Ingolstadt
Von mehreren Minuten auf wenige Sekunden

05.08.2010 | Stand 03.12.2020, 3:48 Uhr

Ingolstadt (DK) Wer kennt das Bild nicht? Ein Mann, hoch oben auf einem balkonartigen Umgang eines der Türme von Notre Dame in Paris: Eine Teufelsstatue mit hohen Flügeln, den Kopf in beide Hände gestützt, blickt hinunter auf das Häusermeer der Stadt. Dahinter steht furchtlos ein bärtiger Mann in Frack und Zylinder, die Hand in die Seite gestützt. Die Rede ist vom "Wasserspeier" – entstanden 1853 – des Fotografen Charles Nègre (1820–1880) aus Grasse.

Gerd Treffer, Autor des dritten Bandes der Reihe "Aus Ingolstädter Partnerstädten", ist mit der Abbildung des Fotos ein kleines Kunststück gelungen. Weil die Reproduktion des Originals "Kosten jenseits von Gut und Böse" verursacht hätte, verwendete er eine Fotografie, auf der Jean-Pierre Leleux, derzeit Bürgermeister von Grasse, ein Buch mit der Abbildung zeigt. Hinter ihm an der Wand hängt ein Gemälde Nègres, "Die Macht des Menschen". Und schon hat Treffer auch die zweite Leidenschaft Nègres, die Malerei, mit ins Bild gesetzt.

Als ältester von vier Geschwistern, studierte Nègre Kunst wie viele andere zu Zeiten Napoleons III. Nach seiner Ausbildung als Maler wandte er sich Mitte des 19. Jahrhunderts der Fotografie zu. Ihm wurde nachgesagt, dass er nicht intensiv genug bemüht gewesen sei, sich der Malkunst zu widmen. In der Fotografie habe er das geeignete Mittel seiner künstlerischen Begabung zu finden gesucht.

Lange Zeit hielt Charles Nègre beide Kunstsparten nicht nur nebeneinander, er betrieb beide ernsthaft und sorgfältig. Nègre gehörte zu der Maler-Fotografen-Generation, die mit der neuen technologischen Möglichkeit experimentieren und nicht in erster Linie Geld verdienen wollte. Es war die Epoche der Lust des Entdeckens, des Strebens nach Medaillen, Preisen, Ruhm und Ehre. Nègre, der zu seiner Zeit bekannt war, gewann einige internationale Preise für seine Gemälde und Fotografien.

Er war der Entwickler des Heliogravur-Verfahrens. Damit wurden Papierabzüge länger haltbar als drei bis vier Monate. Nègre optimierte die Belichtungszeit, die damals mehrere Minuten dauerte, auf zwei bis drei Sekunden. Wenige Menschen schafften es, so lange still zu halten, was verschwommene Gesichter zur Folge hatte. Deshalb wurden vorzugsweise Landschaften fotografiert.

Über dies und vieles mehr informiert fundiert und kurzweilig das Büchlein, "Charles Nègre – Maler und Fotopionier aus Grasse" von Gerd Treffer. Es ist zum Preis von 7,50 Euro im örtlichen Buchhandel erhältlich.