Pfaffenhofen
"Wir müssen selbstbewusster auftreten"

Leichtathletik-Kreischef Josef Kirzinger über Nachwuchsmangel, ehrgeizige Eltern und Pläne für die kommende Saison

15.11.2012 | Stand 03.12.2020, 0:49 Uhr

 

Pfaffenhofen (PK) Der neue Vorsitzende des Leichtathletikkreises Oberbayern-Nord nimmt kein Blatt vor den Mund. Josef Kirzinger (kleines Foto) spricht gegenüber unserer Zeitung das Hauptproblem der deutschen Leichtathletik an: den eklatanten Nachwuchsmangel.

Kürzlich übergab der langjährige Kreisvorsitzende Gustav Derbsch den Staffelstab an Kirzinger. Der neue Chef der Leichtathleten stammt aus Pfaffenhofen, leitet beim dortigen MTV die Leichtathletikabteilung und ist zudem zweiter Vorsitzender des Gesamtvereins. Eigentlich sollte der 54-Jährige schon vor sechs Jahren an die Spitze des Kreisverbandes rücken, musste aber wegen beruflicher Verpflichtungen absagen. Vor zwei Wochen nun wurde Kirzinger zum neuen Vorsitzenden gewählt, einstimmig auf der Kreisversammlung in Pfaffenhofen.

Herr Kirzinger, wie sieht Ihr Programm für die nächsten zwei Jahre aus? Wo sehen Sie den größten Handlungsbedarf im Kreis Oberbayern-Nord und in der Leichtathletik überhaupt?

Josef Kirzinger: Wir müssen uns gegen den Niedergang der Leichtathletik stemmen, denn die Situation ist dramatisch. In den A- und B-Jugendjahrgängen treten bei den Kreismeisterschaften in manchen Disziplinen nur noch drei oder vier Athletinnen und Athleten an. Wir müssen ganz unten neu anfangen – bei der Kinderleichtathletik.

Wie konnte es überhaupt so weit kommen? Immerhin ist die Leichtathletik bei den Olympischen Spielen nach wie vor ein Zugpferd.

Kirzinger: Das hat viele Gründe. Einer ist sicherlich in der Berichterstattung der Medien zu suchen. Früher war die Leichtathletik fester Bestandteil der Sportschau. Im vergangenen Sommer wurde dagegen diskutiert, ob die Europameisterschaften in Helsinki überhaupt im öffentlich-rechtlichen Fernsehen gezeigt werden sollen. Zudem scheint mir, dass die Wertigkeit der Leichtathletik im Schulsport abgenommen hat. Viele andere Probleme sind allerdings hausgemacht, insbesondere in der Förderung und Pflege des Nachwuchses.

Stichwort Nachwuchsprobleme. Verkauft sich die Leichtathletik unter Wert? Wenn man sieht, welche finanzielle und auch zeitliche Anstrengungen Eltern in anderen Sportarten – vom Fußball bis zum Reiten – unternehmen, kann man gar nicht verstehen, warum die vier bis fünf Sportfeste, die ein junger Leichtathlet im Sommer absolvieren kann, ein Problem sein sollen? Was muss man ändern?

Kirzinger: Da ist sicher etwas dran. Wir müssen selbstbewusster auftreten. Aber das reicht nicht. Die Leichtathletik-Veranstaltungen müssen kürzer und attraktiver werden, vor allem im Kinderbereich dauern Wettkampftage einfach zu lang.

In der zurückliegenden Sommersaison wurde erstmals die neue Kinderleichtathletik (siehe Kasten) flächendeckend getestet. Wie ist Ihr Fazit?

Kirzinger: Im Großen und Ganzen positiv. Denn das Wichtigste ist: Den Kindern macht es Spaß. Das war zum Beispiel auf dem Sportfest, das wir im Mai in Pfaffenhofen ausgerichtet haben, deutlich zu spüren. Natürlich holpert es manchmal noch, das müssen wir abstellen. Die kommende Sommersaison 2013 sollten wir weiter zum Experimentieren nutzen.

Auf manchen Veranstaltungen war dennoch viel Kritik zu hören, gerade von ehemals aktiven Eltern und altgedienten Trainern. Wie wollen Sie diese Skeptiker überzeugen?

Kirzinger: Manchmal muss man die Kinder vor dem Ehrgeiz der Eltern und Trainer schützen. Ein Zwölfjähriger, der in einer Disziplin auf Hochleistung getrimmt wird und alle Titel abräumt, verliert die Lust und bleibt dem Sport nicht erhalten. Wir haben diese Erfahrungen ja schon in früheren Jahrzehnten gemacht und sind deswegen dort angekommen, wo wir heute sind: ganz unten. Deswegen müssen wir das gesamte System ändern und ganzheitlicher und kindgerechter vorgehen.

Dennoch plant der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) nun, wieder deutsche Einzelmeisterschaften für U 16-Jugendliche einzuführen? Wie passt das zusammen?

Kirzinger: Gar nicht. Eine frühe Spezialisierung ist Gift in jeder Hinsicht. Einzelmeisterschaften, noch dazu auf nationaler Ebene, befördern aber genau diese Tendenz.

Auf der Kreisversammlung vor zwei Wochen wurde der 2000-Meter-Lauf am Ende des Blockwettkampfs in der Altersklasse der U 14-Jugendlichen heftig kritisiert. Wie stehen Sie dazu?

Kirzinger: Es ist mir ein Rätsel, wer sich das ausgedacht hat. Nach vier Konkurrenzen von den Kindern einen Fünf-Runden-Lauf zu verlangen, noch dazu in der Sommerhitze, ist völlig unrealistisch. Die Idee ist sicherlich nicht im Bayerischen Leichtathletik-Verband (BLV) geboren worden. Ich arbeite seit Jahren in den entsprechenden Gremien mit. Wir haben alle nur den Kopf geschüttelt. Ich setze darauf, dass der DLV auf unsere Kritik im nächsten Jahr reagiert.

Der Leichtathletik-Kreis Oberbayern-Nord ist der mit Abstand kleinste im Regierungsbezirk. Deswegen hat er in den vergangenen Jahren bei den Schüler-Vergleichswettkämpfen mit den Kreisen Südost und West immer nur als dritter Sieger abgeschnitten. In der vergangenen Saison haben die Nord-Oberbayern daher auf eine Teilnahme verzichtet und auf eine Reform des Wettbewerbs gedrängt. Die anderen Kreise haben das abgelehnt. Haben Sie Hoffnung, dass Bewegung in die Sache kommen könnte?

Kirzinger: Davon gehe ich aus. Im Prinzip geht es nur darum, den Schülerjahrgängen nach der Sommerpause noch einen großen Wettkampf anzubieten. Ich bin guter Hoffnung, dass wir kurzfristig eine Lösung finden werden.

Zwei hoffnungsvolle Talente haben dieser Tage die LG Donau/Ilm verlassen: Die 14-jährige D-Kaderathletin Katharina Sasse startet in der neuen Saison in Oberschleißheim, der 13-jährige Kaderläufer Michael Stettner für die LG Würm Athletik. Können Spitzentalente künftig nur noch im Großstadtumfeld gedeihen? Welche Rolle kommt den Vereinen in der Ingolstädter Region zu?

Kirzinger: Da muss man jeden Einzelfall anschauen. Aber prinzipiell gilt: Talenten soll man nicht den Weg versperren. Gerade die Vereine auf dem Land müssen ihre Grenzen akzeptieren. Ein Großverein wie die LG Stadtwerke München verfügt über bestens ausgebildete Trainer für jede Einzeldisziplin. So etwas können kleine Vereine einfach nicht bieten.

Zum Abschluss ein Blick in die Zukunft: Worauf freuen Sie sich besonders im kommenden Jahr?

Kirzinger: Auf die vielen Sportfeste mit der neuen Kinderleichtathletik. Nach dem gegenwärtigen Stand der Planungen werden wir mindestens sechs Veranstaltungen auf die Beine stellen können. Vielleicht werden es sogar mehr. Ich bin fest davon überzeugt, dass in den spielerischen Formen die Zukunft liegt.

Das Gespräch

führte Horst Kramer.