München (DK
Wahlkampf mit Kriminalstatistik?

Die Minister Herrmann und Bausback relativieren Vergewaltigungszahlen Maßnahmenpaket vorgestellt

20.09.2017 | Stand 02.12.2020, 17:28 Uhr

München (DK) Gut eine Woche nach der Vorlage gestiegener Zahlen zu Sexualdelikten in Bayern hat die Staatsregierung eine erste Analyse nachgeliefert. Zudem wurde gestern eine intensivere Bekämpfung der Taten angekündigt.

Der Versuch der offensiven Schadensbegrenzung ist offenbar von Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) angeordnet worden. Nur deshalb - so berichten Kabinettsmitglieder - stehen Innenminister Joachim Herrmann und Justizminister Winfried Bausback (beide CSU) gestern nebeneinander im Innenministerium, bei einer eilig einberufenen Pressekonferenz. Und so sind die beiden nun dafür verantwortlich, eine taktische Panne aus der Vorwoche auszubügeln, für die - so berichten es Eingeweihte - auch Seehofer persönlich mitverantwortlich ist.

Darum geht es: Nach der Kabinettssitzung am Dienstag vergangener Woche stellte Herrmann einige aktuelle Kriminalitätszahlen aus dem Freistaat vor. Die sehen eigentlich gut aus für Staatsregierung und CSU: Die Zahl der Straftaten ist, bereinigt um ausländerrechtliche Verstöße, im ersten Halbjahr im Vergleich zum Vorjahreszeitraum gesunken. Allerdings - und diese Zahl machte dann Schlagzeilen - ist die Zahl der Sexualdelikte deutlich gestiegen. Seehofer selbst soll darauf bestanden haben, auch diese Entwicklung sogleich offensiv anzusprechen, um nicht der AfD oder anderen in die Hände zu spielen.

Das allerdings ging daneben - aus zweierlei Gründen: Zum einen war in der Mitteilung der Staatskanzlei von "Vergewaltigungsfällen" und "Vergewaltigungsdelikten" die Rede. Und auch Herrmann selbst sprach in der Pressekonferenz nach der Sitzung nur von "Vergewaltigungen". Inzwischen ist klar: Das ist verkürzt. Und zum anderen hatte Herrmann ad hoc keine Erklärung für den Anstieg der Zahlen parat. In rechtspopulistischen Foren machten die Zahlen so oder so sogleich die Runde - zumal es in der Pressemitteilung der Staatskanzlei weiter hieß, dass "gerade die Zahl der durch Zuwanderer begangenen Vergewaltigungsdelikte (...) erheblich angestiegen" sei.

Genaue eine Woche später, Dienstag, nächste Kabinettssitzung. Die Stimmung sei, berichten Teilnehmer, angespannt gewesen. Eine "heftige Debatte" habe es zu dem Thema gegeben, bei der Seehofer selbst sehr deutlich geworden sei. Als er fordert, die Staatsanwaltschaften sollten das Thema Vergewaltigungen prioritär behandeln und Bausback entgegnet, das passiere schon, reagiert Seehofer ungehalten. Am Ende schließlich drängt er Herrmann und Bausback zu der Pressekonferenz. Offensichtliches Ziel: Tatkraft demonstrieren. Der Schutz der Bürger vor Sexualstraftaten stehe an erster Stelle, betont Herrmann deshalb.

Zudem rückt der Innenminister eine zentrale Zahl in der Statistik zurecht. Er stellt klar, dass es sich bei den 685 genannten Taten nicht immer um Vergewaltigungen im engeren Sinne handelt, sondern dass darin auch Fälle schwerer sexueller Nötigung enthalten sind. Zudem weist er auf Faktoren hin, mit denen die Staatsregierung die Zahlen schon in der vergangenen Woche hätte einordnen können: Ein Teil des Anstiegs, erklärt Herrmann, sei mit einer Verschärfung des Sexualstrafrechts erklärbar. Daraus ergäben sich "zwangsläufig" Steigerungen bei den erfassten Delikten. Eine gestiegene Sensibilität in der Öffentlichkeit, die eine erhöhte Anzeigebereitschaft mit sich bringe, hätte ebenfalls einen Einfluss. Eine eigene Expertengruppe soll eine noch genauere Analyse liefern.

Doch vorher kommt die Bundestagswahl. Deshalb, räumt ein Mitglied des CSU-Vorstands ein, sei die Nervosität bei Seehofer & Co. seit einigen Tagen auch so groß. Dieses Wahlkampfmanöver aber sei gründlich nach hinten losgegangen. Mit dem gut gemeinten Versuch, die AfD einzubremsen, habe man der AfD noch in die Hände gespielt. Die Staatskanzlei betont in einer Pressemitteilung am Abend: Es sei selbstverständlich, dass sich der Ministerrat mit den in der Öffentlichkeit diskutierten Vergewaltigungsfällen befasse. Dies sei kein missglücktes Wahlkampfmanöver gewesen.

Ein Sieben-Punkte-Programm, das Herrmann und Bausback vorstellen, sieht eine verstärkte Polizeipräsenz an Brennpunkten und bei öffentlichen Veranstaltungen vor. Außerdem werde es "konsequente Kontrollen in und in Umfeld von Asylbewerberunterkünften geben". Verstärkt werden soll zudem die Videoüberwachung. Präventiv wirken soll, dass die Polizei beispielsweise den Kontakt zu den Unterkunftsverwaltungen, Helferkreisen und den Sicherheitsdiensten von Asylunterkünften noch enger knüpfen will - übermäßiger Alkoholkonsum, Verdächtiges oder sich anbahnende Straftaten sollen so zu schnelleren Reaktionen der Polizei führen.