Jetzendorf
Verfahren gegen Betzin eingestellt

Jetzendorfer Bürgermeister feiert juristischen Sieg und übt heftige Kritik an der Justiz

03.08.2020 | Stand 23.09.2023, 13:18 Uhr
Jetzendorfs Bürgermeister Manfred Betzin, hier beim Prozessbeginn im vergangenen Dezember, muss nicht mehr auf der Anklagebank Platz nehmen. −Foto: Straßer, PK-Archiv

Pfaffenhofen - Das Verfahren wegen Vorteilsnahme gegen den Jetzendorfer Bürgermeister Manfred Betzin (CSU) ist beendet. Die Staatsanwaltschaft Ingolstadt erklärte auf Anfrage, dass das Amtsgericht das Verfahren nach Paragraf 153 der Strafprozessordnung - also wegen Geringfügigkeit - eingestellt und die Staatsanwaltschaft dem zugestimmt hat.

 

Das mutmaßliche Vergehen liege schon länger zurück und der Schaden sei im unteren Bereich angesiedelt, sagte eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft zur Begründung. Zudem sei Betzin zuvor noch nicht strafrechtlich in Erscheinung getreten. Betzin kritisierte die Staatsanwaltschaft und die Justiz im Allgemeinen nach der Einstellung scharf. Der Strafverfolgungsbehörde sei es nur um einen "Weg aus einem Dilemma" gegangen. "Die Abhandlung des gesamten Sachverhalts trägt beispielhaft aus meiner Sicht zu einem wachsenden Vertrauensverlust in unser Rechtssystem bei", schrieb Betzin in einer Stellungnahme. Er sei froh, dass die Sache für ihn jetzt erledigt sei. Für alle, die überlegten, ob sie für ein öffentliches Mandat oder ein Ehrenamt kandidieren wollten, sei das Verfahren "aber bestimmt ein Faktor es eher nicht zu tun. Man muss sich nicht wundern, wenn in immer mehr Gemeinden bald keine Bewerber für solche Tätigkeiten zur Verfügung stehen."

Hintergrund des Verfahrens sind Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Landshut. Die hatte ein Ingenieurbüro ins Visier genommen, das über Jahre großflächig Geschenke an Amtsträger in ganz Bayern verteilt haben soll - angeblich in der Hoffnung, bei der Vergabe von Aufträgen berücksichtigt zu werden. Im Landkreis Pfaffenhofen waren unter anderem auch die ehemaligen Bürgermeister von Ilmmünster und Hettenshausen, Anton Steinberger (CSU) und Hans Wojta (UWG), betroffen, die jeweils einer Einstellung der Verfahren gegen eine Geldauflage zustimmten.

Anders als seine früheren Bürgermeisterkollegen akzeptierte Betzin aber weder eine Geldauflage von 500 Euro und widersprach auch dem daraufhin folgenden Strafbefehl über 3000 Euro. Im Dezember landete der Fall daher vor Gericht. Die Staatsanwaltschaft warf Betzin in der Anklageschrift vor, in den Jahren 2014 bis 2016 jeweils drei Weinpakete im Wert von knapp unter 30 Euro angenommen haben - Geschenke, "die in Zusammenhang mit seiner Amtstätigkeit standen", hieß es. Betzin habe somit als Amtsträger einen Vorteil angenommen.

Da Betzin auch vor Gericht nicht einlenkte und bestritt, die Flaschen jemals bekommen zu haben, wäre wohl eine umfangreiche Beweisaufnahme unter anderem mit der Vernehmung von Zeugen des Ingenieurbüros notwendig gewesen. Ein Aufwand, den die Staatsanwaltschaft und das Gericht nun offenbar als nicht mehr verhältnismäßig einstuften. Die Hauptverhandlung wäre umfangreich gewesen, sagte die Staatsanwaltschaftssprecherin.

Allerdings kommt Betzin trotz der Einstellung nicht ganz ohne Unkosten davon: Seinen Rechtsanwalt müsse er komplett selbst bezahlen, sagte er.

Betzin setzte in seinem Schreiben zum Rundumschlag an: Die Staatsanwaltschaft habe nur einen Ausweg ohne Gesichtsverlust gesucht. "Man sah sich wohl in der glücklichen Situation, dass es sich bei den Beschuldigten um eben Mandatsträger, Angestellte und Beamte im öffentlichen Dienst handelt und man jetzt ganz schnell viele Verfahren erfolgreich abschließen kann. Bis zu meinem Einspruch hat es ja für die Staatsanwaltschaft hervorragend geklappt", so Betzin. Nun aber sei die Staatsanwaltschaft vor dem Problem gestanden, wie sie "den letzten ,vorverurteilten' Mandatsträger, meine Person, jetzt abhandeln" - ohne Nachweis und mit der Frage, "warum man wegen einer solchen Nichtigkeit überhaupt ermittelt". Es sei nie richtig und ausreichend ermittelt worden und auch eine richtige Bewertung, ob wegen dieser "Lächerlichkeiten" überhaupt eine weiterführende Verfolgung notwendig sei, habe es wohl nicht gegeben.

Betzin ging auch auf die anderen Verfahren wegen Vorteilsnahme ein: "Fast alle" hätten einer Einstellung gegen "eine nicht unwesentliche Geldzahlung" zugestimmt, um die Auseinandersetzung mit der Justiz zu vermeiden und so einer gegebenenfalls negativen Schlagzeile zu entgehen. Aus Sicht seiner Kollegen sei dies nachvollziehbar. "Für die Staatsanwaltschaft war es aber aus meiner Sicht ein einfacher und gewinnbringender Weg, viele Mandatsträger abzuurteilen und die Statistik der geklärten Fälle positiv zu beeinflussen", schrieb Betzin.

Er kritisierte zudem, dass andere Verfahren, beispielsweise Anzeigen der Gemeinde wegen Vandalismus, mit bekannten Tätern eingestellt würden oder es werde gar nicht erst ermittelt. Das Justizsystem funktioniere oft nicht mehr richtig. Als ",berufsmäßiger' Übeltäter" komme man vielleicht sogar besser weg, als manch unbescholtener Bürger wegen einer Kleinigkeit. "Wenn wir uns darüber beschweren, dass es viele politische Strömungen gibt, links wie rechts, die wir nicht wollen, dann können wir nicht außer Acht lassen, dass unser Staat beziehungsweise unsere Justiz einen wesentlichen Anteil dazu beitragen, die Menschen in diese Richtungen zu drängen." Eigentlich sei es ein Glück, in einem Rechtsstaat zu leben. "Bei der derzeitigen Arbeitsweise unserer Gerichte steht aber zu befürchten, dass uns das notwendige Fingerspitzengefühl und die Praxistauglichkeit abhandengekommen sind", so Betzin.

In der Pfaffenhofener Kommunalpolitik hat der Fall Betzin im Übrigen zu kleineren Änderungen geführt: Mehrere Gemeinden haben sich in den vergangenen Monaten klare Regeln gegen Korruption und Vorteilsnahme gegeben.

Kommentar von Daniel Wenisch

Das deutsche Justizsystem hat viele Schwächen und Kritik ist an vielen Stellen definitiv angebracht. Die Schwerpunktsetzung ist manchmal schwer nachvollziehbar, die Dauer von Verfahren, die vielen Umwege und taktischen Winkelzüge von außen kaum zu durchschauen. Auch im konkreten Fall von Manfred Betzin hätte einiges besser laufen können: Die Staatsanwaltschaft hätte das Verfahren problemlos früher einstellen können. Gelegenheiten gab es genug – nach dem Strafbefehl oder auch direkt nach dem Verhandlungsauftakt und nicht acht Monate später.

Aber Betzin schießt mit seiner Kritik dennoch sehr weit übers Ziel hinaus. Er verkennt beispielsweise, dass andere Beschuldigte, die eine Geldstrafe gezahlt haben, dies nach eigenen Angaben nicht taten, um keine Negativpresse zu bekommen, sondern selbst erklärten, dass sie für einen Fehler geradestehen müssten. Der Rundumschlag gegen Staatsanwaltschaft und Justizsystem geht also deutlich zu weit, denn der Jetzendorfer Bürgermeister suggeriert, dass keiner der Beschuldigten sich etwas zu Schulde habe kommen lassen. Auch wenn es nicht um große Beträge geht, kann man das anders sehen. Wenn die Staatsanwaltschaft eine Liste zu mutmaßlichen Vergehen auf den Tisch bekommt, ist es ihre Pflicht, dem im Rahmen der Verhältnismäßigkeit von Aufwand, Vergehen und möglicher Strafhöhe nachzugehen. Bei Betzin war die Verhältnismäßigkeit schon länger nicht mehr gegeben, bei vielen anderen Vergehen, die ohne großen Aufwand einer Hauptverhandlung erledigt werden konnten, dagegen wohl schon.

Nicht verhältnismäßig ist auch Betzins Kritik: Er setzt seinen Fall in einen viel zu großen Zusammenhang, mahnt das Abdriften der Gesellschaft nach rechts und links an. Er spricht von einer „Vorverurteilung“, dabei hat sich öffentlich außer Betzin selbst nie jemand ausführlich zu dem Fall geäußert. Betzin spricht sich eine Märtyrer-Rolle zu, die – ob der doch überschaubaren Bedeutung des Falls – deutlich zu weit geht. Betzins persönliche Frustration ist sicher nachvollziehbar, weil das Verfahren ihn Zeit, Geld und Nerven gekostet hat. Die Kritik hätte aber auch mehrere Stufen kleiner ausfallen können.

 

Daniel Wenisch