Wenn die Theaterbühne abgebrannt ist

29.11.2010 | Stand 03.12.2020, 3:24 Uhr

Provinzstadt im Niedergang: Szene aus Eduardo de Fillipos Stück "Die Kunst der Komödie" in der Inszenierung von Marcel Keller. - Foto: Schölzl

Augsburg (DK) Die Komödie, das Augsburger Schauspielhaus, ist nach einem langen Todeskampf gestorben, der als Ersatz versprochene Theatercontainer ein bloßes Versprechen, und so ist das Schauspiel in Augsburg derzeit im Exil.

Dieser Oreste Campese – Anton Koelbl zeigt ihn uns in einer gewitzten Mischung aus Schmierenkomödiant und Philosoph – spricht bei dem neuen Präfekten vor, der gerade erst in die Provinzstadt versetzt worden ist – eine Provinz, in der selbst im Präfektenpalast der Putz bröckelt, die Türen klemmen und Tjark Bernau als devoter und trotteliger Sekretär Franci herumstolpert und das Slapstick-Repertoire abspult, so umfassend, dass es selbst schon wieder zur Parodie wird.

Zwischen dem Theatermann und dem Präfekten (wieder einmal hervorragend Klaus Müller) entspinnt sich nun ein Gespräch über den Sinn und Nutzen des Theaters, ja der Kultur, natürlich mit vielen Anspielungen auf die Augsburger Situation. Doch es geht um mehr, vertreten der reflektierende Intellektuelle und der pragmatische Beamte doch zwei Grundpositionen in der Frage, welche Rolle die Kultur in der Gesellschaft spielt, und welche Aufgabe und Pflichten der Staates gegenüber der Kultur hat. Ein Gespräch, das so fast immer geführt werden könnte, zumal bei knappen Kassen, und das überall, und nicht nur im Italien Berlusconis (aber da besonders), dessen Bild als eine der wenigen Requisiten an der Wand hängt, aber schon bald runter fällt.

Die grundlegende Frage, ob das Theater Wahrheit vermittle, erlebt der Präfekt dann auf ganz besondere Art. Denn nachdem er den Theaterdirektor hinausbefördert hat, treten die Personen auf, die er auf seiner Besucherliste hat: der Amtsarzt, der Pfarrer, die Lehrerin, der Apotheker. Doch je länger diese Gespräche dauern, desto weniger weiß der Präfekt, ob er tatsächlich mit diesen Personen gesprochen hat oder mit Schauspielern aus Campeses Truppe.

Der Zuschauer erlebt dieses Spiel mit Sein und Schein fast unmittelbar mit. Die Stuhlreihen stehen im tim über Eck, der Besucher sitzt fast auf der Bühne, die Marcel Keller (Regie und Bühne) karg ausgestattet hat: hohe weiße Wände, Tisch und Stuhl; goldene Kronenleuchter und Stuck erzählen von besseren Zeiten, die diese Präfektur (und auch die Kultur) einmal gesehen haben.

Am Ende haben Martin Herrmann als Amtsarzt, Daniel Flieger als Pfarrer, Olga Nasfeter als Lehrerin, Judith Bole als Bäuerin und Erich Payer als Apotheker in einem wunderbar chaotischen Feuerwerk diese Präfektur verwüstet, und der Präfekt ist am Rande des Nervenzusammenbruchs. Ob all die Geschichten aus dem Provinzstädtchen über Aberglaube, Untreue, Betrug, Neid und Ehrgeiz stimmen oder er nur von Campese und den Schauspielern zum Narren gehalten wurde, bleibt unklar. Aber genau darum geht es. Ob sie nun erfunden sind oder nicht, ob sie sich so zugetragen haben oder nur zutragen könnten, ändert nichts an der Wahrheit der Geschichten. Der Wahrheit, um die es auf dem Theater und in Büchern geht.

Und so ist diese Inszenierung an einem ungewöhnlichen und gleichwohl doch sehr passenden Ort vor allem ein Loblied auf die große, wahre, humane Lüge Literatur.