Ingolstadt
Wirtschaft 4.0 - Wie Digitalisierung den Jobmarkt verändert

Laut Experten könnten sich Berufe nahe am Menschen weiterentwickeln - In der Fertigung sieht die Prognose aber düster aus

30.04.2018 | Stand 02.12.2020, 16:28 Uhr
Die automatisierte Produktion: Die THI-Professoren Jörg Clostermann (oben) und Christian Locher sind sich sicher, dass die Digitalisierung vor allem in der Fertigung Jobs kosten könnte. −Foto: Audi AG, THI (2)

Ingolstadt (DK) Was genau unterscheidet menschliche Arbeitskraft von der einer Maschine? Der Mensch denkt nach, bevor er Entscheidungen trifft. Er kann abwägen, welche Option die richtige ist. Dabei bezieht er nicht nur ökonomische, sondern auch soziale Faktoren in seine Überlegungen ein. Das alles können Geräte, die Tätigkeiten aufgrund einer Programmierung erledigen, nicht. Oder?

Es ist nur wenige Jahre her, da hätte niemand an diesen Thesen gezweifelt. Doch einstige Wahrheiten verlieren an Bedeutung. Zu den neuen Fakten gehört, dass durch die Digitalisierung viele Berufe überflüssig werden könnten. Was machen Berufsfahrer, wenn Drohnen Packerl liefern und selbstfahrende Busse die Pendler kutschieren? Und wie geht es in den Produktionsstätten weiter, wenn Roboter kostengünstiger, schneller und vielleicht auch exakter arbeiten als Menschen?

Letzteres ist bereits in immer mehr Betrieben zu sehen. Laut Jörg Clostermann, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Technischen Hochschule Ingolstadt (THI), werden es in der Tat vor allem Arbeitsplätze in der Produktion sein, die der Digitalisierung zum Opfer fallen. Der Experte spricht hier von Substitution. "Körperliche Arbeit generell wird an Bedeutung verlieren, da sie leichter von Maschinen und Computern übernommen werden kann", ist sich Clostermann sicher. Grundsätzlich gilt: "Je besser man für einen Beruf ausgebildet sein und je höher die Qualifikation sein muss, desto geringer fällt das sogenannte Substitutionsrisiko aus - also die Wahrscheinlichkeit, von der Technik verdrängt zu werden."

Das Schlagwort Digitalisierung geistert seit vielen Jahren umher. Mindestens genauso lange warnen Fachleute davor, dass nicht wenige Jobs irgendwann völlig überflüssig werden könnten. Zahlen sind laut Clostermann nicht seriös zu prognostizieren. Dennoch wird es Betroffene geben. Und für die wird ein Auffangsystem benötigt. "Das ist in meinen Augen ein wunder Punkt", so Clostermann. Ihm fehlt hier eine klare Strategie: "Da sich viele Berufsfelder radikal ändern werden, müsste man eigentlich sagen, dass alle Sozialpartner Verantwortung übernehmen müssen." Als Beispiel nennt er die Agentur für Arbeit. Man dürfe sich nicht erst um die Menschen kümmern, wenn sie ihre Anstellung verloren haben. "Vielmehr muss die Politik Anreize setzen, wie man die Menschen kontinuierlich weiterbilden und auf die Zukunft vorbereiten kann", erklärt Clostermann. Auch bei den Tarifparteien gehöre das bereits auf den Tisch.

Die Digitalisierung hält aber nicht nur große Veränderungen und sicher auch so manches Risiko parat, sondern auch Möglichkeiten. Denn es fallen mitnichten nur Berufsgruppen weg - viele wandeln sich nur und andere entstehen gerade erst. "Wir hatten schon immer Zeiten großer Umwälzungen - man denke nur an den Beginn der Industrialisierung", gibt Volkswirt Clostermann zu bedenken. Auch damals seien die Menschen verunsichert gewesen. Man müsse positiv denken: "Jede neue Entwicklung hat Gewinner und Verlierer hervorgebracht. Doch wenn wir die Gesamtentwicklung der Menschheit seit dem Mittelalter betrachten, müssen wir festhalten, dass einhergehend mit der technologischen Entwicklung die materielle Ausstattung der Menschen im Durchschnitt stetig besser geworden ist", betont der Experte ausdrücklich.

Wie die digitale Zukunft nun im Einzelnen aussehen wird, ist noch schwer zu sagen. Doch es gibt Thesen. Christian Locher ist ebenfalls Professor an der THI. Sein Lehrgebiet ist Digital Business. Die Sorge vieler Menschen ist, dass der zwischenmenschliche Kontakt gerade in der Arbeitswelt leiden könnte - sei es durch den digitalen Schalter in der Bank, den Bezahlautomaten beim Shopping oder die Lieferdrohne. "In der digitalen Welt findet vieles ohne unser Zutun, durch automatisierte Kommunikation zwischen Maschinen, statt. Doch deswegen werden wir vielleicht auch mehr Zeit haben, um soziale Kontakte zu pflegen", so Locher hoffnungsvoll. Der Forscher scheint sicher, dass Service eine immer größere Rolle spielen wird und Menschlichkeit, Empathie oder Kreativität auf dem Arbeitsmarkt auch künftig gefragt sein werden. "In sozialen Berufen wie etwa der Pflege oder der Erziehung ist es ungeheuer schwer, den Menschen mit seinen Fähigkeiten voll zu ersetzen", sagt Locher. Auch hier werde die Digitalisierung sicher Einzug halten - "jedoch unterstützend, helfend und damit produktivitätssteigernd." Zudem seien handwerkliche Jobs, die nah am Menschen sind, wohl auf lange Sicht sicher. "Ich denke, man müsste solche Berufe attraktiver gestalten, als sie heute sind - vielleicht können die Chancen der Digitalisierung dazu einen positiven Beitrag leisten."

Ein weiteres Phänomen der Digitalisierung ist die Dematerialisierung. Viele neue Produkte machen andere überflüssig - und damit deren Herstellung. Das beste Beispiel ist für Professor Locher das Smartphone. Es ersetzt das Navigationssystem, den Taschenrechner, die Kamera und vieles mehr. "Alles, was man braucht, haben Sie heute in der Hosentasche."