"Wie in einem First-Class-Hotel"

27.02.2009 | Stand 03.12.2020, 5:10 Uhr

Riedenburg aus der Vogelperspektive: Wo sich in der warmen Jahreszeit die Falken tummeln, lag jetzt zentimeterhoch der Schnee. Schon im März beziehen die Tiere wieder ihr Sommerquartier.

Riedenburg (DK) Beinahe lautlos stapft Martin Geißendörfer durch den Schnee. In den Händen zwei schwere Eimer voller toter Küken. Ein paar glänzende Flocken, die langsam vom wolkenverhangenen Himmel schweben, bleiben im langen Haar des 42-Jährigen hängen. Als er den Weg zwischen Tor und Zuchtanlage unweit der Riedenburger Rosenburg etwa zur Hälfte zurückgelegt hat, durchbricht plötzlich ein Schrei die Stille. Geißendörfer bleibt stehen und lauscht. "Sie merken, dass das Futter kommt", sagt der Falkner grinsend und hebt – wie zur Erklärung – die beiden Eimer etwas hoch.

Und tatsächlich: In die großen Käfige vor ihm kommt schlagartig Leben. Jetzt, während der Winterzeit, sind die Vögel des Falkenhofs auf der Rosenburg nicht im Schloss-areal untergebracht, wo ihre Fähigkeiten Jahr für Jahr von zahlreichen Touristen bestaunt werden. Lediglich ein paar Schneeeulen, Stein- und Bartkäuze sitzen still in einer Ecke im verschneiten Schlosshof und klappern mit ihren Schnäbeln, als Falkner Geißendörfer zum Füttern kommt.

Verdiente Pause

Der Rest der Tiere überwintert in den Volieren unweit der Rosenburg. "Da dürfen sie jetzt Urlaub von der Saison machen", sagt Geißendörfer, als er am Käfigzaun ankommt. Seit Anfang November hätten die Vögel Zeit für ihre Mauser, sprich fürs Abwerfen und Neuwachsen des Gefieders. Und vor allem könnten sie "fressen und schlafen, so viel sie wollen", erklärt er lachend, "wie in einem First-Class-Hotel". Eine Pause, die sich die Vögel seiner Meinung nach auch verdient haben.

Die Falkner der Rosenburg achten darauf, dass die Tiere nicht dick werden: "Nur wer mehr braucht, bekommt auch mehr", erklärt Geißendörfer. Das sehe man daran, ob sich die Tiere sofort auf ihr Futter stürzen. Denn: "Im Winter verliert so ein Vogel deutlich mehr Energie", sagt der Falkner, greift in einen Eimer und holt eine Handvoll zartgelbes Federgewirr hervor – männliche Küken, die von der Geflügelindustrie getötet und als Abfall aussortiert werden. An manchen Tagen dürfen sich die Greifvögel auch an größeren Tieren satt essen. Etwa wenn Jäger so genanntes Fallwild bringen, überfahrene Kaninchen oder Rehe. "Da ist man den Tieren zuliebe abgehärtet", sagt Geißendörfer über den oft unappetitlichen Anblick und wirft das erste Tierchen ins Gehege eines Blaubussards, der sich sofort gierig sein Futter schnappt und mit der Mahlzeit beginnt.

Etwas zutraulicher gibt sich das Steinadlerweibchen nebenan: Mit lauten Balzgeräuschen nähert es sich dem Falkner. Und frisst ihm schließlich sogar aus der Hand. "Das ist erst seit ein paar Wochen so", erklärt Geißendörfer. Das Männchen sei im vergangenen Herbst gestorben. Ihren neuen Partner, der im nächsten Gehege auf sein Futter wartet, müsse die Adlerdame erst richtig kennenlernen. Bis dahin wird das Weibchen wohl weiterhin seinen Pfleger anbalzen.

Mit bloßem Fleisch dürfen Greifvögel übrigens nie ernährt werden. Denn Knochen im Futter sind gerade während der Mauser besonders wichtig. Das darin enthaltene Kalzium sorge für eine gesunde Gefiederbildung, so Geißendörfer. Ohne würden die Federn deutlich schneller brechen. "Ein intaktes Gefieder ist das A und O", sagt er. Und auch ihren Wasserhaushalt regulieren die Tiere einzig über die Flüssigkeit in ihrer Nahrung.

Beim Fressen reagieren die Vögel völlig unterschiedlich: Einige setzen sofort ihre Füße auf ihre Mahlzeit oder breiten ihre Flügel darüber aus, wie es etwa der Raubadler macht. "Abmanteln" werde das Flügelspreizen genannt, sagt der Falkner. So verbergen die Greifvögel ihre Beute vor den Augen hungriger Rivalen.

An den Falkner haben sich die Tiere längst gewöhnt. Heute allerdings kommt er in Begleitung, und so stürzt sich ein europäischer Uhu plötzlich von seinem erhöhten Sitz, prallt gegen den Zaun und zieht sich rasch wieder zurück. "Das war jetzt Angst", erklärt der 42-Jährige, "weil er dich nicht kennt."

Ruhe für die Vögel

Während die meisten Vogelarten mit Blick aufs Gelände überwintern, verbringen die Falken die kalte Jahreszeit relativ abgeschottet in einem länglichen Gebäude. "Damit sie Ruhe haben", erklärt Geißendörfer. Durch runde Gucklöcher in der Wand kann er die Vögel vom dunklen Gang aus beobachten, durch eine Luke darunter füttern. Aus einem alten Kofferradio tönt leise Musik durchs Gebäude. "So hören sie immer Menschenstimmen", erklärt er, "damit sie nicht erschrecken, wenn wir kommen." Er öffnet eine Holztür und betritt eines der Gehege. Auf dem Kiesboden liegt Schnee, der durch ein Gitter fällt, das zwei Drittel der Decke einnimmt. In einer Nistnische in der Ecke sitzt – laut und schrill schreiend – ein Sakerfalkenweibchen. Das Tier sei fehlgeprägt, also von Menschen aufgezogen, erklärt Geißendörfer und legt ein totes Küken vor den balzenden Vogel. "Bei solch einem Weibchen muss der Pfleger die Rolle des Männchens übernehmen und es mit Nahrung versorgen." Der direkte Kontakt mit den Tieren sei zwar "arbeitsaufwendig", aber "man hat den Vogel im Blick" und könne so ein Auge auf dessen Gesundheit werfen, sagt er und streichelt den Falken vorsichtig. Außerdem: "Je öfter ich rein gehe, desto mehr Vertrauen haben die Tiere zu mir."

In wenigen Wochen wird der Urlaub der Tiere wieder vorbei sein: Nach der Brutzeit Anfang März ziehen die Greifvögel wieder ins Schlossareal um, das Training beginnt, und auf Falkner Geißendörfer, der momentan täglich etwa drei Stunden mit den Vögeln verbringt, kommt wieder deutlich mehr Arbeit zu. "Am ersten schönen Wochenende ist es hier wieder gerammelt voll", sagt er voller Vorfreude, schließt das Tor und stapft durch den Schnee auf sein Auto zu.