Ingolstadt
Wundersames Klangexperiment

Das Ensemble Capella Regalis erobert den Chor- und Altarraum des Münsters in Ingolstadt

27.01.2019 | Stand 23.09.2023, 5:47 Uhr |
Musikrenaissance: Franz Hauk dirigiert das von ihm neu gegründete Ensemble Capella Regalis im Liebfrauenmünster in Ingolstadt. − Foto: Weinretter

Ingolstadt (DK) "Klingende Kathedrale" nannte sich vielversprechend ein Projekt, das von der Gesellschaft für Bayerische Musikgeschichte als Auftaktkonzert anlässlich ihrer Jahrestagung quasi in Auftrag gegeben wurde.

Zur Thematik der Ingolstädter Universitätsgeschichte bot sich da natürlich als Aufführungsort das gotische Liebfrauenmünster als ehemalige Universitätskirche geradezu an. Hier studierten und wirkten einst eine Reihe von Musikern, aus deren Schaffen der künstlerische Leiter Franz Hauk ein stimmungsvolles Programm destilliert hat. Dazu erschließt er mit seinem neu gegründeten Ensemble "Capella Regalis" auf historischen, teilweise kaum mehr bekannten Instrumenten unterschiedliche Aufführungspositionen innerhalb des Chor- und Altarraums. Denn dieser bildete vormals die "Urkirche" des Münsters und diente dementsprechend auch zum gemeinsamen Singen.

Zunächst die seitliche - und ursprüngliche - Empore mit der Chororgel: Bei einem "Salve Regina" von Gregor Aichinger scheinen die weich strahlende, geschmeidige Sopranstimme von Anna Feith und der fließende Barockgeigenpart von Theona Gubba-Chkheidze aus der Höhe herabzuschweben. Später, bei einer ebenfalls von ihr vielschichtig-variantenreich gespielten Violinsonate, wird die Raum-Klang-Tiefe noch intensiver durchdrungen, abermals gesteigert bei einer durch Münsterorganist Franz Hauk selbst imposant intonierten, fantasiereichen Orgel-Toccata von Georg Muffat. Und später mit einer luftigen Note versehen bei einer heiteren, kammermusikalischen Triosonate von Johann Joseph Fux, zu der sich leichtfüßig perlend noch Justus Willberg mit seiner Blockflöte gesellt.

Überraschenderweise doch präsenter, als man zunächst glauben könnte, ertönt die Chormusik aus der von vorne kaum einsehbaren Kapelle hinter dem Mielich-Hochaltar. Der Reflexions-Effekt der Altarwand transportiert ein schemenhaft-filigranes Geflecht aus zwei neu entdeckten, kunstvoll verwobenen Gesängen von Michael Tonsor nach draußen.

Der eigentliche Chorraum freilich bietet neben dem stimmungsvollen optischen Ambiente die idealsten akustischen Voraussetzungen für zweichörig angelegten Gesang: Achtstimmige Werke von Adam Gumpelzhaimer, Orlando di Lasso und wieder Gregor Aichinger kommen hier besonders wirkungsvoll zur Geltung. Sie machen den responsorisch-dialogischen Gestus der Doppelchörigkeit konkret erfahrbar. Ausgewogen und homogen strömen die Phrasierungen wellenartig zwischen beiden Seiten hin und her. Sopranistin Anna Feith steht textakzentuiert mit den Instrumentalisten links dem präzise artikulierenden Vokalensemble rechts gegenüber, was interessante und kontrastreiche Klangfärbungen im Raum hervorruft.

Auch das teils exotisch anmutende Instrumentarium lässt sich bestaunen. Allen voran das Apfelregal, eine kostbare Miniatur-Orgel. Mit seinem vollen Ton entpuppt es sich als changierendes Instrument, das in der unteren Lage klingt wie die damaligen Barockposaunen, in der mittleren Lage näselnd wie ein Krummhorn, in der oberen wie eine Trompete. Versiert schöpft Georg Staudacher an der Tastatur die Register aus. Ihm assistiert souverän Mesner Wolfgang Geiger (ursprünglich Orgelbauer) als Kalkant, der für die richtige Luftzufuhr zwei schwere Blasebälge zeitgenau zu bewegen hat.

Zum Besetzungs-Vorbild hat sich die Musiker-Formation Abbildungen der Hofkapelle von Orlando di Lasso genommen und spürt so mit Krummhorn oder Bassettblockflöte der liturgischen Musizierpraxis des ausgehenden 16. und 17. Jahrhunderts authentisch nach. Der "Capella Regalis" gelingt eine kurz-pointierte, fast tänzerische, deutlich zeichnende Spielweise - die hier im halligen Kirchenraum genau nötig ist, um nicht in einem "Klangbrei" unterzugehen -, macht sich aber genau diese Nachhall-Wirkung am Ende der Stücke gestalterisch zunutze. Um das musikalische Geschehen - und die erläuternden Worte zu den Komponisten von Chormitglied Michael Würflein - möglichst unmittelbar erleben zu können, sind zahlreiche Gäste gerne der Aufforderung nachgekommen, direkt im Chorgestühl Platz zu nehmen.

Ein ungewöhnliches, spannendes und mutiges Klangexperiment, das wirkungsvolle Impressionen von der Lebendigkeit, von der Vielfalt der Musiktradition im Umfeld der früheren Landesuniversität Ingolstadt vermittelt. Und das bei den derzeit frostigen Temperaturen nicht nur vom Publikum, sondern vor allem von den Ausführenden viel Ausdauer und Kälte-Resistenz erforderte.

Heike Haberl

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