Neuburg
Von "katastrophal" bis "scheinheilig"

Stimmen zum Scheitern von "Jamaika" Kommunalpolitiker sehen Neuwahlen skeptisch

20.11.2017 | Stand 02.12.2020, 17:11 Uhr

Die Regierungsbildung mit einer sogenannten Jamaika-Koalition ist gescheitert. FDP-Chef Christian Lindner (rechts) hat für seine Partei die "Reißleine" gezogen. Die kommissarische Kanzlerin Angela Merkel, Horst Seehofer und die Union (links) bleiben aber aufgefordert, den Wählerwillen umzusetzen. Die regionalen Politiker sehen die Notwendigkeit von Neuwahlen sehr unterschiedlich. - Fotos: Bernd von Jutrczenka, dpa

Neuburg (kpf/r/sja) Das Scheitern von "Jamaika" in Berlin bewegt die Mandatsträger in Kommunen und Landkreis. Je nach Parteizugehörigkeit wird die Schuld meist bei den anderen gesehen. Von Neuwahlen sind die wenigsten begeistert.

"Wenn es nicht anders geht, dann muss wieder gewählt werden", findet Neuburgs Oberbürgermeister Bernhard Gmehling. Aus kommunaler Sicht hält er es für bedauerlich, "dass sich die Parteien nicht zusammenraufen konnten." Schuldzuweisungen macht der CSU-Politiker nicht. Ein bisschen sei er froh, dass die Grünen ("ziemlich praxisfremd") nicht mitregieren. Horst Seehofer als Sündenbock darzustellen, hält er übrigens für "völlig verfehlt". Er habe für Bayern "sehr gute Politik gemacht".

CSU-Parteikollege Fritz Goschenhofer sieht Seehofer nicht am Ende seiner Amtszeit. Wenn es denn wirklich zu Neuwahlen käme, "dann muss die CSU auch mit Horst Seehofer antreten". Er könne sich auch einen Bundeskanzler Seehofer vorstellen. Nachdem er aber jetzt in der Sondierung den Grünen zuliebe sogar etwas vom "Bayernplan" abgerückt sei, werde ihm das die CSU-Basis zum Vorwurf machen, ahnt Fritz Goschenhofer.

Martin Wendl, Kreisvorsitzender der Grünen, lobt sogar die CDU/CSU: "Sie hat sich in den Verhandlungen durchaus bewegt". Auch die Grünen seien immer wieder über ihren Schatten gesprungen. Wer das nicht getan habe, das sei die FDP gewesen. "Ihr geht es offenbar nur um die eigene Profilierung", ärgert sich Martin Wendl. Die Fortsetzung der "lähmenden Großen Koalition" will er nicht haben. Es sei schade um Jamaika, "das wäre eine spannende Regierung mit den besten Köpfen und besten Ideen geworden".

Bettina Häring, Grand Dame der FDP in Neuburg, macht ihrem Parteichef Christian Lindner keine Vorwürfe. In einer Regierung mit den Grünen wäre es nicht lange gut gegangen, "deshalb ist ein Ende mit Schrecken besser als ein Schrecken ohne Ende". Die Grünen haben "scheinheilig" agiert und jetzt wiesen sie den Liberalen die Rolle des Buhmanns zu. "Unfair und unkorrekt", findet Bettina Häring. Christian Lindner hätte in den Verhandlungen "schon früher einen Schlussstrich ziehen müssen".

Mit Neuwahlen kann CSU-Stadt- und Kreisrat Matthias Enghuber wenig anfangen: "Das fördert auf jeden Fall die Politikverdrossenheit". Eine Minderheitenregierung der Union hält der CSU-Wahlkreisgeschäftsführer für nicht zielführend: "Eine Regierung ohne Mehrheit im Bundestag ist labil und könnte sich erpressbar machen". Das Verhalten der SPD kann Matthias Enghuber nur aus parteitaktischer Sicht nachvollziehen, "für das Land aber ist es eine Katastrophe".

Der langjährige SPD-Politiker Michael Kettner sieht den Zug für eine Große Koalition noch nicht abgefahren. Die SPD-Spitze sollte noch einmal mit Angela Merkel und Horst Seehofer sprechen. Michael Kettner: "Eine Regierungsbeteiligung sollte möglich sein, einen bedingungslosen Ausstieg würde ich nicht machen."

Für Werner Widuckel, den Kreisvorsitzenden der Sozialdemokraten "macht eine Große Koalition keinen Sinn. Sie ist abgewählt worden. So haben wir das Wahlergebnis interpretiert." Der Kreis- und Gemeinderat aus Karlskron hat den Jamaika-Sondierungen von Anfang an keine großen Erfolgsaussichten eingeräumt. "Die vier Parteien waren zu weit auseinander." Seinem Verständnis nach hatten die Liberalen mit Christian Lindner an der Spitze "geradezu Angst, dass es gelingt". Der SPD-Kreischef sieht die Situation so: Bundeskanzlerin Angela Merkel angeschlagen, Horst Seehofer ein Parteichef auf Abruf, die SPD nicht bereit für eine Fortsetzung der Großen Koalition. "Die Wähler müssen die Sache nun überdenken und die Chance bekommen, ein Votum abzugeben." Neuwahlen also. "Wir müssen Deutschland und Europa das Beste wünschen." Sollte es tatsächlich Neuwahlen geben, rechnet Widuckel erst im Frühling damit. Er selbst wird nicht mehr kandidieren. "Ich habe bei dieser Bundestagswahl gesagt, das ist die letzte überörtliche Wahl für mich. Dabei bleibt es."

Erneut Ambitionen hat hingegen Christina Wilhelm. Die Kreisvorsitzende der AfD aus Neuburg hatte sich beim Urnengang im September um das Direktmandat im Wahlkreis Ingolstadt beworben und dabei mit 13 Prozent aufhorchen lassen. "Falls es dazu kommt, wird es für mich eine zweite Runde geben", erklärt die 39-Jährige, die auch auf der Landesliste erneut antreten will. Intern laufen bei der AfD ihren Worten zufolge bereits die Vorbereitungen für eine erneute Wahl. "Wir haben davor keine Angst", erklärt sie, betont aber, dass Deutschland nun schnellstmöglich eine funktionierende Regierung brauche - "gerne auch mit der AfD".