Wunderklänge des Bajan

27.02.2009 | Stand 03.12.2020, 5:10 Uhr

Nie gehörte Klangeffekte: Der Bajan-Virtuose Aydar Gaynullin wird im Ingolstädter Festsaal vom Georgischen Kammerorchester unter der Leitung von Ariel Zuckermann begleitet. - Foto: Schaffer

Ingolstadt (DK) Um wirklich aufzufallen, benötigt jedes Konzert ein kleines Wunder. Beim Abonnement-Abend des Georgischen Kammerorchesters im Festsaal hieß das Wunder Aydar Gaynullin. Er spielt Bajan, ein populäres russisches Instrument, mit dem man normalerweise das Publikum nicht elektrisieren kann.

Deshalb ist es in der klassischen Konzertliteratur auch so gut wie bedeutungslos – so ähnlich wie die Mandoline oder der Kontrabass, die anderen Soloinstrumente, die bei dem kleinen dreiteiligen Konzertzyklus der Georgier (das früher unter Markus Poschner mal "Kontraste-Festival" hieß) jetzt besonders gewürdigt werden. Aber Aydar Gaynullin ist ein außergewöhnlicher Musiker, und da ist es wahrscheinlich ganz egal, welches Instrument er spielt. Der russische Virtuose weist dem schwerfälligen Instrument neue Wege. Er befreit es vom Ballast melancholischer Volkstümlichkeit und entdeckt in ihm ungeahnte Möglichkeiten rasanter Virtuosität.

Das wurde am deutlichsten bei der Zugabe: Gaynullin interpretierte den bekannten "Libertango" von Astor Piazzolla. Man könnte auch sagen: Er deutete ihn neu. Denn der junge Wundermusiker richtete das Stück völlig neu aus, speziell für die Möglichkeiten seines Instruments. Und er holte alles aus dem Bajan heraus, was überhaupt nur denkbar ist. Überschäumend inspiriert bereits die Einleitungstakte: Gaynullin ließ das Bajan auf den tiefsten Tönen endlos vibrieren. Er baute ruppige Cluster-Akkorde ein, Glissandi und immer wieder lange Seufzer. Er zögerte den Höhepunkt nach endlosen Fermaten so lang hinaus wie nur irgend möglich. Er spielte mit der Spannung im Saal und beobachtete dabei das Publikum geheimnisvoll lächelnd wie ein Magier. Später trommelte er auf das Instrument, als wäre es ein Schlagzeug. Dazwischen lag der Hauptteil des "Libertango", den Gaynullin mit völlig entfesselter Virtuosität, saftigem Klang, prägnantem Rhythmus und mit grandiosem Sinn für die Melodik der Hauptstimme wiedergab. Ein Ereignis, das zu Recht vom Publikum euphorisch bejubelt wurde.

Auch das andere Piazzolla-Werk des Abends deutete der 28-Jährige verblüffend: das "Concerto Aconcagua", eigentlich ein recht konventionelles Tango-Stück, das seine Nähe zur lateinamerikanischen Volksmusik und zur Ästhetik der Filmmusik kaum verschleiern kann. Gaynullin veredelte das Konzert – bei dem das Georgischen Kammerorchester unter der Leitung von Ariel Zuckermann lediglich eine Statistenrollen übernahm – zu einem musikalischen Hochgenuss. Besonders bei den melodischen Passagen musizierte er mit höchster Expressivität, ließ sein Instrument im Fortissimo aufheulen, um im nächsten Moment innigste, wimmernde Piano-Töne zu singen. Und er interagierte höchst differenziert mit den solistischen Stimmführern der ersten Violine und der Celli. Eine überwältigende Darbietung.

Der Rest des Konzertes verblasst eigentlich bei so viel Genialität. Obwohl auch hier vorzügliche Musik gemacht wurde. Bei den spröden "Sieben Worten" von Sophia Gubaidulina gesellte sich als Solistin noch die junge Cellistin Tatjana Vassilieva hinzu. Auch sie ist eine vorzügliche Musikerin. Daher bestand ein Hauptvergnügen darin, zu beobachten, wie diese beiden vorzüglichen Interpreten sich die Motive zuspielten. Wie die Repetitionen des Cellos vom Bajan mit kühlem Klang imitiert wurden, wie das russische Volksinstrument sphärische hohe Töne produzierte, während das Cello satten, vibratodurchtränkten Melos hervorbrachte. Und dass Tatjana Vassilieva eine hoch begabte, leidenschaftliche Cellistin ist, zeigte sie vor der Pause bei einer Zugabe: Ein Satz aus einer Bachschen Solosuite, hinreißend zurückhaltend interpretiert, mit kleinem, fast vibratolosem Ton und einer stilistischen Reinheit, die an die Originalklang-Künstler erinnert.

Genau im Zentrum des Konzerts hatte Ariel Zuckermann noch ein Orchesterwerk platziert, die "Trauersinfonie" von Joseph Haydn. Die Georgier musizierten das Sturm-und-Drang-Stück wunderbar entspannt, detailfreudig, im Adagio mit einem unglaublichen aber immer klassisch zurückhaltenden Sinn für Melos. Und die Musiker zeigten wieder einmal, über was für einen balsamisch schönen Streicherklang sie verfügen. Das war sicher kein allzu auffälliger Beitrag in einem Konzert voller Höhepunkte. Kein musikalisches Wunder also – aber eine durch und durch gelungene Interpretation.

Das nächste Konzert des Georgischen Kammerorchesters findet am heutigen Samstag statt. Im Mittelpunkt steht der Mandolinen-Virtuose Avi Avital, der u. a. ein Konzert von Vivaldi spielen wird. Am Sonntag tritt der Kontrabassist Roman Patkoló mit dem Orchester auf und wird u. a. Werke von Giovanni Battesini vortragen. Beide Konzert beginnen um 20 Uhr im Ingolstädter Festsaal.