Ingolstadt
Kaufleute, Kunden und künstliche Kollegen

Digitalisierung verändert das Leben

30.04.2018 | Stand 23.09.2023, 3:05 Uhr
Saturn-Mitarbeiter Floris Zwinkels und sein Kollege Paul: Der Roboter führt Kunden auf Wunsch durch den Laden in Ingolstadt. Angst, dass der Helfer der Anfang vom Ende des Verkäufer- und Beraterberufs sein könnte, hat Zwinkels nicht. −Foto: Tamm

Ingolstadt (DK) Die Digitalisierung wird über kurz oder lang jeden Bereich des Lebens verändern. Das gilt auch für die Art und Weise, wie wir arbeiten, leben und konsumieren. Das Schreckensszenario lautet, dass Maschinen und automatisierte Prozesse immer mehr Jobs überflüssig machen könnten. Am Beispiel der Handelsbranche kann man aber sehen, dass kaum Grund zur Panik besteht.

Volle Geschäfte, dichtes Gedränge. Dazu die nervige Suche nach einem Parkplatz und schwere Einkaufstaschen. So oder wenigstens so ähnlich lässt er sich zusammenfassen, der ganz normale Shopping-Wahnsinn. Solche Szenen sind heute aber immer seltener in Deutschlands Innenstädten zu beobachten. Auch wenn die Einkaufsstraßen in der Region rund um Ingolstadt vom Aussterben relativ weit entfernt sind, gibt es Leerstände. Doch warum? Die Ursachen sind von Stadt zu Stadt unterschiedlich. Sicher ist aber, dass der stationäre Handel immer stärker mit den Vorteilen des digitalen Zeitalters zu kämpfen hat, es wird bequem von zu Hause aus bestellt - was sich bereits auf die Art und auch die Anzahl der vorhandenen Jobs auswirkt.

"Durch die zunehmende Digitalisierung verändert sich die Handelsbranche rasant", teilt MediaMarktSaturn auf Anfrage unserer Zeitung mit. Das Zauberwort der Zukunft lautet E-Commerce. Das Internet gewinnt als Vertriebsmedium und auch als Werbefläche an Bedeutung. Beim Ingolstädter Handelsriesen ist man sich sicher, dass in diesem Bereich viele neue Stellen und Berufe entstehen werden. "Handelsexperten, die sich im stationären Handel genauso sicher wie im Bereich E-Commerce bewegen, sind dadurch gefragter denn je", so eine Sprecherin des Unternehmens. Eine Entwicklung, auf die nun reagiert wird. Denn ausgebildete Fachkräfte - sprich ein anerkanntes Berufsbild - gibt es im Bereich Internethandel nicht oder nur sehr unzureichend.

Ab diesem Jahr wird es aus eben jenem Grund eine spezielle kaufmännische Ausbildung geben. Die Initiative dazu geht unter anderem von MediaMarktSaturn aus. Eines der Ziele ist laut Mitteilung des Handelskonzerns, die Nachwuchskräfte zu befähigen, die Unternehmenskommunikation zu unterstützen. Nicht mehr nur der reine Verkauf wird also Inhalt des neuen Berufs sein, sondern die Kundenbindung. Sie steht im Zentrum. Denn wo früher noch Werbedesigner große und meist aufwendige Kampagnen entwickelt haben, wird heute die direkte Ansprache über die sozialen Netzwerke wie Twitter oder Facebook immer wichtiger.

Christian Locher, Professor für Digital Business an der Technischen Hochschule Ingolstadt, befasst sich unter anderem mit dem Phänomen E-Commerce. Er glaubt, dass es eine Branche gibt, die vom zunehmenden digitalen Handeln besonders profitieren könnte - die Logistikbranche: "Die sogenannte letzte Meile vor der Auslieferung an den Kunden wird sich verändern", sagt er gegenüber unserer Zeitung. Jobmotor Transportwesen also? Was nicht mehr in einem Geschäft gekauft wird, sondern online, muss schließlich zum Kunden kommen. Die Logistiker könnten demnach unter den Profiteuren der Entwicklung sein. "Viele rein stationäre Händler werden es hingegen immer schwerer haben", ist Forscher Locher überzeugt.

Dabei darf jedoch nicht vergessen werden, dass es gewisse Sortimente gibt, in denen stationäre Läden noch lange die absolute Regel sein dürften - und somit relative Arbeitsplatzsicherheit bieten. Ein Beispiel hierfür sind Lebensmittel. Sie müssen oftmals gekühlt werden, sollten frisch und nach dem Willen der Kunden so regional wie möglich sein. Zudem möchten viele Kunden vor dem Kauf prüfen, ob die Ware ihrem Anspruch gerecht wird. Hier können E-Commerce-Angebote noch nicht mithalten, haben zu wenig Service zu bieten. "Es ist richtig, dass der Trend, Ware online zu kaufen, im Lebensmittelhandel im Vergleich zu anderen Branchen auf niedrigem Niveau liegt", wie Edeka Südbayern in Gaimersheim bei Ingolstadt auf Anfrage unserer Zeitung bestätigt.

Dennoch muss man kein Visionär sein, um zu ahnen, dass auch im Supermarkt um die Ecke früher oder später die Folgen der Digitalisierung sichtbar werden. Erstes Zeichen sind etwa die sogenannten Self-Scanning-Terminals, an denen man Waren selbst einscannen und bezahlen kann. Hier soll der Kunde Zeit sparen. Laut Edeka Südbayern nutzen die Kunden gerade in Stoßzeiten diese SB-Kassen gerne. "Grundsätzlich gilt jedoch, dass auch an den SB-Kassen stets Personal bei Fragen zur Seite steht", betont eine Sprecherin des Unternehmens. Man habe sehr positive Erfahrungen gemacht. Generell seien Beratung und zusätzlicher Service - etwa an Bedientheken oder auch in Frischeabteilungen - wichtig. "Diese persönliche Kundenansprache macht Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unverzichtbar", so Edekas Bewertung der eigenen Zukunft. Nach vollautomatischem Markt ohne Angestellte klingt das nicht.

Menschlicher Kontakt ist nach Meinung der Fachleute im stationären Handel also nicht zu ersetzen. Damit aber stationäre Läden überhaupt erhalten bleiben, braucht es Kunden. Um ihr Interesse zu wecken, muss Einkaufen zusehends zum Erlebnis werden oder mit Service wuchern. Ein gutes Beispiel dafür findet sich im Nordwesten Ingolstadts, genauer gesagt in einer Filiale der Handelskette Saturn. Hier arbeitet der 26-jährige Niederländer Floris Zwinkels. Seit mehr als neun Jahren ist er bei MediaMarktSaturn und als Customer Experience Manager tätig - er kümmert sich darum, dass Einkaufen nicht einfach nur Einkaufen ist, sondern überraschend, anders und vor allem modern. Solche Berufe werden in den kommenden Jahren häufiger werden. Zwinkels ungewöhnlichster Kollege ist übrigens ein Roboter namens Paul. "Ich empfinde ihn als Hilfe und die Kundenreaktionen sind großartig", so der 26-Jährige, den Arm um Paul gelegt. "Manche machen sogar Selfies mit ihm und lassen sich dann durch den ganzen Markt führen."

Als Konkurrenz oder gar Botschafter für das Ende des Verkäufers sieht er den kleinen und doch mehrere Hundert Kilogramm schweren digitalen Kollegen nicht - ganz im Gegenteil sogar. "Paul ist Teil des Erlebnisses. Aber er hat keine Meinung und kann noch keine eigene Bewertung abgeben. Er führt unsere Kunden lediglich zum Produkt, dann übernehmen wir", so Zwinkels. Wenn es an den Verkauf gehe, sei der Mensch als Berater weiter gefragt und wichtig. "Ob sich ein Material gut anfühlt, oder wie der Kaffee aus einer bestimmten Kaffeemaschine schmeckt, können nur die Verkäufer zeigen - und keine Maschine." Und technische Infos fänden die Menschen heute auch im Internet. "Was sich dadurch verändert hat, ist, dass die Kunden bereits gut informiert zu uns kommen."

Christian Tamm