Ingolstadt
Viel Erfolg, viel Kritik

Regionale Chemotherapie: Professor Karl Reinhard Aigner und sein "Kampf gegen Windmühlen"

20.05.2016 | Stand 02.12.2020, 19:47 Uhr

Eine Chemotherapie fast ohne Nebenwirkungen? Professor Karl Reinhard Aigner (links) verabreicht die Krebsmedikamente mittels chirurgischem Eingriff regional. - Foto: Medias Klinikum

Ingolstadt (DK) Die Resonanz war riesengroß. Bei Karin Leitner stand das Telefon nicht mehr still, nachdem der DONAUKURIER über ihre erfolgreiche Krebsbehandlung mittels regionaler Chemotherapie berichtet hatte. Doch warum ist die Therapie, die Karin Leitner das Leben rettete, nicht anerkannt?

Karin Leitner hatte Brustkrebs und Metastasen in Knochen und Leber. Die Ärzte gaben der Reichertshofenerin noch vier bis sechs Monate, als sie, wie berichtet, zu Professor Karl Reinhard Aigner nach Burghausen kam. Nach fünf Zyklen regionaler Chemotherapie waren ihre Metastasen verschwunden, der Tumormarker unauffällig. Doch Aigners Methode ist wissenschaftlich nicht anerkannt. Er hat, um es dezent auszudrücken, in Fachkreisen nicht nur Freunde. Vor allem Einzelfallberichte von erstaunlichen Erfolgen wie der über Karin Leitner stoßen auf Kritik. Sie seien "keine ausreichende Datengrundlage, um Nutzen und Schaden von Behandlungsmethoden zu prüfen oder zu beweisen", heißt es im Zuge der DK-Recherche aus den Reihen eines wissenschaftlichen Instituts. Solche Erfolge seien im Einzelfall auch nach konventioneller Chemotherapie beobachtet worden.

Aigner kennt solche Kritik. Der Professor und Ärztliche Direktor des Medias-Klinikums, einer Privatklinik für onkologische Chirurgie in Burghausen, bezeichnet seine Arbeit als "Kampf gegen Windmühlen". Die regionale Chemotherapie steht nicht in den Leitlinien zur Krebsbehandlung oder im Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen, sie wird deshalb von vielen gesetzlichen Krankenkassen nicht bezahlt. Obwohl er die Methode seit Jahrzehnten erfolgreich anwende, Bücher mit Studien über sie publiziere und er im Ausland, etwa in den USA, wo er auch diese Woche wieder Vorträge hielt, mit der regionalen Chemotherapie auf offene Ohren stoße. Seinen schweren Stand in Deutschland begründet der Professor nicht zuletzt mit "Konkurrenzneid" und "wirtschaftlichen Interessen" all derer, die an der herkömmlichen, der systemischen Chemotherapie, mehr verdienen als an der regionalen Chemotherapie.

Der 68-jährige Mediziner will sich keinesfalls als "Wunderheiler" verstanden wissen, nimmt - im Gegensatz zu seinen Patienten - das Wort "Heilung" nicht in den Mund. Ob jemand geheilt sei, könne man bei Krebs erst nach etwa 15 Jahren sagen, betont Aigner. Was er aber sagen könne, sei, dass sehr viele Menschen sehr gut auf die regionale Chemotherapie ansprechen. 95 Prozent seiner Patienten seien Krebskranke, die austherapiert seien. Für sie ist die regionale Chemotherapie die letzte Hoffnung. Die Therapie habe im Gegensatz zur systemischen Chemotherapie fast keine Nebenwirkungen. Die Wahrscheinlichkeit dafür liege bei "unter zwei Prozent". Freilich gibt es auch solche Fälle. Eine Frau aus Pfaffenhofen etwa meldete sich in der DK-Redaktion und berichtete über eine Freundin, die ihre Therapie bei Aigner nach der ersten Behandlung wegen schwerer Nebenwirkungen abgebrochen hat und später an ihrer Krebskrankheit gestorben ist. So etwas sei "die absolute Ausnahme", sagt Aigner und verweist auf eine Studie, bei der er die Toxizitätsprofile bei systemischer und regionaler Chemotherapie verglichen habe. Der Unterschied sei gravierend zugunsten der regionalen Chemotherapie ausgefallen.

Der Präsident der Bayerischen Krebsgesellschaft, Professor Günter Schlimok, sieht die regionale Chemotherapie differenziert. Sie sei nicht anerkannt, "weil sich die Erfolge in Studien nicht ausreichend beweisen lassen". Randomisierende Studien, bei denen Patientengruppen nach dem Zufallsprinzip ausgewählt werden, seien zu dem Ergebnis gekommen, dass die regionale Therapie keine höhere Effektivität habe. Und die Erfolge Aigners? Für Schlimok "wunderbare Einzelfälle". Diese habe es in der Medizin schon immer gegeben.

Ein solcher "Einzelfall" wäre dann auch die fünfjährige Melina, die derzeit von Aigner kostenlos behandelt wird. Melina hatte einen Tumor in Halsschlagader-Nähe. Das Kind habe zwei gescheiterte Standard-Therapien hinter sich, sagte ihre Mutter Katharina Schwagerus dem DK. Der Tumor lag zu nahe an der Halsschlagader und konnte nicht operiert werden. Auch eine Protonenbehandlung habe nicht den gewünschten Erfolg gebracht. Ihre Krankenkasse hatte die Kostenübernahme einer regionalen Chemotherapie abgelehnt. Aigner behandelt sie dennoch. "Weil mir die Kleine so leidgetan hat." Die Fünfjährige bekam zwei regionale Chemotherapien, der Tumor schrumpfte und konnte in einer Uniklinik operativ entfernt werden.

Vier Zyklen regionale Chemotherapie kosten bei einem gesetzlich versicherten Patienten nach Angaben des Medias-Klinikums zwischen 40 000 und 50 000 Euro. Bei einer konventionellen Chemotherapie können gut 250 000 Euro zusammenkommen. Dennoch übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten für die regionale Chemotherapie in der Regel nicht. Von der Audi-BKK war zu dem Thema gestern keine Stellungnahme zu bekommen. Das Vorgehen der AOK erklärt Ulrich Resch, Direktor der AOK Ingolstadt: "Wenn solche Fälle auftauchen, lassen wir sie durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen prüfen." Eine Kostenübernahme käme bestenfalls als Einzelfallentscheidung infrage.

Ein großes Problem sei, dass die Klinik in Burghausen eine Privatklinik und damit kein Vertragskrankenhaus sei, betont Stefan Wandel, Pressesprecher der DAK in Bayern. Allein deshalb schon könnten gesetzliche Kassen die Kosten nur im Einzelfall übernehmen - wenn alle anderen wissenschaftlich anerkannten Methoden erfolglos waren. Der Antrag auf Aufnahme in den Krankenhausplan laufe, bestätigte Giuseppe Zavattieri, der Geschäftsführer des Medias-Klinikums, auf Anfrage.

Die privaten Kassen zahlen überwiegend, sagt der Arzt und Fachanwalt für Medizinrecht, Winfried Altendorfer aus Straubing. Bei den gesetzlichen entscheide der Einzelfall. Altendorfer hat bereits etwa 50 Krebskranke in Sachen regionale Chemotherapie vertreten, auch die Reichertshofenerin Karin Leitner. "Mit nahezu ausschließlich positivem Ergebnis", wie er sagt. Ganz wichtig sei, den Antrag auf Kostenübernahme vor Beginn der Behandlung zu stellen. Dass Aigner so einen schweren Stand habe, hat laut Altendorfers vor allem einen Grund: "Mafiöse Strukturen" in der Medizin. "Ich weiß, wovon ich spreche", sagt Altendorfer. Schließlich sei er nicht nur Anwalt, sondern auch Arzt.