Ingolstadt
Visionär mit Bodenhaftung

Knut Weber ist 100 Tagen im Amt des Intendanten am Stadttheater Ingolstadt – seine Bilanz kann sich sehen lassen

22.12.2011 | Stand 03.12.2020, 2:01 Uhr

Fokus auf Ingolstadt: Das Stadttheater, wie es Knut Weber versteht, soll die Geschehnisse der Region im Spielplan reflektieren. - Foto: Strisch

Ingolstadt (DK) Mit zwei ungewöhnlichen Projekten, den „Unsichtbaren Städten“ und dem „Heimatabend“, startete Knut Weber in seine erste Spielzeit in Ingolstadt. Und wagte sich damit auf ungewisses Terrain. Konnte er die Ingolstädter tatsächlich auf nächtliche Wanderungen durch die vermeintlich vertraute Stadt locken? Und würden sie einen kulinarischen Beitrag zum Theaterfest leisten? Sie kamen.

Insgesamt 3000. Auch der Heimatabend wurde ein Erfolg. Mit Standing Ovations – und vielen mitgebrachten Tupperschüsseln. Die Neugier war groß auf den neuen Intendanten und sein Theater – und sie ist es ungebrochen. Bereits der November konnte die Zuschauerzahlen des Vergleichsmonats aus dem Vorjahr toppen – trotz der notorisch ausverkauften „Rocky Horror Show“.

Knut Webers Bilanz nach 100 Tagen im Amt kann sich sehen lassen. Zwölf Premieren in zwölf Wochen – was für ein Kraftakt. Und was für ein überzeugender Start. Im Großen Haus wie in den kleinen Spielstätten, für Alt und Jung gleichermaßen. Für den grandiosen „Woyzeck“ von Jens-Daniel Herzog, eine Übernahme aus Karlsruhe, werden bereits Zusatzvorstellungen geplant. Hüseyin Michael Cirpicis fein ausdifferenziertes Verwirrspiel „Amphitryon“ erweist sich als bemerkenswerter Beitrag zum Kleist-Jahr. Im Studio gelangen mit „Midsummer“ und „Der Messias“ zwei charmante Kassenschlager. Und das „Junge Theater“ entwickelt sich unter den Händen von Julia Mayr bereits zu einer zugkräftigen „Marke“. Nicht zuletzt durch ihre eigenen starken Inszenierungen „Nichts“ (ab 14 Jahren) und „Metamorphosen“ (ab 5 Jahren).

Auffallend ist die hohe Konzentration, Klarheit, Präzision und Ernsthaftigkeit der Inszenierungen und – in wirklich allen Arbeiten – die Geschlossenheit des Ensembles. Das kann nicht nur daran liegen, dass Knut Weber kleine Veränderungen am Probenprozess vorgenommen hat: Die erste Hauptprobe wird eher angesetzt, um so in einer verlängerten Endprobenphase mehr Zeit für künstlerische Details zu haben. Eine unerhörte Kreativität und Energie ist da allerorten zu spüren. Als wäre man von einem großen Druck befreit.

Knut Weber pflegt einen Führungsstil, der auf Transparenz, flache Hierarchien, Kollegialität und eine stets offene Tür setzt. Er gewährt Vertrauensvorschuss. Und: Er wirbt um und für das Stadttheater. Für die gemeinsame Reise. Im eigenen Haus. In der Stadt. Bei den Zuschauern. Er sucht das Gespräch. Und wo immer man ihn sieht, ist er im Gespräch. Er ist angetreten, Theater für Ingolstadt zu machen, volksnah, aber nicht -tümelnd. Und nach den ersten 100 Tagen kann man feststellen: Man folgt ihm gespannt auf diesem eingeschlagenen Weg.

Eine seiner klügsten Entscheidungen war sicherlich, auf das bestehende Ensemble – zumindest größtenteils – zu vertrauen. Nicht nur, weil die Ingolstädter „ihre“ Schauspieler lieben, sondern weil Webers Vorgänger Peter Rein ein wirklich exzellentes Ensemble geformt hat, das nicht nur gut harmoniert, sondern das darüber hinaus durch hohe gesangliche Qualitäten von sich reden macht. Wie sonst wäre es möglich, Jacques Offenbachs Operette „Die Großherzogin aus Gerolstein“ ohne Gast, allein aus dem Schauspiel heraus zu besetzen – mit solch überzeugendem Ergebnis? Eine von Webers künftigen Aufgaben wird es sein, das zwar schlagkräftige, aber momentan kleine Ensemble – 21 festen Schauspielern stehen etwa ebenso viele Gäste gegenüber – mit Bedacht aufzustocken, neue Farben hinzuzugewinnen ohne die Einheit zu (zer)stören. Vielleicht gelingt es ja, einige der Gäste fest ans Haus zu binden. Von Teresa Trauth (Marie im „Woyzeck“, Charis in „Amphitryon“) oder Thomas Schrimm (Woyzeck) würde man beispielsweise gern mehr sehen. Aber es fehlt vor allem an älteren (und da an Frauen) und ein wenig bei den ganz jungen Ensemblemitgliedern.

Natürlich wird Knut Weber in erster Linie an seinen Spielplänen gemessen. Stellt er die richtigen Fragen zur richtigen Zeit? Nach dem kulturellen Vermächtnis, nach dem Bestand der Gegenwart, nach Entwürfen für die Zukunft? Mit welchen Geschichten gibt er darauf Antworten? Wie nachhaltig sind sie? Und wie sehr muss er auf die Quote schielen? Der erste Spielplan ist ihm bestens gelungen. Er richtet den Fokus auf Ingolstadt, wirft spannende Schlaglichter auf die Gegenwart und spiegelt doch die programmatische Bandbreite wider, die ein Theater einer Stadt dieser Größe haben muss: vom Weihnachtsmärchen (das der Intendant übrigens auch künftig selbst inszenieren wird) bis zur Operette, vom Klassiker bis zur Kult-Komödie, von Büchner bis Bernhard, von Shakespeare bis Jelinek. Und was man bisher auf der Bühne zu sehen bekam, macht deutlich: Hier wird vor allem gutes Schauspielertheater gemacht.

Knut Weber ist ein Vernetzer, ein Ermöglicher, einer, der Visionen hat – und trotzdem Bodenhaftung. Sein zweiter Spielplan ist gerade in Arbeit. Auf ihn wird man mit mindestens ebenso großem Interesse blicken wie auf den ersten. Schließlich gilt die zweite Spielzeit einer Intendanz als am schwierigsten. Und Knut Weber hat die Messlatte selbst sehr hoch gelegt.