"Wir sind süchtig nach Geschichten"

16.11.2007 | Stand 03.12.2020, 6:20 Uhr

"Der ,Sommernachtstraum‘ müsste immer im Winter gemacht werden. Damit man sich wieder auf den Sommer freut", sagt Rufus Beck. Am 28. November tritt er in Ingolstadt auf. - Foto: oh

München (DK) "Ein Stück München" ist das Hotel "Vier Jahreszeiten" für Rufus Beck. Ein Stück Geschichte. Graf Toerring – heißt es in einer Anekdote – sei, wenn er hier abstieg, stets mit seinem Pferd durch die Halle geritten, ja, habe dem Ross nicht mal die Treppen erspart, weil der erlauchte Gast erst direkt vor seinem Hotelzimmer abzusitzen pflegte. Während Rufus Beck (50) auf seinen Latte macchiato wartet, stellt man sich das bildlich vor.

Das gleichmäßige Hufklappern, das das geschäftige Treiben in der Lobby übertönen würde und vielleicht einen kurzen Moment das vielstimmige, gedämpfte Sprachengewirr zum Verstummen brächte. Rufus Beck trifft sich hier gern zum Interview. Nicht nur, weil hier schon Theaterlegende Fritz Kortner wohnte, sondern vor allem, "weil es noch diesen alten Charme hat". Rufus Beck beugt sich vor, senkt die Stimme verräterisch, und seine Augen blitzen: "Im Grunde meines Herzens bin ich ein konservativer Mensch. Ich mag diese Traditionen. Ich mag es, wenn etwas verwurzelt ist."

Bayern ist Heimat

Seine eigenen Wurzeln liegen in Bayern. Die Eltern hatten einen Bauernhof in Niederbayern. Und auch, wenn er dort nicht aufgewachsen ist, empfindet er Bayern als Heimat. Hier arbeitet er zwar seltener als im Rest der Republik, aber Bayern ist Rückzugsort, für ihn "das schönste Bundesland". Hierher kehrt er immer wieder zurück von seinem "Zigeunerleben". Hier lebt er mit seiner Familie. Hier schlägt sein Herz.

Draußen herrscht winterliche Eiseskälte, aber hier drinnen dreht sich alles um flirrende Hitze und verirrte Herzen, um Feengewisper in Dur und Moll, um Zauberblumen, um einen köstlichen, staunenswerten "Sommernachtstraum". Denn mit einem literarisch-musikalisch-theatralen "Som-mernachtstraum"-Programm wird Rufus Beck am Mittwoch, 28. November, um 19.30 Uhr im Rahmen der Reihe "Solo für Stars" im Großen Haus des Theaters Ingolstadt gastieren. "Eigentlich", sagt Rufus Beck und lacht, "müsste der ,Sommernachtstraum‘ immer im Winter gemacht werden. Damit man sich wieder auf den Sommer freut."

Den Schauspieler hat vor allem gereizt, die vielschichtigen Verwicklungen in Shakespeares bekanntestem Stück zu entwirren – und die Geschichten über das zankende Feenpaar Oberon und Titania, die emotionalen Komplikationen zwischen Helena, Hermia, Demetrius und Lysander und das herrlich komische Theaterspiel der Handwerker für das Publikum durchsichtig zu machen. Mit ganz reduzierten Mitteln: Sprache und Musik zu gleichen Anteilen. Anna und Ines Walachowski werden am Flügel Felix Mendelssohn Bartholdys feinsinnige musikalische Märchenweltkompositionen zum Klingen bringen.

"Manchmal gibt die Musik eine Stimmung vor, manchmal kündigt sie etwas an oder sie beschreibt etwas, von dem ich gerade erzählt habe." Denn Rufus Beck wird natürlich nicht einfach lesen, er haucht dem Text seinen Atem ein, erweckt die Figuren zum Leben.

Wie gerade jetzt, wo Puck mitten in der Hotellobby hinter seinem Sessel auftaucht. "Er ist durchaus ein guter Geist, aber eben nicht nur ein guter Geist." Rufus Beck spricht plötzlich langsam, stockend, wie um einen Ausdruck ringend, als wollte er nicht allzu viel verraten, vielleicht sogar ein wenig unsicher, was gleich passieren wird. "Er ist auch ein böser Geist, aber nicht nur ein böser Geist." Dann ändert sich die Klangfarbe der Stimme, wird hell und koboldskeck. "Er ist vor allem ein unberechenbarer Geist." Rufus Beck lacht. Und Puck ist wieder verschwunden. "Wenn ich auf der Bühne bin und einen Text zu interpretieren habe, ist es immer eine Art von Minimaltheater", sagt er. Aber Theater in Großaufnahme.

Der Spielwütige

Sein "Sommernachtstraum" basiert zum Teil auf der Schlegel/Tieck-Übersetzung, zum Teil auf der sehr heutigen, höchst vergnüglichen Erzählfassung von Michael Köhlmeier und zum Teil auf Rufus Becks eigener spielerischen Interpretation. Nehmen wir Nicklas Zettel, den Spielwütigsten aller Handwerker. Der nicht nur den Helden des Theaterstücks spielen will, den Pyramus, sondern auch noch die Thisbe. Thisbes Mutter und Pyramus’ Vater. Und dazu den Löwen. Rufus Beck wechselt von der naiven, aufgeregten Zettel-Stimme in seine normale. "Wenn ich da sitze und über diesen Theaternarren spreche, dann lachen die Leute, denn sie sehen natürlich einen eitlen Schauspieler. Aber ich mache mich dabei auch über mich selbst ein bisschen lustig." Rufus Beck will in erster Linie unterhalten. "Es muss kurzweilig sein. Ganz leicht – wie eine Mousse au Chocolat. Nicht zuckersüß. Aber es soll Lust machen auf mehr." Er will die Imaginationskraft der Zuschauer wecken und schulen. Ins Herz treffen – und so den Verstand öffnen. Aber vor allem will er Geschichten erzählen.

Gerade erst war er im Studio. Nicht nur, um den letzten Harry-Potter-Band einzulesen. Damit hat Rufus Beck eigentlich schon abgeschlossen, auch wenn alle Fans noch sehnsüchtig auf das Erscheinen der 22-CD-Box im Januar warten. "Es war ein großes Geschenk. Und eine große Herausforderung. Aber ich bin keiner, der mit Wehmut auf etwas zurückschaut. Irgendwann ist etwas zu Ende. Und dann fängt etwas Neues an."

Das Neue ist in diesem Fall eine Hörbuchproduktion für den Diogenes Verlag. Rufus Beck hat Ray Bradburys "Mars-Chroniken" (1950) und "Fahrenheit 451" (1953) interpretiert. Für ihn selbst "eine wahnsinnige Entdeckung". Er beginnt zu schwärmen. Von Bradburys visionärem Blick, der poetischen Überhöhung, der großartigen Sprache, den wunderbaren Dialogen. "Bradbury gibt außerdem eine Erklärung dafür, warum Lesen, warum Literatur essenziell für das Leben der Menschen ist."

Es geht um Geschichten. Immer. "Wir können davon einfach nicht genug bekommen. Wir sind süchtig nach Geschichten."

Karten für diesen Abend mit Rufus Beck gibt es an der Theaterkasse, Telefon (08 41) 98 13-200.