Deggendorf
Wohnen nach der Flut

Dank Staatshilfe bauen die Bürger von Fischerdorf ihre Häuser langsam wieder auf – doch der Alltag scheint noch weit entfernt

06.08.2013 | Stand 02.12.2020, 23:49 Uhr

 

Deggendorf (DK) Maximilian Lang beugt sich nach vorn und blickt in die Baugrube, auf der vor ein paar Wochen noch sein Zuhause stand. Mittlerweile könne er wieder hier sein, ohne sich schlecht zu fühlen, sagt der 19-Jährige. &bdquo

Es haben halt viele Erinnerungen dringesteckt. Sein Vater, der 2008 gestorben ist, hatte das Haus Ende der neunziger Jahre gebaut. Unten schwitzen Bauarbeiter. Ein Schaufelbagger gräbt Erde aus der Grube. Der Tag, an dem das Wasser nach Fischerdorf kam und alles überflutete, ist etwas mehr als zwei Monate her.

Anfang Juni hatte es tagelang geregnet. Die Donau unterhalb des Deggendorfer Stadtteils schwoll auf mehr als acht Meter an. Normal sind 3,50 Meter. Ganze Landstriche im Osten Deutschlands und Bayerns bereiteten sich auf eine Katastrophe vor. Fischerdorf traf es mit am härtesten. Am Ende ist es aber nicht die Donau, die den Ort flutet, sondern die Isar, die in Deggendorf in die Donau mündet. Ihr Wasser staut sich, der Isardamm bricht.

Montag, 3. Juni. Maximilian Lang ist gerade aus der Altenpflegeschule gekommen, wo er eine Ausbildung macht. Da ist schon von einer möglichen Überflutung die Rede. Seine Mutter ist verreist. Lang räumt alles Wichtige unters Dach, rüstet sich mit Essensvorräten aus. Er will bleiben. Aber am nächsten Tag spitzt sich die Lage zu. Die Feuerwehr holt alle Einwohner aus ihren Häusern. Wasser kriecht in Keller, flutet die unteren Stockwerke, geplatzte Öltanks in Heizungskellern. Einen weiteren Tag später kommt Lang zum Haus zurück – in einem Feuerwehrboot, aus dem er in den ersten Stock schauen kann. Das Wasser steht mannshoch in den Straßen.

Gestern besuchte Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) Fischerdorf und andere betroffene Gemeinden. Schon während der Flut war er hier. Jetzt will er sehen, was vorangegangen ist. Mittags steht er unter einem Vordach an der Isarstraße. Die Sonne brennt. Wie den meisten anderen steht ihm Schweiß auf der Stirn. Er sei sicher, dass nach der Soforthilfe auch die Wiederaufbauhilfe „schnell und unbürokratisch“ fließen werde, sagt der Regierungschef. Heute will das Kabinett darüber beraten. Landräte und Bürgermeister aus den Hochwassergebieten sind in der Staatskanzlei zu Gast.

Maximilian Lang ist froh über die Hilfe. Auch die Politik habe richtig reagiert, findet er. Für jeden betroffenen Haushalt gab es eine Soforthilfe von 1500 Euro. Darüber hinaus schnelles Geld für den nötigsten Hausrat und für Ölschäden. Aus der Wiederaufbauhilfe von Bund und Ländern soll jeder Haushalt 80 Prozent der Schäden ersetzt bekommen. Darüber hinaus gibt es Hilfe aus Spendengeldern. Die Doppelhaushälfte, die Lang und seiner Mutter gehörte, musste vollständig abgerissen werden. Öl war ins gesamte Mauerwerk eingedrungen. Die Langs wohnen nun vorübergehend in einer Studentenwohnung.

So ähnlich geht es vielen Fischerdorfern. Die Isarstraße gleicht einer großen Baustelle. Schwere Lastwagen schieben sich über die enge Fahrbahn. Bagger lärmen, Bauschutt kracht alle paar Minuten irgendwo in einen Container. Die Luft ist staubig. An fast jedem Haus ist die Fassade abgebröckelt. Mancher wohnt in seiner eigenen Baustelle. Andere sind wie die Langs irgendwo anders untergekommen.

Gegenüber der Baugrube wohnt Helmut Endl, 71, ein kräftiger Mann mit grauem Vollbart. Anfang Juni harrte er als einer von wenigen lange aus. An dem Dienstagnachmittag, als die Feuerwehr von Haus zu Haus zog, war er noch überzeugt, dass alles nicht so schlimm werden würde. Mit dem Fahrrad erkundete er die Lage in der Gegend. Dann sah er, wie die Autobahn in der Nähe mit einem Kieswall gesichert wurde. „Da hab ich gedacht: Jetzt wird’s kritisch.“ Seine Frau kam beim ältesten Sohn acht Kilometer entfernt unter. Er selbst blieb. Um zwölf Uhr abends stand das Wasser an der Treppe vor seiner Haustür. Als er morgens um vier von oben aus dem Schlafzimmer nach unten ins Wohnzimmer kam, stand er knietief im Wasser.

Draußen an der Hauswand haben Wasser und Ölspuren eine schwache Färbung hinterlassen. Aber Endl erwischte es lang nicht so schlimm wie andere. Den feuchten Putz im Wohnzimmer hat er schon von der Wand geschlagen. In der Garage kümmert sich der Elektriker gerade um seine Photovoltaikanlage. Sorgen mache er sich um andere, sagt Endl. Um ältere Leute, die nicht zurechtkommen mit der Beantragung des Staatsgeldes. Er hat gehört, dass viele noch nicht einmal ihre Soforthilfe abgerufen haben. Wer sich nicht selbst helfen könne, müsse von den Behörden stärker an der Hand genommen werden, meint Endl.

Er selbst dagegen betrachtet die ganze Sache auch als Herausforderung. Der moderige Geruch in seinem Keller? Wird schon wieder! Trockenmaschinen blasen rund um die Uhr Luft in den Raum. Das Dröhnen höre er nachts ja nur ganz leise, sagt Endl. Wenn alles laufe wie geplant, könne er sie ja auch schon bald wieder abstellen – wahrscheinlich Anfang September.

Dem Autor auf Twitter folgen: