Ingolstadt
"Wie ein radioaktives Element"

08.05.2017 | Stand 02.12.2020, 18:10 Uhr

Ingolstadt (DK) Oberbürgermeister Christian Lösel war morgens als Erster offiziell von Dorothea Soffner über ihren Schritt informiert worden - noch vor der Referentenbesprechung.

Direkt nach dem turnusmäßigen Treffen der Stadtregierung hatte Lösel Bürgermeister Albert Wittmann und CSU-Fraktionschefin Patricia Klein zu einem ersten Krisengespräch empfangen.

Als der DK ihn mittags auf die überraschende Personalie anspricht, hat der OB sich vom Schreck in der Morgenstunde bereits ganz gut erholt: "Jetzt haben wir im Stadtrat eben drei weitere Einzelkämpfer; in der Summe schon sechs", spielt er eher sarkastisch auf die noch frischen beiden Fraktionsaustritte bei den Freien Wählern in der Vorwoche und die bereits "etablierten" Solisten Henry Okorafor (Abtrünniger der Grünen-Fraktion), Karl Ettinger (FDP) und Ulrich Bannert (Reps) an.

Dass er rein rechnerisch soeben die bürgerliche Mehrheit im Stadtrat verloren hat, kann Lösel nicht bestreiten - ob es ihn mit einem Schlag vom gewohnten Durchregieren zum ständigen Mehrheitssuchen für seine Stadtpolitik führen wird, mag er zu dieser Stunde noch nicht abschätzen, zumindest nicht in der Öffentlichkeit: "Unsere Aufgabe muss jetzt sein, das Schiff Stadt auf Linie zu halten", sagt er fast beschwörend, und er fügt sofort hinzu, dass er alle 50 Bürgervertreter in der Pflicht sieht: "Jeder Stadtrat hat geschworen, dass er diese Stadt voranbringen wird."

In der Praxis seien jetzt erst einmal die Fraktionen gefragt, so Lösel, sicher auch die Koalitionsrunde mit den soeben dezimierten FW-Stadträten. Gleich gestern Abend sollte das geschehen - ergebnisoffen, wenn es der ersten Einschätzung des Oberbürgermeisters nach gegangen sein sollte: Es bleibe ihm an diesem ersten Arbeitstag der Woche wegen der Terminfülle einfach nicht die Zeit, sich mit der CSU-Fraktion bereits schlussendlich abzustimmen.

Wenn er sämtliche Absetzbewegungen in der ersten Hälfte der Legislaturperiode mit jetzt bereits sieben Fraktionsaustritten oder Lagerwechseln Revue passieren lässt, kommt der Rathauschef geradezu ins Philosophieren: "Dieser Stadtrat", sagt er, "war von Anfang an so instabil wie ein radioaktives Element." Und: "Die gesamte Gesellschaft ist in Bewegung - da bewegen sich einige Stadträte mit." Dass damit die Kommunalpolitik künftig unberechenbar wird, glaubt Lösel indes nicht: "Ich rate zur Ruhe; das wird sich setzen."