München
Verloren gegangen im Strudel ihrer Zeit

Eine berührende Ausstellung im Münchner Theatermuseum erinnert an die Schauspielerin Carola Neher

01.12.2013 | Stand 02.12.2020, 23:21 Uhr

Erst gefeierte Schauspielerin (links als „Polly“ in Brechts „Dreigroschenoper“), dann rechtlos Internierte in einem russischen Lager: Carola Neher 1929 und 1936. - Foto: Theatermuseum München

München (DK) Was für ein Paar, der zarte, genialisch versonnene Dichter Klabund und seine junge, lebensstrotzende Frau Carola Neher: Er sterbenskrank, zurückgezogen, vergrübelt – sie einige kurze Jahre lang umjubelter Star auf allen Bühnen, immer atemlos, immer auf dem Sprung.

Doch wenn jetzt eine Straße in München nach ihr benannt wird und in diesem Zusammenhang eine Ausstellung im Theatermuseum die Spuren der Schauspielerin offenlegt, dann offenbart sich ein im Strudel ihrer Zeit verloren gegangenes Frauenschicksal.

Geboren 1900 in München stand der Schauspielerkarriere von Carola Neher zunächst mehr im Weg, als dafür sprach: Die Eltern waren dagegen, das Talent wurde von Fachleuten als überschaubar eingestuft, dazu der bayerische Dialekt und ein Sprachfehler – Neher wurde Banklehrling. Ihr Vater kannte als Berufsmusiker viele Argumente gegen eine künstlerische Laufbahn. Aber nach seinem Tod brach sich ihr Wunsch mit Energie Bahn und sie wurde über Stationen in der Provinz, viele kleine Rollen und einige Hauptrollen in Breslau plötzlich zum Star in Berlin. „Ihr Ruhm explodierte“, schrieb damals ein Zeitgenosse. Klabund, Wedekind, Shaw und immer wieder Brecht waren die Dramatiker, deren Stücke sie prägte. Letzterer schrieb für sie mehrere Hauptrollen – und als sie ihre Rolle in der Dreigroschenoper kurz vor der Premiere 1928 zurückgab, weil wenige Tage zuvor ihr Mann gestorben war, einen zynischen Nachruf: „Mit weniger Anstrengung und zu geringerem Nutzen können Weltreiche erobert werden. Und alle diese Anstrengung, Eignung und Plan für diese wenige Zeit! Das Schicksal ist wahnsinnig.“

In der Wiederaufnahme der „Dreigroschenoper“ war Neher dann doch als Polly dabei. Ihre Stimme ist es, die man auf den Originalaufnahmen der Urbesetzung mit der „Seeräuber-Jenny“ hört und nicht mehr vergisst. Als sie aber 1933 mit ihrem zweiten Mann Anatol Becker das immer dunkler werdende Deutschland verließ, nach Russland ging, ausgebürgert wurde und dort in einem zeittypischen Gerichtsurteil als „Trotzkistin“ zu zehn Jahren Straflager verurteilt wurde, konnten oder wollten ihre vielen Fans und Freunde nichts für sie bewirken. Becker wurde hingerichtet, Neher von ihrem kleinen Sohn getrennt, der ohne Kenntnis seiner Eltern im Waisenhaus aufwuchs, und starb mit nur 41 Jahren im Lager an Typhus.

Die Ausstellung zeigt die wenigen Hinterlassenschaften Nehers. Spuren einer Biografie, die wie auf einem zu schnell eingestellten Plattenteller in halsbrecherischem Tempo abgespult wurde: Einige Roben, ein für die damalige Zeit technisch höchst anspruchsvolles Reisegrammophon und viele Fotografien einer schönen Frau, die mit ihren hübschen Beinen, ihrem Gespür für PR und chamäleonesker Wandelbarkeit ihre Zeitgenossen faszinierte. Das berührendste Dokument ist aber die deutsche Übersetzung eines von ihr im holprigem Russisch verfassten Briefes, in welchem sie sich nach ihrem Sohn erkundigt: „Wie steht es mit seiner Gesundheit? Weiß er etwas von seiner Mutter? Ist er musikalisch? Zeichnet er“ Sie sollte ihn nie wieder sehen.

Inzwischen ist Georg Becker fast 80 Jahre alt. Nach vielen Jahren in Russland war es ihm gelungen, das Rätsel seiner Herkunft zu lösen und zu emigrieren. Er war musikalisch, unterrichtete an der Augsburger Musikhochschule und hat auch an der Ausstellung mitgewirkt. Ein Leben, nach starker Verzögerung ausgespuckt aus dem Orkan des Zweiten Weltkriegs. „Das Schicksal ist wahnsinnig“, befand Brecht.

Die Ausstellung im Deutschen Theatermuseum (Arkaden des Hofgartens) ist bis 23. Februar täglich außer montags von 10 bis 16 Uhr zu sehen.