Ingolstadt
Vom Wettkampfsport zum Freizeiterlebnis

Der große Boom im Tennis ist vorbei - doch der einstige Trendsport ist dabei, sich neu zu erfinden

01.06.2021 | Stand 23.09.2023, 18:57 Uhr
Mit moderner Vermarktung Trendwende herbeigeführt: Beim STC Rot-Weiß Ingolstadt ist Tennisspielen wieder gefragt. Hier gehen Sonja Schala (links) und Nina Platzer ihrem Lieblingssport nach. −Foto: Brandl

Ingolstadt - Die Corona-Pandemie hat dem Tennissport neue Aufmerksamkeit eingebracht.

Waren die Tennisklubs doch die ersten Sportvereine, die mit Beginn der Lockerungen wieder Aktive auf die Plätze lassen konnten. Daran, dass der bis heute beispiellose Tennis-Boom der 1980er- und 90er-Jahre - ausgelöst durch Weltklasseleute wie Boris Becker und Steffi Graf - längst verblasst ist, hat Corona kurzfristig freilich nichts geändert. Hört man sich bei Vereinen, Behörden und Verbänden um, durchläuft der einstige Trendsport einen Wandel. Eines dürfte dabei gewiss sein: Das Tennis lebt weiter - gerade in großen Klubs.

Rund 20 Tennisvereine und -abteilungen gibt es in der Schanz. Sie sind vom nachlassenden Interesse am Tennis unterschiedlich betroffen. Der TSV Ingolstadt Nord etwa hat seine Tennisabteilung quasi stillgelegt. "Tennis hat bei uns keine Zukunft mehr", sagt Vorsitzender Christian De Lapuente. Die vier Plätze sollen jetzt nach Möglichkeit einer anderen Nutzung zugeführt werden. De Lapuente denkt hier etwa an eine Freilufthalle oder an Boule-Bahnen. Schon vor drei Jahren gab es Pläne, hier eine Halle für die Skaterhockey-Abteilung des ERC Ingolstadt zu errichten. Ob daraus noch etwas wird, sei jedoch offen, heißt es von beiden Seiten. Das Tennisheim ist nach dem Umbau schon einer neuen Nutzung zugeführt worden. "Dort sind jetzt unsere Besprechungsräume", sagt De Lapuente.

Rund 60 Mitglieder zählt der TCI Ingolstadt aktuell, wie Vorsitzender Andreas Hartzheim mitteilt. "Wir überaltern, Nachwuchs ist schwer zu generieren", ergänzt er. Zwar habe der Verein keine Jugendabteilung mehr, die Herren über 50 und 60 Jahre würden aber "relativ hochklassig", so Hartzheim, in der Landesliga und Regionalliga spielen. Sie seien es, die dem Verein die Treue hielten. "Wer dabei ist, bleibt auch dabei", sagt er. Mit den Glanztagen des Becker-Booms sei das freilich nicht mehr vergleichbar. Da seien zu den Stadtmeisterschaften viele Zuschauer gekommen, erinnert er sich. "Da gab es eine richtige Szene. " Jetzt könne es sein, dass Klubs wie der TCI in 20 Jahren vielleicht nicht mehr existierten. "Das Leid der kleinen Vereine", wie Hartzheim es nennt. Sie hätten oft nicht das Potenzial für starke Nachwuchsarbeit und die dazu benötigten Trainer. An ein Ende des Tennissports glaube er deshalb aber nicht.
Beim TSV Kösching hat man die Zeichen der Zeit offenbar rechtzeitig erkannt. Anfang der 1990er-Jahre brummte die Tennisabteilung regelrecht und zählte über 300 Mitglieder, jetzt sind es ein Drittel weniger, wie Abteilungsleiter Peter Landisch sagt. Hätte man sich dem Wandel nicht gestellt, wäre die Zahl noch geringer, glaubt er. "Damals wollten alle Tennis und Wettbewerbe spielen, bis viele merkten, dass das nicht so einfach ist", sagt er. Und heute? "Wir haben uns neu ausgerichtet auf Familien- und Freizeittennis. Die Leute können Kurse belegen, die Tennisschule ist auf Kinder ausgerichtet", berichtet Landisch. So sei es möglich, auch die Eltern mit einzubinden. Das Konzept dazu habe man vom Bayerischen Tennisverband übernommen. Seine Einschätzung: "Tennis bleibt populär, weil man es ein Leben lang spielen kann. " Zwar sei die Vereinstreue nicht mehr so hoch wie früher, weil Leute auch wieder wegzögen und den Verein dann verließen. Durch den Wandel zum Freizeitdienstleister, der Erholung und Geselligkeit biete, könne dies jedoch kompensiert werden.

Anfang der 2000er-Jahre gab es in Kösching sogar eine Traglufthalle mit drei Tennisplätzen, die von einem Privatinvestor errichtet worden war. Beim TSV kann man sich daran noch gut erinnern. Die Halle sei von Vereinsmitgliedern mitbetreut und als Trainingsort im Winter sowie für die Jugendarbeit genutzt worden, heißt es vom Verein. Doch nach gut fünf Jahren sei der Betrieb eingestellt worden, weil die Halle wegen der hohen Energiekosten nicht wirtschaftlich hätte betrieben werden können. Inzwischen ist sie aus Kösching ganz verschwunden.
Beim STC Rot-Weiß an der Mitterschütt habe man vor zehn Jahren wieder die Trendwende im Tennis erlebt, sagt Präsident Gerhard Vonderthann. Seither sei die Zahl der Mitglieder permanent angestiegen und liege aktuell bei etwa 450. Auch beim STC setze man auf ein Konzept für die ganze Familie, was sich positiv am Zulauf an der Tennisschule zeige. Um Wintertraining zu ermöglichen, habe man seit 2018 eine neue Halle mit zwei Plätzen in Betrieb. "Das alles kostet Geld", räumt Vonder-thann ein. "Doch man muss einen Verein heute vermarkten wie eine Firma", erklärt er den Erfolg. Zwar habe die Corona-Pandemie die Bilanz getrübt, da beträchtliche Einnahmen - Vonderthann spricht von rund 70000 Euro - aus der Vermietung der Halle fehlten und auch weniger Neumitglieder zu verzeichnen gewesen seien. "Wenn ich das außen vor lasse, sehe ich aber eine rosige Zukunft vor uns", sagt er.

DK

Michael Brandl