Pfaffenhofen
Bei Königs zu Diensten

"Downton Abbey" in echt: Pfaffenhofener Historiker Frieder Leipold erforscht in Belgien das Leben einstiger Schlossdiener

03.08.2020 | Stand 23.09.2023, 13:18 Uhr
Ein kleiner Schlossherr auf Zeit: Frieder Leipold, der Punker unter den Pfaffenhofener Lokalhistorikern, zeigt auf sein Büro im Westturm des Schlosses Arenberg. Es gehört zur Universität Leuven in Belgien, wo der 44-Jährige seit heuer an seiner Promotion arbeitet. −Foto: Fraikin

Pfaffenhofen/Leuven - Das Leben und Arbeiten der Dienerschaft im Kontrast zu den hohen Herrschaften: Was unter anderem durch die Erfolgsfernsehserie "Downton Abbey" ein Millionenpublikum begeistert hat, ist derzeit das Forschungsgebiet des Pfaffenhofener Historikers und Kunsthistorikers Frieder Leipold. Als Stipendiat arbeitet er seit März an der Katholischen Universität im belgischen Leuven an seiner Doktorarbeit - und der 44-Jährige ist dadurch selbst "Schlossherr" auf Zeit: Sein Büro liegt im historischen Schloss Arenberg, das zugleich eines seiner Forschungsobjekte ist.

Auf den ersten Blick klingt die Themenstellung seiner Doktorarbeit recht sperrig: "Die Wechselwirkungen zwischen Dienerquartieren und repräsentativen Räumen in herrschaftlichen Residenzen der Frühmoderne". Da kommen einem verborgene Dienstbotengänge in Zwischenwänden oder versteckte Treppenhäuser in den Sinn, in denen sich die Dienerschaft ungesehen bewegen konnte. Doch derartiges kam, so Leipold, eigentlich erst im 18. Jahrhundert auf. Er legt den Fokus seiner Forschung vor allem auf die Zeit ab 1600, als es im Alltag noch keine so trennscharfe Linie zwischen Dienern und Herren gegeben habe. "Das macht das ganze so spannend." Auch, weil es mehr menschelt.

Nicht zuletzt war das Thema Dienerschaft seit 2010 und Jahrzehnte zuvor schon in den 70er Jahren im Fokus des Fernsehpublikums - Dank den Erfolgsserien "Downton Abbey" und "Das Haus am Eaton Place". Letztere heißt im englischen Original "Upstairs, Downstairs", was auch der Titel von Leipolds Forschungsprojekt ist. Aber das ist eher ein schöner Zufall, als Absicht, so der Historiker: "Das ist ein fester Ausdruck in der Residenzforschung, der das Konzept beschreibt, dass die Diener unten und die Herrschaften im Obergeschoss untergebracht sind", so Leipold. Wie in den Serien eben. In die habe er natürlich auch mal reingeschaut. "Aber mir sind sie zu modern" - also nicht von den Entstehungsjahren her, sondern der dargestellten Epoche: Er steht privat eher auf die Zeit vor der französischen Revolution.

Seine Forschung zielt trotzdem auf ein breites Publikum ab: Letztlich soll sie als Fallstudie anhand der Schlösser Arenberg und Weikersheim in Baden-Württemberg, die verglichen werden, Denkansätze liefern, wie auch andere Schlösser gezielt Besucherführungen zum Thema Dienerschaft anbieten können. Eine zentrale Frage sei, so Leipold: "Wie gehen Schlösser damit um, dass sie auch Dienerräume haben?" Diese würden oft nur als Lager- und Verwaltungsräume genutzt und seien daher für die Öffentlichkeit nicht zugänglich. "Es könnte ein neues Konzept sein, genau diese ,geheimen' Räume zu öffnen, die damals gar nicht zum herzeigen gedacht waren - gerade weil es das Publikum interessiert." Dienerkammer statt Thronsaal - und Einblicke ins Leben dieser normalen Leute: Welche Rolle spielte das Personal? Welche Wege ging es? Und dann ist da natürlich die Küche als Herz des Hauses. "Da könnte auch Kulinarik stärker einfließen" - damit Besucher die Geschichte quasi schmecken können.

Und wie hat es Leipold, der in Pfaffenhofen als Ausstellungskurator, Stadtführer und Punker unter den Lokalhistorikern bekannt ist, überhaupt ins ferne Flandern verschlagen? Im vergangenen Jahr ist ihm für seine Masterarbeit über Barocke Festkultur in Regensburg der Heinrich-Wölfflin-Preis der LMU verliehen worden. Mit diesem Schwung bewarb er sich erfolgreich um eines der zehn Stipendien des EU-finanzierten Palamusto-Projekts. "In diesem EU-Programm soll möglichst flächendeckend bearbeitet werden, was Themen für das Palastmuseum der Zukunft sind", erklärt der Pfaffenhofener. Seine Doktormutter ist Professorin Krista De Jonge, eine Koryphäe der Residenzforschung "Da bin ich richtig gut aufgehoben."

Seit März lebt Leipold nun in Leuven, der Hauptstadt der belgischen Provinz Flämisch-Brabant. "Zwei Wochen habe ich die Stadt noch richtig erlebt, und dann ging es in den Lockdown", blickt er zurück. Und seit einer Woche gelten wegen steigender Infektionszahlen auch wieder deutlich schärferer Beschränkungen in Belgien. Wobei es ihn sicher schlimmer hätte treffen können: Er wohnt im Großen Beginenhof in Leuven. In dieser historische Konvent-Anlage, die ins 13. Jahrhundert zurückreicht und Unesco-Weltkulturerbe ist, tummeln sich außerhalb von Pandemie-Zeiten nicht umsonst Touristenscharen. Und auch sein Büro liegt herrschaftlich im Schloss Arenberg, genauer gesagt im Westturm. Das Renaissance-Schloss wurde Anfang des 16. Jahrhunderts gebaut und gehört zum Campus der Katholischen Universität.

Für seine Forschung steht Leipold das ganze Schloss offen - auf den Spuren der Dienerschaft. Das Problem: Historische Quellen beschäftigen sich meist mit "Upstairs" und so gut wie nie mit "Downstairs". "Es gibt klare Überlieferungen zum Zeremoniellen", erklärt Leipold - also was bei den hohen Herren im förmlichen Rahmen wie abgelaufen ist -, "aber nur wenige Dokumente, die sich damit beschäftigen, was eigentlich die Diener so gemacht haben." In den Archivalien fänden sich bestenfalls Küchenrechnungen oder Dokumente, wer innerhalb der Dienerschaft bestimmte Bereiche zu verantworten hatte.

Aufschluss bieten da Momente des einstigen Alltags, in denen sich Oben und Unten vermischen: "Diese strikte Trennung hat nie so richtig funktioniert", erklärt Leipold. So gebe es durchaus Belege, dass Herrscherinnen auch selbst in der Küche tätig waren. Und eben diese Küche konnte - zumindest außerhalb des höfischen Zeremoniells - sehr wohl Besuchern gezeigt werden. "Es hat auch eine Art kulinarischer Diplomatie gegeben, die heute gar nicht mehr im Bewusstsein ist", schwärmt der 44-Jährige über bisherige Erkenntnisse. Anna von Sachsen (1544-1577) etwa, ihres Zeichens Ehefrau Wilhelms von Oranien, habe oft Marmeladen verschenkt. "Das geht bis zum Kaiser hoch", so Leipold. Denn auch der Hochadel vor 400 Jahren habe, wie die Menschen heute, bei Treffen munter Rezepte ausgetauscht - oder wahlweise gleich das Küchenpersonal.

PK

Michael Kraus