Wie klingt Liebe, Herr Wecker?

24.01.2011 | Stand 03.12.2020, 3:14 Uhr

Ich hätte da was zu sagen und zu singen: Konstantin Wecker tritt am Sonntag, 6. Februar, mit Jo Barnikel und dem Spring String Quartet im Festsaal des Theaters Ingolstadt auf. - Foto: DK-Archiv/Rössle

Ingolstadt (DK) Unter dem Motto "Stürmische Zeiten, mein Schatz" steht der literarisch-musikalische Abend mit Konstantin Wecker, Jo Barnikel und dem Spring String Quartet am Sonntag, 6. Februar, im Festsaal in Ingolstadt. Ein "Weckerleuchten" wird versprochen.

Ein ebenso anrührender wie witziger und furioser Abend. Wecker wird einige Gedichte aus seiner Anthologie "Stürmische Zeiten, mein Schatz" lesen, vor allem aber seine (Liebes-)Lieder spielen. Unsere Redakteurin Katrin Fehr hat sich mit dem 63-Jährigen – der gerade an einer neuen CD arbeitet, die im Herbst erscheinen soll – über Dimensionen der Liebe, Poesie als Wegbegeleiter und Bürgerproteste unterhalten.
 
Auf Ihrer Homepage schreiben Sie von "kontemplativer Einsamkeit" in der Toskana. Wie muss man sich das vorstellen?

Konstantin Wecker: Ich bin seit Dezember hier und phasenweise tatsächlich auch alleine. Über Weihnachten war meine Familie da. Nun sind gerade Jo Barnikel und ich dabei, im Wohnzimmer, im provisorischen Studio, Lieder aufzunehmen. Das macht viel Spaß. Außerdem bin in der glücklichen Situation, dass ich einige Lieder, bevor sie für die CD eingespielt werden, live ausprobieren kann. Auch in Ingolstadt werde ich ein paar neue Songs spielen.

Italien ist demnach ein Weckerscher Kreativort?

Wecker: Es liegt wohl tatsächlich am Genius loci. Ich habe in den vergangenen 30 Jahren fast alle Lieder und Stücke in Italien geschrieben. Das muss an der Verbindung zur Natur liegen. Oder über dem Ort hier küssen die Musen besonders gut.

"Stürmische Zeiten, mein Schatz" ist der Titel Ihrer Liebesanthologie und der Titel eines Ihrer Lieder, das durchaus politisch gelesen werden kann. Was hat Liebe mit Politik, was Politik mit Liebe zu tun?

Wecker: Sehr viel. Denn die Sehnsucht, die Welt zu verändern, in einer gerechteren Welt zu leben, kann nur aus dem Gefühl entstehen, wenn man dem Leben und den Menschen sehr zugeneigt ist. Wer zynisch ist, wird die Welt nicht verändern wollen. Und letztlich sind doch alle Gedichte in irgendeiner Form Liebesgedichte. Es geht um die Liebe zum Leben, die des Glücklichen, des Erfüllten, des Verzweifelten. Ich gehe im Programm und im Buch bis zum Tod. Und zur Metaphysik.

Das klingt nach Liebe im Konzentrat zwischen zwei Buchdeckeln oder an einem Konzertabend?

Wecker: Genau. Ich habe aber auch gemerkt, dass sich die Dimensionen der Liebe verändern, je älter ich werde. Es geht nicht mehr um ein ständiges Geliebt-werden-wollen, was sehr einseitig und ichzentriert sein kann. Langlebiger ist die aktive, die zugewandte Liebe. Die fällt Männern vielleicht schwerer. Zumindest denen meiner Generation. Ich habe auch durch meine Kinder gelernt. Da gibt es noch eine andere Dimension: die der unbedingten, der bedingungslosen Liebe.

Die Ratgeberliteratur boomt. Auch zum Thema Liebe. Würde es manchmal ausreichen, stattdessen einfach wieder Gedichte zu lesen?

Wecker: Absolut. Ratgeber sind ja meist Philosophie light. Lebensratschläge in verwässerter Form. Poesie birgt viel mehr. Sie birgt in sich die Möglichkeit, von Gefühlen und Augenblicken zu sprechen, die eigentlich unaussprechlich sind und die der Dichter mit feinem Gespür aus der Ebene des Unaussprechlichen in die rationale Welt übersetzt.

Sie schreiben in Ihrem Vorwort, dass Gedichte von Georg Trakl Schuld gewesen sind, dass Sie das erste Mal ausgerissen sind. Wie kam es zu dieser Inspiration?

Wecker: Ich hätte die Pubertät und meine Jugend ohne Georg Trakl und Georg Heym nicht überstanden. Sie waren meine Götter. Ich habe mich, wie auch andere meiner Freunde, an deren Sprache berauscht. Und ich wollte wie Trakl als freier Dichter leben. Und so stand ich eines Tages, statt in die Schule zu gehen, mit hochrotem Kopf am Bahnhof. Mit Stiften und Papier und ein paar Socken und Unterhosen im Ranzen. Freie Dichter brauchen kein Geld, keine Wohnstatt, keine Eltern.

Nach welchen Kriterien haben Sie sich aus der Fülle deutscher Liebeslyrik für die Gedichte entschieden?

Wecker: Ich habe ganz intuitiv die ausgewählt, die mich in den vergangenen 30 Jahren begleitet haben. Auf jeden Fall mussten Gedichte von Goethe und Rilke dazu, aber eben auch witzige Gedichte. Auch der Konzertabend bietet kein bitterernstes Programm. Ich lese einige Gedichte, und wir machen gemeinsam viel und lange Musik.

Und wie klingt Liebe?

Wecker: Wie der zweite Satz eines Klavierkonzerts von Mozart. Oder wie das Duett aus Tosca zwischen Scarpia und Tosca. Aber auch wie Wecker-Lieder. Ich habe bei der Zusammenstellung des Programms erst gemerkt, wie viele Liebeslieder ich geschrieben habe. Und das ich, als politischer Liedermacher!

2010 stand für viele unter dem Motto Bürgererwachen und friedlicher Widerstand. Stichwort Stuttgart 21 oder Castor. Ist diese Bewegung ein Strohfeuer oder Wendepunkt?

Wecker: Das ist kein Strohfeuer, auch wenn es wie in den vorangegangenen Jahrzehnten neoliberale Kampagnen geben wird und konzertierte Bestrebungen, das Engagement systematisch ins Lächerliche zu ziehen. In und an Stuttgart hat mir so gut gefallen, dass es neue Kräfte, neue Schichten sind, die sich beteiligen, die sich vieles nicht mehr gefallen lassen wollen. Teils ideologiefern. Letztlich geht es doch auch darum, diese Demokratie am Leben zu erhalten und aktiv mitzugestalten.