Eichstätt
Von Hexentanzplätzen und Messopferpredigten

Vierter Band der "Eichstätter Diözesangeschichtsblätter" bietet historische, theologische und kunstgeschichtliche Beiträge

17.08.2020 | Stand 23.09.2023, 13:35 Uhr
Hexentanzplatz bei Wechingen in einer Karte von Graisbach (Pfalz-Neuburg) aus dem Jahr 1570: Innerhalb des Zauns führen zehn Frauen und Männer einen Kreistanz auf. Zwischen zwei Dämonen reitet auf einem Pferd eine nackte Frau mit einem Besen. Von außerhalb des Zaunes beobachtet der Teufel das Geschehen und hält eine große Kugel in seinen Händen. −Foto: Bayerisches Hauptstaatsarchiv, München

Eichstätt - Es ist erneut ein buntes Panoptikum hochinteressanter Beiträge ausgewiesener Spezialisten, das die "Eichstätter Diözesangeschichtsblätter" in ihrem jüngsten Sammelband aufbieten: Von neu entdeckten topografischen Karten über regionale Erkenntnisse zur Geschichte von Pfarreien und Stiften bis hin zu architekturgeschichtlichen und theologischen Abhandlungen und dem Kunstwerk des Monats - Emanuel Braun, Franz Heiler, Klaus Littger und Erich Naab haben es als Herausgeber wieder geschafft, die reiche Geschichte der kleinen katholischen Diözese schlaglichtartig zu erhellen und ein Mosaik interessanter Aufsätze zu sammeln, die für den Wissenschaftler ebenso lohnend sind wie für den Laien.

Bereits der erste Beitrag bietet Aufsehenerregendes: Die Archivarin Alexandra Haas aus Esslingen würdigt erstmals die großformatige topografische "Prunkkarte von Graisbach", die Herzog Philipp Ludwig von Pfalz-Neuburg 1570 zu seinem Herrschaftsantritt herstellen ließ. Das Besondere an diesem kolorierten Prachtexemplar, das dem Muster italienischer Renaissancekarten folgt: Sie enthält zwar Maßstabsfehler und geografische Ungenauigkeiten, bietet aber dafür zahlreiche kulturgeschichtliche Miniaturzeichnungen, von denen eine einen durch einen Zaun eingegrenzten Hexentanzplatz zeigt, an dem sich zehn bäuerlich gekleidete Gestalten und eine nackte Frau mit Besen sowie der Leibhaftige selbst aufhalten. Der aufgeführte Kreistanz ist bislang nicht als volkstümliches Kulturgut nachweisbar, doch könnte die geografische Lage des Platzes an der westlichen Bistumsgrenze vor den Grenzen Oettingens darauf hindeuten, dass der Hexentanz im Bewusstsein der Zeitgenossen bereits um 1570 und damit lange vor den großen Hexenverfolgungen im 17. Jahrhundert eine wichtige Rolle spielte.

Der Theologe Joachim Werz stellt den Eichstätter Weihbischof Leonhard Haller und seinen entscheidenden Beitrag zur Ablehnung des Laienkelchs in der Kommunion vor. Haller vertrat 1562 auf dem Trienter Konzil in der kontroversen Debatte um die Gabe von Brot und Wein an die Gläubigen eine entschiedene Position gegen den Laienkelch, den die reformatorische Lehre forderte und für den auch der Kaiser in den deutschen Teilen des Reiches eintrat.

Hallers Argumente, die sich auch in sechs erhaltenen volkssprachlichen Messopferpredigten finden lassen, sind theologischer und praktischer Natur: So sei die untrennbare Gestalt des Altarsakraments bereits durch die Gabe der Hostie allein gegeben. Zudem habe Christus selbst im Abendmahlsaal verfügt, dass nur die anwesenden Jünger sowie deren Nachfolger Brot und Wein zum Gedächtnis seines Leidens empfangen dürften. Der Wein könne schließlich auch verschüttet werden, leicht verderben oder sogar bei "Zechern im Bart hangen bleiben", wie er in der 34. Predigt recht lebensnah schildert. Die Debatte endete bekanntlich damit, dass das Konzil dem Papst die Entscheidung über die Kommunion überließ.

Einen Blick auf die bislang nicht erforschte Geschichte des Stifts St. Veit in Herrieden zwischen 1678 und 1804 wirft Anja Friedl-Muschweck in ihrem Beitrag, der auf ihrer Dissertation fußt und eine Forschungslücke schließt. Darin zeichnet sie das detaillierte Bild des nach dem Dreißigjährigen Krieg reformierten Chorherrenstifts nach, das bis zu seiner Auflösung im Zuge der Säkularisation zwar vom Fürstbischof in Eichstätt abhängig war, aber sowohl rege Beziehungen zur fränkischen Kleinstadt und seiner Bürgerschaft pflegte als auch Außenbeziehungen zur benachbarten protestantischen Markgrafenstadt Ansbach unterhielt. Zum pastoralen Alltag, den es zu bewältigen galt, gehörten katholisch-protestantische Mischehen ebenso wie Geschäftsbeziehungen des Stifts zu Protestanten, wenngleich der geistige Hintergrund der Kanoniker eher als katholisch-konservativ zu kennzeichnen ist.

Sehr komplex waren die konfessionellen Verhältnisse im nördlich-fränkischen Teil der Eichstätter Diözese, dem Kalbensteinberger Land, wo nach der Reformation ein Flickenteppich unterschiedlicher herrschaftlicher Territorien entstanden war, die sich konfessionell unterschieden, zumal nicht jeder Grundherr seinen Untertanen die Konfession vorschrieb. Daniel Schönwald beleuchtet in seinem Beitrag diese bis ins 19. Jahrhundert erhaltenen Sprengelstrukturen und deren Auswirkungen auf den Alltag der Gläubigen, die, wie im Falle des weitgehend protestantischen Absberg, nach dem Aussterben der Ritter von Absberg plötzlich dem katholischen Deutschen Orden in Ellingen dienstbar waren.

Die Ordensmänner versuchten, die Absberger zu rekatholisieren, was ihnen aber letztlich nicht gelang. Für Kasualhandlungen wie Taufe, Trauung oder Beerdigung mussten zahlreiche andersgläubige Sprengelbewohner sowohl beim zuständigen Ortspfarrer als auch beim Wunschpfarrer Gebühren entrichten und nahmen noch dazu weite Wege in Kauf. Zu den Kuriosa dieser Sprengelverhältnisse zählt sicher der Absberger Friedhof, der heute noch eine katholische und eine evangelische Hälfte aufweist.

Zum hundertjährigen Jubiläum des Caritasverbandes im Bistum Eichstätt stellt Diözesandirektor a.D. Bertram Blum die Eichstätter Wirkungsgeschichte des heiligen Vinzenz von Paul vor. Dabei beschreibt er detailliert, wie der anfangs karrieresüchtige südfranzösische Bauernsohn und Priester (1581-1660) einen inneren Wandel hin zur gläubigen Nächstenliebe vollzog und zunächst in Lyon, dann in Paris seine karitativen Bruderschaften gründete, die sich nach seinem Tod in ganz Frankreich und Deutschland verbreiteten. Dieser Grundauftrag zur Diakonie des 1737 heiliggesprochenen Vinzenz schlug sich auch in Eichstätt nieder, wo die Barmherzigen Schwestern das zunächst in der Westenstraße gelegene Spital übernahmen und bis 1994 in der Domstadt wirkten. Daneben gründete sich in Eichstätt auch 1857 der Vinzenzverein, der Hausbesuche bei armen Familien durchführte und 1885 Niederbronner Schwestern zur ambulanten Hauskrankenpflege nach Eichstätt holte. Heute haben sich die sozial-karitativen Anforderungen geändert und die offene Seniorenarbeit wird immer wichtiger, doch braucht auch die moderne Gemeinde den diakonischen Dienst ihrer Mitglieder.

Unter dem Titel "Die beiden ungleichen Brüder von St. Emmeran in Wemding" zeichnet der Historiker Leo Hintermayr akribisch die Geschichte der bereits um 1060 geweihten Wemdinger Pfarrkirche nach, die bis 1619 nur über einen Turm verfügte. Der zweite, schwierig zu finanzierende Turm, musste trotz der beengten Raumverhältnisse errichtet werden, weil der alte südliche Turm (auch Wächterturm) vermutlich durch die Erschütterungen des Glockenschlags in Schieflage geraten war. Die Bauarbeiten am etwas dünneren Nordturm, in dem später die Glocken in-stalliert wurden, kamen durch den 30-jährigen Krieg zum Stehen und konnten erst 1661 fertiggestellt werden. Anschließend stellte sich jedoch das Problem des Unterhalts beider Türme, um den sich Stadt und Kirchenverwaltung immer wieder stritten, bis 1907 das Landgericht Eichstätt die Eigentums- und Unterhaltsverpflichtungen klärte. Auch ein Erdbeben konnte 1911 den beiden "ungleichen Brüdern" nichts anhaben, die zuletzt 1999 renoviert wurden. Besonders anschaulich wirkt Hintermayrs Beitrag durch die 42 Abbildungen und Fotos.

Den umfangreichsten Beitrag steuert Markus Hörsch bei, der die heute noch erkennbare spätgotische Sakralarchitektur im Hochstift Eichstätt zwischen 1450 und 1530 untersucht und dabei nicht nur Eichstätts Kirchen - den Dom und die einstige Kollegiatskirche zu Unserer Lieben Frau - untersucht hat, sondern auch die hochinteressante Architektur und spätgotische Ausstattung der Stiftskirche Herrieden, der Landkirche St. Jakobus in Ornbau und der erstaunlich großdimensionierten Wallfahrtskirchen Pollenfeld, Königshofen an der Heide, Mörsach und Großlellenfeld. Die drei zuletzt genannten spätgotischen Kirchen sind sehr gut erhalten und äußerst repräsentativ. Sie befanden sich am nordwestlichen Rand des Fürstbistums und sollten möglicherweise die Bedeutung des Hochstifts gegenüber den angrenzenden Reichsstädten und Herrschaften untermauern. Es ist unmöglich, die Fülle der durch Hörsch beigebrachten kunstgeschichtlichen Details aufzuzählen. Seine luzide und akribisch recherchierte Arbeit mit einer Bestandsaufnahme auch weit verstreuter spätgotischer Fragmente und Spuren in barockisierten Gesamtensembles schließt aber eine Forschungslücke und stellt eine wichtige Ergänzung zum im Druck befindlichen Katalog der mittelalterlichen Bildwerke des Diözesanmuseums von Emanuel Braun dar.

Letzterer zeichnet auch für den letzten Beitrag der aktuellen Diözesangeschichtsblätter verantwortlich: Seine präzise Beschreibung und Abbildung der Kunstwerke des Monats in der Diözese Eichstätt von A wie Abenberg (Kalvarienberg im Kloster Marienburg) bis V wie Velburg (Hochaltarmalerei der Wallfahrtskirche St. Wolfgang) setzt die in Band 3 begonnene Veröffentlichung fort und bringt sie in bewährter Form zum Abschluss. Der Leser erkennt dabei, welche Kunstschätze man allerorten in der Diözese antreffen kann, in der die sakrale Kunst lange Zeit die Kunstlandschaft dominierte. Sechs Rezensionen zu historisch interessanten Monografien schließen den Band ab.

Eichstätter Diözesangeschichtsblätter, Bd. 4, Jahrgang 2018/2019, im Auftrag des Eichstätter Diözesangeschichtsvereins herausgegeben von Emanuel Braun, Franz Heiler, Klaus Littger und Erich Naab, Sankt Ottilien 2020, 411 Seiten, 30,00 Euro. Der Band ist über die Geschäftsstelle des Eichstätter Diözesangeschichtsvereins, Luitpoldstraße 1, in Eichstätt oder über den EOS-Verlag (mail@eos-verlag.de) zu bekommen.

EK

Robert Luff