"Wir haben gute Chancen, den Titel zu verteidigen"

Er war in den 1980er-Jahren die prägende Figur des FC Bayern und führte die Münchner zu sieben Meistertiteln. 1990 krönte <?Uni SchriftArt="ITC Franklin Gothic Demi Conden" SchriftStil="2" SchriftFarbe="Vollfarbe CMYK1,000000 0,000000 0,000000 0,000000 -1 1,000000"> Klaus Augenthaler<?_Uni> seine Karriere mit dem WM-Titel. Die Basis des Triumphs in Italien sei der Zusammenhalt gewesen - und auf den setzt der letzte Libero des deutschen Fußballs auch für die WM in Russland.

15.06.2018 | Stand 02.12.2020, 16:14 Uhr

Er war in den 1980er-Jahren die prägende Figur des FC Bayern und führte die Münchner zu sieben Meistertiteln. 1990 krönte

Herr Augenthaler, seit Donnerstag rollt der Ball bei der WM in Russland. Sie holten 1990 den Titel. Was ist das für ein Gefühl, wenn man am nächsten Morgen als Weltmeister aufwacht?


Klaus Augenthaler: Das war nicht realisierbar am nächsten Tag. Das war ein schönes Gefühl, aber ich habe das erst im Laufe der kommenden Saison mitgekriegt. Richtig realisiert habe ich es sogar erst Jahre später.



Wie haben Sie den Titel in Rom damals gefeiert?


Augenthaler: Ich musste nach dem Finale mit drei anderen Spielern zur Doping-Kontrolle. Es hat vier Stunden gedauert, bis ich da wieder rauskam. Da waren die anderen natürlich schon längst feucht-fröhlich am Feiern. Die Jungs haben durchgefeiert, aber ich habe doch ein paar Stunden geschlafen, weil es um 9 oder 10 Uhr Richtung Frankfurt ging. Ich hatte damals ein sechs Monate altes Baby. Und als ich aufgestanden bin, sehe ich vom Fenster den Sepp Maier, wie er mit dem Icke Häßler in unserem Buggy durch die Sprinkleranlage fährt. (lacht)



Warum hat es 1990 mit dem Titel geklappt?


Augenthaler: Es hat alles gepasst, vom Trainerstab, von den Betreuern, vom Koch. Es war eine Mannschaft - nicht nur die Spieler, auch der ganze Betreuerstab. Das war harmonisch, da gab es keinen Neid. Im Gegensatz zu Mexiko 1986. Das war keine Mannschaft in dem Sinne, wie ich mir das vorgestellt hätte. Es waren zwei, drei Grüppchen, da hat die A- gegen die B-Mannschaft gespielt, da hat man schon sehr stark die Rivalität gemerkt. Der eine oder andere war unzufrieden und ging dann zur Presse. Auch die Presse hat ihren Teil dazu beigetragen.



Wie ist das Verhältnis der Spieler im aktuellen Kader von Bundestrainer Joachim Löw?


Augenthaler: Das kann ich nicht beurteilen. Ich kenne den Kader nur von den Namen her, aber ich weiß nicht, wie die Jungs unter sich zurechtkommen. Seitdem Jogi Löw Nationaltrainer ist, hat er das aber immer gut hinbekommen, dass die Mannschaft nicht nur nach außen als Mannschaft auftritt, sondern, was man so hört, so wie wir in Italien auch innerlich eine Mannschaft ist.



Was trauen Sie der deutschen Nationalelf bei der WM zu?


Augenthaler: Ich glaube, dass Deutschland sehr gute Chancen hat, den Titel zu verteidigen, weil wir einen guten Kader haben. Wir haben zwar keine Stars wie Messi oder Ronaldo, aber doch sehr gute Einzelspieler, die nicht unbedingt selbst auffallen wollen, sondern als Mannschaft auftreten. Die Mannschaft ist eingespielt, der eine oder andere Neue könnte dazu frischen Wind reinbringen.



Welche anderen Favoriten stehen auf Ihrem Zettel?


Augenthaler: Ich glaube, dass die Brasilianer nach der letzten WM stark geworden sind, und dass man mit den Argentiniern, obwohl sie spät dazugekommen sind, rechnen muss. Auch die Franzosen, die mit Deschamps einen guten Trainer haben, wenn auch vielleicht noch ein bisschen zu jung, sind bereit für den Titel. Und natürlich darf man die Spanier nie vergessen.



Sie waren damals bekannt für Ihr gutes Auge und Ihre präzisen langen Bälle. Welcher heutige Nationalspieler erinnert Sie daran?


Augenthaler: Boateng und Hummels spielen sehr gute lange Bälle. Das Spiel hat sich ja geändert, man legt heute sehr viel mehr Wert auf Kurzpassspiel und auf Ballbesitz. Es ist auch alles athletischer geworden. Wobei ich so oft in England gespielt habe, und da gab es von den Engländern immer nur Forechecking. Da gab's Halbzeiten, in denen wir nicht über die Mittellinie gekommen sind.



Sie waren damals schon ein sehr lässiger Typ, haben sogar als Spieler geraucht. Heute möchte niemand mehr anecken. Wie hat sich das verändert?


Augenthaler: Durch die Handys kann kein Spieler irgendwo mehr hingehen und sich nach 23 Uhr blicken lassen, weil das dann irgendjemand gleich fotografiert und postet. Zu unserer Zeit hatten wir auch Regeln, aber wir hatten keine Angst, dass wir zehn nach elf fotografiert werden und das Foto an die Verantwortlichen des Vereins geschickt wird.



Bis zum WM-Titel war es ein langer Weg. Sie wurden mit 17 Jahren plötzlich Spieler des FC Bayern. "Der kommt aus dem Bayerischen Wald. Er muss erst mal lernen, mit Messer und Gabel zu essen", sagte Jugendnationaltrainer Herbert Widmayer damals.


Augenthaler: Das war nicht böse gemeint. Aber klar, du kommst aus einem kleinen Städtchen raus in die große Welt. Mein erstes großes Spiel habe ich gesehen, als ich mit meinem kleinen Verein FC Vilshofen mit dem Fanbus nach Brüssel zum Europacup-Endspiel gegen Atlético Madrid gefahren bin. Und ein paar Wochen später stand ich plötzlich mit den Leuten, die ich aus 100 Metern Entfernung von der Tribüne aus gesehen hatte, auf dem Trainingsplatz. Bei meinem ersten Jugendländerspiel in Schweden bin ich das erste Mal in meinem Leben weiter aus Vilshofen rausgekommen als nach Straubing.



Sie spielten zunächst bei den Amateuren. Wie war die Anfangszeit in München?


Augenthaler: Da erinnere ich mich an eine nette Geschichte. Ich habe in der Bayernauswahl gespielt, und wir hatten ein Länderspiel, sprich Bayern gegen Saarland. Wir hatten einen Trainer, der schon ein bisschen älter war und nicht mehr so gut gesehen hat. Der hat plötzlich auf der Bank furchtbar geschimpft. Er schrie: "Wie kann man den so frei schießen lassen?" Dann haben die Jungs auf der Bank gesagt: "Trainer, das war ein Elfmeter." (lacht)



Es hat nicht lange gedauert, bis Sie einer der Leistungsträger in München wurden. Vom "Kofferträger zum Chef", wie es Dieter Hoeneß einmal formulierte, arbeiteten Sie sich hoch und absolvierten 404 Partien in der Bundesliga.


Augenthaler: Ich glaube, das geht nur über Leistung. Ich habe viele junge Spieler gesehen, die meiner Meinung nach mehr Talent hatten als ich. Aber ich hatte vielleicht den größeren Willen. Ich habe mir immer Ziele gesetzt - und an den Zielen habe ich auch festgehalten.



1989 schossen Sie das "Tor des Jahrzehnts", als Sie Uli Stein mit einem 50-Meter-Weitschuss vom Mittelkreis aus überwanden. Glück oder Absicht?


Augenthaler: Das war Absicht. Unser Trainer Jupp Heynckes hatte uns darauf aufmerksam gemacht, das Frankfurts Torhüter Uli Stein immer sehr weit vorm Tor stand. "Vielleicht gibt's die Möglichkeit, jetzt schaut mal", hat er gesagt. Und das hat genau funktioniert.


Was war Ihre bitterste Niederlage mit dem FC Bayern?


Augenthaler: Das war 1982 das Endspiel im Europapokal in Rotterdam gegen Aston Villa. Wir waren klar die bessere Mannschaft und verlieren das Spiel 0:1. Vor meinem zweiten Endspiel bin ich im Halbfinale in Madrid mit Rot vom Platz geflogen und habe dann im Finale, als wir gegen den FC Porto in Wien 1:2 verloren haben, gefehlt. Ich war aber auch verletzt.



Fehlt Ihnen der Titel im Europapokal?


Augenthaler: Nein. Ich war zweimal im Finale, ich war drei- oder viermal im Halbfinale. Ich habe in den besten und schönsten und größten Stadien in Europa gespielt. Aber ich habe mich immer dann wieder wohlgefühlt, wenn wir auswärts gespielt haben und das Flugzeug wieder in München gelandet ist, weil ich einfach wieder zu Hause sein wollte.



Gab es nie den Anreiz, zu einem anderen Verein zu wechseln?


Augenthaler: Nein. Auch nicht nach den Wechseln von Rummenigge, Brehme oder Matthäus zu Inter Mailand. Ich habe mich immer wohlgefühlt, für mich gab's nur eins - das war der FC Bayern. Im Nachhinein wäre es vielleicht eine Erfahrung gewesen. Ich habe einige Male in England gespielt, das hat mir immer gut gefallen, das war immer ehrlicher Fußball gegen englische Teams. Aber es war eben so, dass ich bei Bayern war und nie damit spekuliert habe, irgendwo anders hinzugehen.



Hat die ständige körperliche Belastung Spuren hinterlassen?


Augenthaler: Ich muss wirklich sagen, ich hatte Glück. In 17 Jahren Profi-Zeit hatte ich zwei Operationen. Das war eine Bandscheibenoperation und ein Knorpelschaden. Da war ich ein bisserl verrückt. Ich bin Samstag nach dem Spiel nach Zürich geflogen, bin operiert worden, war am Montag wieder zu Hause. Dann musste ich zweimal zum Arzt, um das Knie zu punktieren, und am Samstag habe ich wieder gespielt. Damals war man halt so verrückt.



Noch heute sehen Sie sehr fit aus.


Augenthaler: Ja gut, ein paar Ersatzteile habe ich schon. (lacht) Wenn ich fit bin, spiele ich nach wie vor gerne in unserem Legendenteam Fußball. Es geht halt nicht mehr so wie vor 30 Jahren.



Nach Ihrer Profikarriere waren Sie unter anderem Trainer beim 1. FC Nürnberg und sind mit ihm in die Bundesliga aufgestiegen. Ab sofort ist der Club wieder Erstligist. Was trauen Sie ihm zu?


Augenthaler: Sie sind natürlich alle happy wie wir damals, als wir aufgestiegen sind. Da war kein Geld für große Neuverpflichtungen zur Verfügung. Wir wussten damals, und das weiß der Club heute auch: Spätestens, wenn die Saison losgeht, werden sie wahrscheinlich gegen den Abstieg spielen. Wir können nur hoffen, dass sie als Mannschaft auftreten, und dass vielleicht zwei, drei Mannschaften dabei sind, die sie hinter sich lassen können.



Legendär ist Ihre Pressekonferenz als Trainer des VfL Wolfsburg am 33. Spieltag der Saison 2006/07, die nur 42 Sekunden gedauert hat. Was wollten Sie damit bezwecken?


Augenthaler: Es hatte schon Wochen zuvor immer rumort, es wurden schon meine Nachfolger kolportiert, weil die Ergebnisse nicht da waren. Ich wollte die Fans durch diese Pressekonferenz drauf aufmerksam machen: Es geht nicht um meine Person oder wer neuer Trainer wird, sondern dass die Fans den Verein unterstützen und der Verein in der Bundesliga bleibt. Wir brauchten aus den letzten beiden Spielen noch einen Punkt. Das vorletzte Spiel war in Aachen, das letzte gegen Bremen. Die Bremer waren damals sehr stark unter Thomas Schaaf. Deshalb wollte ich den einen Punkt in Aachen holen. Und wir haben nach einem 0:2-Rückstand in Aachen noch 2:2 gespielt - das war der Punkt.



Ihre bislang letzte Trainerstation war beim SV Donaustauf in der Landesliga. Warum haben Sie dort nach nur einem Jahr wieder aufgehört?


Augenthaler: Ich habe das aus mehr oder weniger kollegialen, freundschaftlichen und auch sozialen Gründen gemacht, denn ich bin Leukämie-Botschafter Ostbayerns und habe nach Donaustauf und Regensburg gute Kontakte. Es ist Fußball - auch wenn es Amateure waren. Wir haben trotzdem um Punkte und Tabellenstände gespielt. Dann kam aber die Nachfrage des FC Bayern, ob ich nicht bereit wäre, zurückzukommen. Ich mache hier FC Bayern-TV und die Jugendtrainerausbildung international. Ich bin viel im Ausland unterwegs, das macht mir Riesenspaß.



Werden Sie in Zukunft noch einmal an der Seitenlinie stehen?


Augenthaler: Man soll nie nie sagen, ich höre mir alles an. Ich habe gerade zwei Jahre beim FC Bayern verlängert. Aber was mir hier fehlt: Ich habe keinen Druck, dass ich um Punkte spielen muss, ich muss nicht auf die Tabelle schauen. Dieses gewisse Prickeln hat man nur, wenn man auf der Bank sitzt, und es geht um den Abstieg oder um die Meisterschaft.

Das Interview führte Julia Pickl.