Ingolstadt
War es wirklich eine Geiselnahme?

47-Jähriger muss sich in einem bizarren Fall in Ingolstadt vor Gericht verantworten – Er beteuert seine Unschuld

29.06.2017 | Stand 02.12.2020, 17:51 Uhr
Der Angeklagte im Gespräch mit seinem Verteidiger. −Foto: Richter

Ingolstadt (DK) Geiselnahme, Körperverletzung und Vergewaltigung wirft die Staatsanwaltschaft einem 47-jährigen Landschaftsgärtner aus dem mittelfränkischen Heilsbronn vor. Er soll eine 55-jährige Frau in Pförring (Kreis Eichstätt) entführt und sich an ihr vergangen haben. Gestern war Prozessauftakt.

Mitangeklagt ist seine 64 Jahre alte frühere Lebensgefährtin aus einer Kleinstadt im Kreis Roth. Sie soll Beihilfe zur Freiheitsberaubung geleistet haben. Beide müssen sich seit gestern vor der 1. Strafkammer am Landgericht Ingolstadt unter Vorsitz von Jochen Bösl verantworten. Der Fall präsentiert sich überaus bizarr und verworren.

Schon während der Verlesung der Anklage schüttelte der 47-Jährige immer wieder den Kopf. Staatsanwältin Isabell Wirsching wirft ihm vor, seine neue Geliebte am Abend des 3. Mai 2016 im Pförringer Ortsteil Gaden ohne erkennbaren Anlass in deren Auto geschlagen, am Hals gepackt, gefesselt und geknebelt haben. Anschließend, so der Vorwurf, transportierte er sie auf dem Rücksitz liegend nach Abenberg (Kreis Roth). Dort soll an einer Tankstelle die von ihm verständigte Mitangeklagte aufgetaucht sein und auf die gefesselte Entführte aufgepasst haben, während der Mann das Auto auftankte.

Der Landschaftsgärtner war dann mit der 55-Jährigen weiter nach Prag und später nach Levcoa in der Slowakei gefahren, wo es in Hotels zu massiven sexuellen Übergriffen und Vergewaltigungen gekommen sein soll. Am Morgen des 6. Mai nahm die slowakische Polizei den 47-Jährigen im Hotel fest.

Vor Gericht sprudelte es nur so aus dem Angeklagten heraus. Nie und nimmer habe er jemanden vergewaltigt, erklärte er sinngemäß in teils vulgären Worten. Oder druckreif gesagt: Ihr glaubt man, weil sie eine Frau ist, ihm nicht, weil er ein Mann ist. Das angebliche Opfer, eine verheiratete 55-Jährige aus dem Oberallgäu, sei ständig hinter ihm her gewesen und habe ihn „nur genervt“. Anfangs habe er sie gemocht, nachdem er sie im Januar 2016 kennengelernt hatte, erklärte der 47-Jährige seine von der Polizei ausgelesenen Liebesschwüre per SMS. Der Inhalt der Kurznachrichten steht im krassen Widerspruch zu dem, was der Angeklagte vor Gericht über die Frau sagte.

Demnach sei die 55-Jährige nur hinter seinem Geld her gewesen, wegen diverser Misshandlungen in einem Waisenhaus der früheren DDR erhalte er eine hohe, fünfstellige Monatsrente. Die 55-Jährige habe sein Leben kaputt gemacht, sagte der Angeklagte. Er habe die Frau nicht entführt, sie hätte während der angeblichen Geiselnahme mehrfach Gelegenheit gehabt, sich an jemanden zu wenden – beim Zoll an der Grenze, im Hotel in Prag oder in der Slowakei. „Sie hat sogar selbst die Zimmer bestellt, weil ich kein Englisch kann – macht das jemand, der vergewaltigt wird?“, fragte der 47-Jährige.

Ja, er habe mit ihr geschlafen, aber das sei auf freiwilliger Basis geschehen, die Initiative sei sogar von ihr ausgegangen. „Ich sitze jetzt seit einem Jahr unschuldig in Haft.“ Er werde weiter kämpfen, um das zu beweisen, wenn nötig bis zum letzten Atemzug. Sein einziger Fehler sei gewesen, seine frühere Partnerin da hineinzuziehen „Ich habe sie nur angerufen, weil ich nicht wusste, wie man die Automatentankstelle bedient.“

Die 64-Jährige hatte damals bei der Polizei tatsächlich ausgesagt, von einer Fesselung und Knebelung der 55-Jährigen nichts bemerkt zu haben. Vor Gericht revidierte sie diese Aussage gestern insofern, als der Mund des Opfers nun doch „mit irgendetwas“ verschlossen gewesen sein soll, als sie an der Tankstelle auftauchte. Sie hätte die Polizei rufen müssen, habe es aber nicht getan. „Das war falsch“, bekannte sie.

Die 64-Jährige hatte den Hauptangeklagten während ihrer Arbeit bei der Heilsarmee kennengelernt und war eine Beziehung mit ihm eingegangen. Sie habe ihn „sehr, sehr gern gehabt“ und ihm ein Zuhause geben wollen. Das sei ihr aber nicht gelungen. „Er ist nicht böse, er ist gut“, sagte sie. Allerdings habe er sie auch einmal geschlagen. „Mach’ keinen Scheiß“, habe sie ihm am Tattag noch gesagt, bevor der Mann seine Fahrt Richtung Tschechien fortsetzte und sie in Abenberg zurückließ.

Das mutmaßliche Opfer bestätigte gestern die Vorwürfe, wie sie in der Anklage stehen. Allerdings fragte sich nicht nur Verteidiger Claus Gelhorn, warum die Frau zum Beispiel nicht flüchtete, als sie auf dem Weg nach Prag Geld in einer Bank abhob, wie Bilder der Überwachungskamera zeigen. Der Angeklagte erklärte gestern überraschend, die ganze Fahrt gefilmt zu haben, das würde seine Unschuld belegen. Die Aufnahmen liegen angeblich noch bei der slowakischen Polizei. Der Prozess wird heute fortgesetzt.