittendrin. Die Gefahr ist sehr groß, dass verlangt wird, dass man die jeweilige Politik unterstützt.

Kann man da neutral bleiben?

Börner: Natürlich nicht.

Die Corona-Pandemie hat uns gezeigt, dass Lieferketten oft weniger stabil sind als gewünscht. Sollte sich Europa hier unabhängiger von Asien machen?

Börner: Wir haben es mit einem weltweiten Wettbewerb zu tun, und wir müssen in diesem Wettbewerb zum Auftrag kommen. Wirtschaft ist keine demokratische oder politische Veranstaltung, wo man Kompromisse erzielen kann, sondern eine binäre Veranstaltung - entweder ich bekomme den Auftrag oder eben nicht. Wenn ich ihn öfter nicht kriege, verschwinde ich vom Markt. Eine solche Volkswirtschaft hat dann erhebliche Probleme, den Wohlstand für seine Bürger zu erhalten. Man muss also wettbewerbsfähig sein und die Produkte oder Leistungen kostengünstig anbieten können. Wenn ich das nur realisieren kann, indem ich Komponenten zukaufe, muss ich das machen. Solange China unsere ausgelagerte Werkbank ist, wird es so bleiben. Wenn es aufgrund von Sanktionen nicht mehr geht, muss man sich etwas anderes überlegen. Die Bürger werden dies am Ende direkt spüren, denn sie werden weniger Auswahl haben und sich durch höhere Preise auch weniger leisten können.

Wenn allerdings Sanktionen kommen sollten, können Unternehmen kaum schnell Ersatz bekommen.

Börner: Wir versuchen, als Verband in einem solchen Fall Einfluss zu nehmen, egal, von welcher Seite da Sanktionen kommen. In der Pandemie zum Beispiel wurden zu Beginn die Grenzen geschlossen. Wenn dann Gemüse oder Obst, das aus Spanien kommt, oder die Teile, auf die Audi in Ingolstadt wartet, nicht über die Grenze dürfen, haben wir ein Problem. Und das lässt sich nur lösen, wenn wir international zu einer Übereinkunft kommen - das hat die Corona-Krise sehr schön gezeigt. Sonst werden spätestens ab dem dritten Tag die Supermarktregale leer.

Sind wir auf eine weitere Pandemie besser vorbereitet?

Börner: Bis jetzt nicht. Die Politik hat bislang nicht verstanden, dass man in die Entscheidungsgremien Leute bringen muss, die etwas von Beschaffungsmanagement, Logistik, Engpass- und Distributionsmanagement verstehen. Wir haben die Fachleute, aber die sitzen nicht in den Gremien. Wie schon gesagt, hier hat die Politik einen ganz blinden Fleck.

Und in den nächsten Monaten wird wegen des Wahlkampfes auch wenig passieren.

Börner: Ja, es geschieht nichts. Es wird nichts gemanagt, sonder weitergewurschtelt.

Falls die Impfungen laufen wie geplant und die Pandemie in Schach gehalten werden kann: Wo steht Deutschlands Wirtschaft am Ende dieses Jahres?

Börner: Ich glaube, dass wir ein deutliches Wachstum hinbekommen - 4,5 Prozent halte ich für realistisch. Ich glaube auch, dass der Export im Vergleich zum letzten Jahr zwischen 13 und 14 Prozent zulegen wird. Ich bin eher optimistischer. Und ich denke, dass der Tourismus und das Messewesen wieder anlaufen.

Bringt die Pandemie eine wesentliche Veränderung?

Börner: Ja, im Verhalten der Konsumenten. Ich glaube, dass das Online-Geschäft deutlich zunehmen wird. Ich befürchte, dass die Innenstädte weiter veröden werden. Für den Einzelhandel sehe ich große Verwerfungen. Auch Geschäftsreisen werden zurückgehen - mit entsprechenden Auswirkungen auf die Luftfahrtindustrie und auf Hotels. Es wird außerdem einen Innovationsschub Richtung Digitalisierung geben. Und man wird Produktionskapazitäten für Impfstoffe aufbauen. Gerade in der Medizin, Chemie und der Gentechnik wird sich viel ändern. Auch in Forschung und Entwicklung wird sehr viel passieren - Corona wirkt hier als Katalysator für einen Technologieschub. Das ist die positive Nachricht.

DKDas Interview führteSandra Mönius.