Ingolstadt
Weiße Flächen auf dem Stadtplan

16.07.2010 | Stand 03.12.2020, 3:51 Uhr

Zum Einkaufen mit dem Traktor: In Gerolfing finden sich Bäckerei, Postamt und Einzelhandel noch unter einem Dach. - Fotos: Stadik

Ingolstadt (DK) Handel ist Wandel: Das schleichende Sterben der kleinen Kramerläden und der Siegeszug der Supermärkte auf der grünen Wiese sind auch in Ingolstadt kaum aufzuhalten. Das Nachsehen haben mancherorts ältere Menschen und Familien. Eine Bestandsaufnahme.

Wenn Brigitte Ziegert mit ihrem quietschgelben Kiosk auf vier Rädern in den Ingolstädter Ortsteil Winden fährt, wird sie bereits sehnsüchtig erwartet: Die selbstständige Kauffrau liefert einmal pro Woche Backwaren und andere Nahrungsmittel in das kleine Bauerndorf. "Das ist sehr praktisch", lobt zum Beispiel eine 78-jährige Landwirtin diesen Service. Denn der nächste Lebensmittelladen befindet sich im benachbarten Zuchering. "Größeren Einkauf erledigt mein Sohn", erzählt die Kundin, die in ihrem Einkaufskorb Brezen, Melonen und Tomaten nach Hause trägt. "Gemüse benötigen wir nicht, weil hier jeder selbst anbaut", sagt die 78-jährige Windenerin. "Aber meine Tomaten sind noch nicht soweit."
 

Die regelmäßige Anlieferung von Lebensmitteln ist eine Notlösung, die in Ingolstadt eine Reihe von weißen Flecken auf dem Stadtplan decken muss. Denn in einigen Ortsteilen gibt es weder einen Kramerladen, noch einen Supermarkt oder einen Discounter in Fußmarschnähe. Die fehlende Nahversorgung betrifft vor allem Winden, Niederfeld, Hagau, Seehof, Pettenhofen, Mühlhausen, Oberhaunstadt, Ober- und Unterbrunnenreuth sowie Spitalhof. Zum Teil bieten dort allerdings Tankstellen, Metzger oder Bäcker ein kleines Sortiment an Lebensmitteln an. Und neben Brigitte Ziegert beliefert der Bäcker und Kaufmann Wolfgang Mirz den einen oder anderen Ortsteil.

Der Hauptgrund für das fehlende Angebot ist oft die nötige Einwohnerzahl und die Fläche für den Handel. In Ober- und Unterhaunstadt etwa sei das "enorme Problem" seit langem bekannt und immer wieder Thema in den Bürgerversammlungen, berichtet Michael Kraus, der Vorsitzende des dortigen Bezirksausschusses. Aber eine Lösung scheitere bislang an den nötigen Grundstücken oder Gebäuden, bedauert Kraus. Daher wird in dem Ortsteil über eine bessere Buserschließung nachgedacht, um die nötigen Einkaufsfahrten vor allem für ältere Menschen und Mütter mit Kindern schneller und einfacher zu machen.

"Nicht optimal", räumt HBE-Kreisvorsitzender Franz Mayr ein, sei das Angebot auch in der Innenstadt von Ingolstadt. Aber: "Es war schon schlechter", blickt der Kaufmann zurück. Sein Verbandskollege Hubert Lauer klagt dennoch, dass die Unterversorgung "ein Nachteil für den gesamten Einzelhandel in der Altstadt" sei. Lauer fordert die Kommunalpolitik, sich intensiver mit dem Wandel im Handel zu beschäftigen. "Es gibt Leerstände", betont er. Das Untergeschoss des Theresiencenters, in dem jahrelang ein Supermarkt war, ist nach wie vor verwaist.

Wahrhaft nostalgisch mutet der Laden von Annemarie Heinrich an der Josef-Ponschab-Straße an. Alte Waagen, hölzerne Regale, Schubladen mit Waren und dazwischen die alte Dame, ein Bild aus einer anderen Zeit. Keine hektischen Verkäuferinnen, die Artikel für Artikel im Schnelldurchlauf an Lesegeräten vorbeiziehen, den Kunden kaum eines Blickes würdigend. Hier ist noch Gelegenheit für einen Ratsch. Trotzdem: "Die Stammkundschaft bleibt zunehmend aus. Entweder die Leute sterben oder sie kommen ins Altersheim. Aber solange ich arbeiten kann, tu’ ich das, weil‘s mir Spaß macht", sagt die Ingolstädterin. Am meisten freut sie sich, wenn junge Leute ins Geschäft kommen: "Die lieben das hier und machen große Augen."

Andere Ortsteile von Ingolstadt wie Haunwöhr oder inzwischen auch Ringsee verfügen jedoch über ein ausreichendes Angebot in Wohnortnähe oder immer noch einen florierenden Dorfladen: Diesen "Glücksfall", freut sich Ortssprecher Andreas Gegg, gebe es etwa in Irgertsheim. Die dortige Bäckerei mit angeschlossenem Lebensmittelmarkt, ein Familienbetrieb, versorgt sogar Kunden aus den umliegenden Gemeinden. "Dieses Angebot ist für uns sehr wertvoll", betont Andreas Gegg, der das Geschäft nicht zuletzt als Kommunikationszentrum des Dorfes schätzt. Doch auch im "goldenen Westen" Ingolstadts gibt es Querelen: Demnächst will der Stadtrat darüber entscheiden, ob am nördlichen Ortsrand Gerolfings ein Lebensmittelmarkt mit knapp 2000 Quadratmeter Verkaufsfläche entstehen darf.

"Wir warten erst einmal die Entwicklung ab und machen wie gewohnt weiter", kommentiert der eingesessene Gerolfinger Kaufmann Martin Würzburger, der Bäckerei, Postamt und Einzelhandel unter einem Dach betreibt. "Wir haben eine sehr gute Lage und sehr viele Stammkunden", rührt der 54-Jährige die Werbetrommel für seinen 400-Quadratmeter-Betriebe. "Und wir blicken zurück auf eine lange Tradition als Kaufleute in Gerolfing." Visitenkarten etwa sind in dem Gerolfinger Minimarkt völlig unnötig: So verzichtet beispielsweise die junge Stammkundin, die während des DK-Interviews bei Würzburger einen Brief aufgibt, lachend auf ihren Quittungsbeleg: "Sie kennen mich ja", ist sich die Frau sicher.