Neuburg
Vom Asylbewerber zur Fachkraft

Die IHK beklagt mangelnde Rechtssicherheit für Unternehmen, die Flüchtlinge einstellen wollen

04.03.2015 | Stand 02.12.2020, 21:35 Uhr

Hubert Schöffmann.

Neuburg (DK) In ganz Bayern gibt es rund 10 000 berufsschulpflichtige Flüchtlinge im Alter zwischen 16 und 21 Jahren – davon sind 4000 ohne ihre Eltern hier. Auf der anderen Seite steht die Wirtschaft, die händeringend nach Azubis und Fachkräften sucht. Eine perfekte Ausgangslage, könnte man meinen.

Eigentlich wäre es für alle Beteiligten ein Gewinn. Eigentlich. Wäre da nicht die Rechts- und Planungsunsicherheit in Bezug auf die Flüchtlinge, die die Unternehmen davor zurückschrecken lässt, die jugendlichen Asylsuchenden auszubilden. Die Industrie- und Handelskammer für München und Oberbayern fordert nun ein Umdenken von Seiten der Politik.

Bei der Sitzung des IHK-Gremiums Neuburg-Schrobenhausen am Dienstagnachmittag im Audi-Fahrerlebniszentrum stellte IHK-Mitarbeiter Hubert Schöffmann den hier ansässigen Unternehmern folgende Vision vor: Der Wirtschaft soll die Einstellung junger Flüchtlinge dadurch erleichtert werden, indem ihnen garantiert wird, dass die Asylbewerber während der dreijährigen Ausbildung und darüber hinaus für zwei weitere Jahre nicht abgeschoben werden dürfen.

Allein in Neuburg gibt es derzeit zwei Berufsintegrationsklassen, die bereits im zweiten Jahr sind. Das bedeutet, dass diese jungen Menschen im Herbst theoretisch eine Ausbildung anfangen könnten. Erst vor Kurzem hat die IHK in einer Pressemitteilung darauf aufmerksam gemacht, dass in Betrieben in Industrie, Handel und Dienstleistung im Landkreis Neuburg-Schrobenhausen bis zum Jahresende 2014 vier Prozent weniger Azubis eingestellt worden sind als im Vorjahreszeitraum – während die Einstellungsquote im oberbayerischen Durchschnitt lediglich um ein Prozent gesunken sei. Dabei sei die Ausbildungsbereitschaft der Unternehmen jedoch ungebrochen, teilte Gremiumsvorsitzender Hartmut Beutler mit. Deshalb müsse man das Augenmerk verstärkt auch auf Schüler mit nicht so guten Noten und Studienabbrecher legen – und eben auch auf die jungen Flüchtlinge, die allen Prognosen nach auch künftig zahlreich nach Deutschland strömen werden.

„Das ist ein Thema, das uns allen unter den Nägeln brennt“, so Schöffmann. „So kann man Flüchtlingen eine Perspektive bieten und gleichzeitig Fachkräfte ausbilden. Die Unternehmen haben da auch eine gesellschaftliche Aufgabe.“ Die Asylbewerber könnten eine Bereicherung für den Ausbildungsmarkt sein, so Schöffmann. Einige hätten auch schon gewisse Vorkenntnisse aufzuweisen. „Wir müssen uns da dauerhaft etwas überlegen“, forderte er. „Aktuell ist aber die rechtliche Situation mehr als komplex und für Firmen schwierig zu durchschauen.“ Die IHK habe bereits mit Ministerpräsident Horst Seehofer Gespräche geführt, um Rechtssicherheit herzustellen. „Allen Beteiligten ist klar, dass etwas passieren muss und wir nicht unendlich Zeit haben, zu handeln.“ Immerhin sei eine Berufsausbildung auch die beste Form von Integration. „Humanitäre Hilfe und Fachkräftemangel treffen sich.“

Das alles klang in der Theorie recht schön, von der Realität berichtete Emmy Böhm, Leiterin der Ausländerbehörde am Landratsamt. Aktuell leben 190 Flüchtlinge im Alter zwischen 15 und 27 Jahren im Landkreis, davon sind ein Viertel Mädchen, 17 sind unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, die schneller Deutsch lernen als die anderen, weil sie in einem betreuten, deutschen Umfeld aufwachsen, ohne die bekannten Ghettoisierungsprobleme der Flüchtlinge, die in der Gemeinschaftsunterkunft an der Donauwörther-Straße untergebracht sind.

Was die Rechtssicherheit angeht, sieht es aktuell so aus: Die ersten drei Monate nach seiner Ankunft hat jeder Flüchtling ein Arbeitsverbot. Danach darf er sich um eine Erwerbstätigkeit kümmern. Theoretisch kann es durchaus passieren – und das ist genau das, was die IHK kritisiert –, dass die Asylbewerber mitten in der Ausbildung einen negativen Asylbescheid erhalten und ausreisen müssen. Tatsache ist aber auch, dass aktuell ein Drittel aller Bescheide positiv ausfällt und es auch Flüchtlinge gibt, bei denen man als Arbeitgeber ziemlich sicher sein kann, dass sie nicht ausreisen müssen, beispielsweise weil einer aus Syrien oder dem Irak stammt. Rechtssicherheit sieht freilich anders aus.