Neuburg
Virtuelles Training für die Polizisten der Lüfte

17.09.2010 | Stand 03.12.2020, 3:40 Uhr

 

Neuburg (DK) Ein Flugzeug verlässt im deutschen Luftraum seine planmäßige Route, Funkkontakt lässt sich nicht herstellen – Alarm beim Jagdgeschwader 74. Binnen 15 Minuten steigen vom Neuburger Militärflugplatz zwei Eurofighter zu einer Abfangmission auf. Für Kampfpiloten der Alarmrotte ist das realistisch – solche Situationen üben sie im Hightech-Simulator.

Ein Schieben am Gashebel und der Kampfjet rast über die Startbahn, ein Ziehen am Steuerknüppel schon hebt er ab, bereits nach wenigen Sekunden schraubt er sich in die Luft. Neuburg lässt er unter sich rechts liegen, die Donau entlang steigt er innerhalb kürzester Zeit auf mehrere tausend Meter auf – schon ist Donauwörth überflogen. Die Felder und Wälder zu seinen Füßen, die Wolken die er durchbricht, die Sonne über ihm: alles virtuell. Der Schaltknüppel in der Hand des Piloten ist dagegen echt, wie das ganze Cockpit, die Knöpfe und Hebel, die Avionik. Die originalgetreue Replika samt Schleudersitzhebel, Bremspedalen und Farbdisplays für Flugkarte und Radar steht in der Mitte eines dunklen Raumes, vor einer großen runden Leinwand. Was darauf zu sehen ist entscheidet Claus Keppler. Er gehört dem 14-köpfigen Team an, das sich darum kümmert, die Simulationen so realitätsnah wie nur irgend möglich zu gestalten. Auf bis zu zehn Flat-Screen-Bildschirmen sieht er nicht nur das, was der Pilot gerade sieht, sondern auch das, was der Pilot sehen wird. Und Wettergott Keppler meint es heute nicht gut mit dem Kampfflieger – er schickt ihm eine dicke Wolkendecke. "Abfangjagd bei schlechtem Wetter", nennt er die Übung.

Der Pilot erkennt durch die Scheiben weder Oben noch Unten und muss sich ganz auf seine Instrumente verlassen um das Ziel zu finden. Die Sensoren des Eurofighters funktionieren – Keppler hat aber die Möglichkeit, rund 500 verschiedene Defekte zu simulieren, etwa ein Triebwerk ausfallen zu lassen. Und damit nicht genug: Ein paar Mausklicks würden genügen, und auf dem Radar des Piloten würden plötzlich zwei feindliche MiGs auftauchen. Doch der Herr der Projektoren entscheidet sich dagegen: Realitätsnah wären feindliche russische Kampfflugzeuge in deutschem Luftraum in absehbarer Zeit wohl nicht.

Immer wieder spricht der Pilot englische Kommandos – und sein Kampfjet gehorcht. Voice-Input nennt sich die Funktion: "Jeder Pilot muss dazu ein Template einspielen", also die Bordautomatik an seine Stimme gewöhnen, erklärt Franz Männling, der Leiter des Simulators. Die Spracherkennung sei speziell für den Eurofighter entwickelt worden, denn bei Belastungen bis zu neunfacher Erdbeschleunigung werde die Sprache undeutlich – wenn man überhaupt noch reden kann.

Die Abfangjagd geht in die entscheidende Phase: Bald ist das Zielobjekt in Sichtweite. Zusammen mit seinem Wingman, seinem Schatten im anderen Jet, nähert sich der Pilot vorsichtig dem auffälligen Flugzeug. "Es ist wichtig, auf die Geschwindigkeit zu achten", flüstert Männling leise um den Piloten nicht zu stören, sonst rausche man zu schnell vorbei. Franz Männling weiß wovon er spricht, auch er war Kampfpilot, flog auf der Phantom seine Einsätze. Er und sein Team bringen es zusammen auf 17 000 Flugstunden, rechnet er gerne vor. Der Kampfpilot im Simulator stellt derweil "Sichtkontakt zum Zielobjekt" her und weist dessen Piloten an, sich zu autorisieren. Schnell ist die Situation entschärft: Das Flugzeug wird identifiziert, der Funkkontakt wird hergestellt. Die beiden Eurofighter drehen nach rechts ab und rauschen zurück nach Neuburg.

Das Szenario ist typisch für die Arbeit der Alarmrotte: "Wir sind so etwas wie die Polizei in der Luft", erklärt Kampfpilot Tom Koller. Etwa 30 "scharfe Einsätze" im Jahr fliege man von Neuburg aus, schätzt er. Für die über 20 Piloten des Jagdgeschwaders ist das Routine – auch dank des Simulators. Sechs bis zehn Jahre dauert die Ausbildung, 2300 Flugstunden hat Koller absolviert, 400 im Simulator. Jeder reale Flug kostet dem Steuerzahler viel Geld, die virtuelle Variante ist weitaus billiger. Die Umstellung von der Phantom auf den Eurofighter wurde so vereinfacht. Die Piloten üben laut Belegungsliste viel am Boden, besonders im neuen Dome, der Kugel, bei der um die Flieger herum ein 360-Grad-Sichtfeld projiziert wird. Beim Aufsteigen ziehen die Gurte den Piloten in den Sitz – das soll die unvorstellbaren g-Kräfte andeuten, die bei einem echten Flug mit bis zu zweifacher Schallgeschwindigkeit auf Mensch und Maschine warten. Da allerdings stoßen auch die besten Simulationen an ihre Grenze. Koller: "Die Kräfte, die auf den Piloten wirken, werden nicht simuliert. Die kann man nicht simulieren."